Bloß ein bisschen schwimmen oder: Nicht mein Tag
Ich glaub' ja, gerade das Schwimmen ist stark tagesformabhängig. An manchen Tagen denkst du, du gleitest geradezu übers Wasser und an anderen muss man sich noch mal alle Trainerstunden und Trainings ins Gedächtnis rufen, um sich selbst zu vergewissern: "Ja, ich kann schwimmen!". Jeder macht so seine Erfahrungen und in Summe nennt sich das dann, je nach Sichtweise, die
Weisheit des Alters oder auch
Altersstarrsinn. Ich bin am Samstag nur knapp meinem ersten DNF entkommen. Ein Freiwasserschwimmen im See, 2 Runden, insgesamt 2.5 km. Hatte ich eigentlich als lockere Trainingseinheit unter Wettkampfbedingungen gedacht. Nächsten Sonntag ist meine letzte OD für dieses Jahr, da passte das ganz gut. Einen Abend vorher waren Freunde zu Besuch, Rotwein passend zum Essen, gerne auch noch ein 2. Glas und einen Grappa zum Espresso, ist ja morgen nicht so wild, nur ein bisschen schwimmen. Pustekuchen!
Schlecht geschlafen, Durst am Morgen und ein leichtes Brummen zwischen den Ohren. Halb so wild, der Start ist erst um 14 Uhr. Zu spät losgefahren, das Navi hat die Baustellen nicht eben elegant umfahren, sondern mich immer wieder mitten rein geführt. Im Laufschritt vom Parkplatz zur Startunterlagenausgabe, dabei Wasser im Auto vergessen, auch das Gel, dass ich vor dem Start noch nehmen wollte. Aber noch hielt ich es für einen ganz normalen Tag. Beim Einschwimmen ist immer wieder Wasser in die Brille gelaufen, Zeh am Stein angestoßen, so nun war ich wenigstens richtig wach. Immer noch habe ich dem Tag nicht misstraut, ein Fehler, wie sich herausstellen wird.
Einige Meter nach dem Startschuss (ca. 60 Schwimmer am Start, das Feld also eher überschaubar), gerade aus dem Flachwasser heraus, da bemerke ich, dass das Reißverschlussband sich gelöst hat und nun immer wieder über meine rechte Schulter nach vorne kommt. Das nervt gewaltig, im Training halte ich dann sofort an und mach es in der vorgesehenen Schlaufe fest. Jetzt denke ich: Ich mache doch keinen Umweg, ist doch nur ein lockeres Schwimmen. Das Unheil nahm also seinen Lauf, denn das Band scheuerte immer wieder leicht am Hals entlang, die ersten paar hundert Meter nervte es nur, dann wurde die Stelle am Hals etwas empfindlich und ich konnte das Band deutlich spüren. Das störte schon gewaltig die Konzentration. Also weiter, immer wieder auf den Atemrhythmus konzentrieren, Wasserlange beobachten, Orientierungszüge. Oh Mist, die anderen sind ja viel weiter rechts als ich, irgendwie habe ich mich verschwommen. Das kommt davon, wenn man immer 2-er Atmung im WK macht und zu faul ist, sich die 3er anzutrainieren. Wo ist denn jetzt die nächste Boje? Und wo sind die anderen? Ah, da hinten, weiter geht's. Nach der ersten halben Runde (1 Runde = 1.25 km) dann endlich guten Rhythmus gefunden, zügiger geschwommen, da vorne ist ja auch schon eine Gruppe, auf die ich gleich aufschließe. Die Sonne kommt raus, es ist ruhig auf dem See, das Wasser hat mit Neo genau die richtige Temperatur, unter mir schwimmen ein paar kleine Fische. Es wird doch noch alles gut.
Doch da, wie aus heiterem Himmel, schlägt der Blitz ein. Der erste Gedanke, wohl weil ich die Fische noch vor Augen habe: Da hat mich was gebissen. Falsch, ein Krampf in der rechten Wade, richtig heftig, ich muss abbrechen und mich erstmal auf den Rücken legen. Mist, das geht ja gar nicht wieder weg. Dehnen geht auch nicht, ich kann hier nicht stehen, das Wasser ist zu tief. Gerade spiele ich ernsthaft mit dem Gedanken, das Kanu herbeizuwinken, was am Schluss des Feldes (also nicht weit hinter mir) fährt. Die Wade beruhigt sich, ich 'brustel' ein wenig, dann geht's vorsichtig mit Kraulen weiter. Wadenkrampf, das hatte ich das letzte Mal als Kind, und beim Schwimmen schon gar noch nie. Vielleicht doch zuviel Beinschlag gemacht, denke ich mir, lass die Beine locker, dann wird das schon wieder. Die Runde gut zu Ende geschwommen, wieder auf die vorhin schon gesehene Gruppe aufgeschlossen. Da erwischt es mich wieder. Manno, das kann doch nicht wahr sein. Aber jetzt war mein Kämpferherz erwacht. Nein, davon lässt du dich nicht unterkriegen. Jetzt erst recht, und wenn ich letzter Werde und im dunkeln auf allen Vieren an Land kriechen muss, die 2. Runde bringst du zu Ende.
Im Nachinein: Hätte ich gewusst, was mich erwartet, ich wäre ausgestiegen. Aber jetzt war es zu spät, der Strand (Start und Ziel) entfernte sich immer mehr und ich war nun alleine auf mich gestellt. Kein Schwimmer mehr weit und breit, sind die alle so schnell oder hast du dich wieder verschwommen? Nee, da neben mir wieder das Kanu, die junge Dame darin zeigt mir sogar die nächste Boje. (Will wohl auch pünktlich Feierabend machen) Nun etwa alle 200m Wadenkrämpfe, jetzt ist auch noch die linke Seite dazugekommen. Wenn die Waden gerade nicht reißen, dann schmerzt der Hals. Das Band von Reißverschluss ist inzwischn zur Säge mutiert und versucht eifrig, mir den Kopf von den Schultern zu trennen. Mit wachsendem Erfolg, es fühlt sich an, als ob die ganze Rechte Seite des Halses nun wund ist. Aua, zum Glück kommt wieder ein Wadenkrampf und lenkt mich ab... Ich konzentriere mich so darauf, die Beine ja nicht anzuspannen, dass das mit der Orientierung gar nicht mehr klappt. Im Zickzack hangel ich mich von Boje zu Boje, immer darauf bedacht, nicht schon wieder zu krampfen, nur das scheint die Sache eher noch zu beschleunigen. Jetzt tun beide Waden selbst ohne Krampf schon weh. Aufgeben? Vor meinem geistigen Auge läuft der Film dazu ab: Ich hebe den Arm, das große Boot der DLRG kommt angebraust , 2 Rettungsschwimmer sammeln mich auf und bringen mich geradewegs zum Strand wo ich dann, von 2 Sanitätern gestützt, ins Notfallzelt gebracht werde. Nenenenene, das geht gar nicht. Olli Kahn im Ohr: "Weiter, immer weiter" Jetzt stelle ich mir vor, ich bin Lt. Dan aus Forrest Gump und habe gar keine Unterschenkel mehr, der konnte auch so schwimmen. Oder nein, tu einfach so, als würdest du mit Pullbuoy schwimmen, ein bisschen so ist das ja mit Neo auch.
Die letzte Boje passiert, den Strand in ca. 300m vor Augen. Letzte Reserven mobilisieren, die Frequenz des Armzuges noch mal steigern. Komisch, das geht ja ganz locker. Also noch schneller. Geht auch noch. Die Waden schmerzen wie blöde, aber kein Krampf mehr, haben sich wohl jetzt ausgepowert. Mein Hals brennt wie Feuer, das Band scheuert immer noch und immer wieder. Alle Versuche, es abzustütteln und nach hinten zu werfen, scheitern spätestens beim nächsten Atemzug, dann ist es wieder da. Wieder Fische unter mir, der erste Sand wird sichtbar. Erst als ich mit den Händen über den Grund schleife, stelle ich mich hin. Und stehe knietief im Wasser. Da melden sich die Waden wieder. Jetzt bloß nicht strecken, keinen Krampf jetzt, auf allen Vieren zur Zeitnahme zu kriechen, das ist das Letzte was ich jetzt brauche. Also in einer Mischung aus Neandertaler und Schimpanse mit nach vorne gebeugtem Oberkörper aus dem Wasser. Die Zuschauer klatschen und jubeln (warum eigentlich, wissen die, was ich die letzte Stunde erlebt habe?). Ein freundlicher Helfer weist mich darauf hin, dass ich in die falsche Richtung laufe. Also noch mal umdrehen, den Zeitnahmechip registrieren, das Piepen ist die Erlösung. Die Akkus sind leer, ich taumele zum Verpflegungszelt. Da stellt sich mir eine freudestrahlende Helferin in den Weg und hängt mir eine Finishermedaille um den Hals, hinter mir klatschen immer noch einige. Gedankenverloren bringe ich nur ein "Na, toll" heraus und das Motto "finish with a Smile" ist mir in diesem Moment auch komplett entfallen. Aber kein DNF, das ist doch schon mal was.
Nach Hause brauche ich eine ganze Stunde, obwohl es wirklich nicht weit ist. 20 Minuten humpel ich zum Parkplatz und dann: Stau auf der Autobahn, damit sind alle Nebenstraßen auch dicht. Prima, Kupplung und Bremse im Akkord, ich sitze halb unter statt hinter dem Lenkrad, um beim Autofahren ja nicht noch einen Wadenkrampf zu kriegen. Zu Hause angekommen, erstmal was essen, dann HSV-Spiel gucken. Die hatten keinen besseren Tag als ich.
Epilog:
Am späten Nachmittag dann nur noch Sofa, Laptop auf dem Schoß, Film von Arne über "Krämpfe und wie man sie vermeidet" gefunden. Und da kommt dann die Erleuchtung: Typische Art von Krämpfen ist der Wadenkrampf beim Schwimmen. Zu wenig Spannung in der Achillessehne, dagegen hilft beim Schwimmen ab und zu die Zehen Richung Knie zu ziehen. Entspannen macht es nur noch schimmer. Gucke, wieder was gelernt. Aber Arne, warum sagst du das nicht eher, dann wäre der Tag sicher anders verlaufen. Abends noch unseren Großen vom Freund abgeholt, 7 Stockwerke Treppe bis ich oben bin, die Waden können sich gar nicht mehr beruhigen. Das war auf dem Klingelschild nicht abzusehen, wie weit oben der wohnt. Sonst wäre ich ja unten geblieben. Auf dem Weg nach unten biegt der Filius dann im Treppenhaus nach rechts in einen Gang ab. Ich: "Hier geht es zur Treppe, komm." Er: "Neee, ich fahr Fahrstuhl, das ist cooler." Die haben hier einen Fahrstuhl? Ochne....
Grüße, sutje
