Wenn ich an betende Menschen in der Kirche denke, dann denke ich an Glauben und Religion. Ebenso bei Muslime in der Moschee usw.
Gestern ging ich mit meiner Frau rüber zum Supermarkt, als mir eine Frau und ihre Tochter fast völlig verschleiert hinter ihrem Mann herlaufend (im kurzen Hemd) entgegen kamen (der Klassiker halt ). Da denke ich nicht an Religion, sondern an Unterdrückung, Männergesellschaft und sexistisches Weltbild. Für mich hat das also nichts mit Religion zu tun. Ebenso wie ich es nicht akzeptiere, wenn die Kirche gegen Schwule ist.
Geht mir ähnlich, aber mich wundert, dass Du es so siehst. Ich sage, Moral ist in wesentlichen Punkten eine Frage des Zeitgeists. Was wir für moralisch halten (Gut und Böse) ist aus meiner Sicht in vielen Fällen einfach Verhandlungssache innerhalb einer Gesellschaft.
Du hältst dem regelmäßig entgegen, genau dafür bräuchten wir die Religion: Damit wir eine feste Richtschnur der Moral hätten, und nicht nur den wandelbaren Zeitgeist.
Die Muslima mit dem Kopftuch handelt genau in diesem Sinne. Sie orientiert sich an dem, was seit 1400 Jahren geschrieben steht. Du hältst ihr die modernen Standpunkte des aktuellen Zeitgeistes entgegen, und nennst ihr Weltbild und das ihres Mannes sexistisch, außerdem habe das nichts mit Religion zu tun.
Mir scheint das ein gutes Beispiel dafür zu sein, dass unsere Moralbegriffe nicht aus der Religion kommen, sondern Ausdruck unseres Zeitgeistes sind. Manche von uns legitimieren ihre persönlichen Standpunkte gerne religiös mit Verweis auf göttliche Autoritäten. Die meisten Menschen wandeln jedoch mit einer sich ändernden Welt auch ihre Moralbegriffe.
Also hat ein Kopftuch einen ideologischen oder religiösen Hintergrund?
Für mich nicht.
Mir symbolisiert das nur: Es ist ein Kleidungsstück, mehr nicht.
An sich richtig, solange es als modisches Accessoire getragen wird, also nicht zwanghaft und ständig.
Wenn aber jemand deswegen vor Gericht zieht, ist das Kopftuch viel mehr als ein beliebiges Kleidungsstück, es wird zum Symbol, und es ist offenbar für die Beteiligte wichtiger, als der Beruf an sich. Und damit ist der Hintergrund zumindest ideologisch. Und wenn jemand sich heute in Europa nicht bewußt ist, daß das Kopftuch von entsprechenden Islamisten als ideologisches Symbol benutzt wird, dann läuft er/sie mit geschlossenen Augen durch die Welt.
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“If everything's under control, you're going too slow.” (Mario Andretti)
Was wir für moralisch halten (Gut und Böse) ist aus meiner Sicht in vielen Fällen einfach Verhandlungssache innerhalb einer Gesellschaft.
Dem kann ich perfekt zustimmen. Und das dies einem langsamen Wandel unterliegt, ist auch selbstverständlich - für uns. Für überzeugt religiöse Menschen (besonders Moslems) ist aber bereits dieser Wandel verwerflich, da die Moralgesetze gottgegeben festgeschrieben wurden.
Zitat:
Zitat von Klugschnacker
Die Muslima mit dem Kopftuch handelt genau in diesem Sinne. Sie orientiert sich an dem, was seit 1400 Jahren geschrieben steht. Du hältst ihr die modernen Standpunkte des aktuellen Zeitgeistes entgegen, und nennst ihr Weltbild und das ihres Mannes sexistisch, außerdem habe das nichts mit Religion zu tun.
Das starre festhalten an dieser Tradition/Religion ist aber keine Verhandlung, es ist ein Ultimatum: ihr habt mich zu akzeptieren, punkt. Wenn sie in unserer Gesellschaft leben will, sollte sie sich an die hier über Jahrzehnte und länger ausgehandelten Maßstäben orientieren, statt bedingungslos ihre Maßstäbe hochzuhalten. Warum sollen wir diese Form der Verletzung unserer Moralvorstellungen eher dulden als Flitzer im Stadion oder Knutschen in der Kirche´(wobei ich beides für harmloser halte, als religiöse Sturheit).
Zitat:
Zitat von Klugschnacker
Die meisten Menschen wandeln jedoch mit einer sich ändernden Welt auch ihre Moralbegriffe.
Stimmt im Prinzip auch. Aber warum sollen zuerst wir, die Mehrheitsgesellschaft unsere Moralbegriffe wandeln? Ich finde, die Mehrheit hat immer das Recht, von der Minderheit die Akzeptanz der Moralbegriffe der Mehrheit zu verlangen.
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Geht mir ähnlich, aber mich wundert, dass Du es so siehst. Ich sage, Moral ist in wesentlichen Punkten eine Frage des Zeitgeists. Was wir für moralisch halten (Gut und Böse) ist aus meiner Sicht in vielen Fällen einfach Verhandlungssache innerhalb einer Gesellschaft.
Du hältst dem regelmäßig entgegen, genau dafür bräuchten wir die Religion: Damit wir eine feste Richtschnur der Moral hätten, und nicht nur den wandelbaren Zeitgeist.
Die Muslima mit dem Kopftuch handelt genau in diesem Sinne. Sie orientiert sich an dem, was seit 1400 Jahren geschrieben steht. Du hältst ihr die modernen Standpunkte des aktuellen Zeitgeistes entgegen, und nennst ihr Weltbild und das ihres Mannes sexistisch, außerdem habe das nichts mit Religion zu tun.
Mir scheint das ein gutes Beispiel dafür zu sein, dass unsere Moralbegriffe nicht aus der Religion kommen, sondern Ausdruck unseres Zeitgeistes sind. Manche von uns legitimieren ihre persönlichen Standpunkte gerne religiös mit Verweis auf göttliche Autoritäten. Die meisten Menschen wandeln jedoch mit einer sich ändernden Welt auch ihre Moralbegriffe.
Wenn der Vatikan einen schwulen Geistlichen feuert oder eine Frau verschleiert hinter ihrem Mann herdackelt, dann pfeif ich auf uralte Texte. Das ist doch menschengemacht, um Macht oder Besitz zu demonstrieren. Das hat in meinen Augen nichts mit Moral zu tun. Was wäre das für ein Gott, der so was verlangt? So weit ich weiß, hat der Islam auch eine Entwicklung durchlaufen und war nicht immer so, wie er ist. Alles ist ständig im Wandel, auch die katholische Kirche. Gewisse moralische Werte sind für mich nicht diskutierbar. Ich bezweifel, dass ich es jemals gut gefunden hätte, wenn Schwule ausgegrenzt werden oder meine Frau verschleiert hinter mir herläuft. Das würde ja heissen, dass wir komplett ohne diese Art von Moral geboren würden und es nur anerzogen bekommen. Das bezweifel ich sehr stark.
Kommentar von der Seitenlinie, hab 10 Seiten gelesen und bin mal wieder von Stil & Breite & Tiefe der Diskussion beeindruckt, chapeau
... Und weiter im Text ....
Stimmt im Prinzip auch. Aber warum sollen zuerst wir, die Mehrheitsgesellschaft unsere Moralbegriffe wandeln? Ich finde, die Mehrheit hat immer das Recht, von der Minderheit die Akzeptanz der Moralbegriffe der Mehrheit zu verlangen.[/QUOTE]
Das mag für Dich und Keko so sein. Klar. Aber steht es uns zu zu beurteilen, ob diese Frauen das Kopftuch freiwillig tragen oder nicht? Steht es uns zu, zu beurteilen, wie diese Frauen zu leben haben? Sehr viele Frauen muslimischen Glaubens tragen heute KEIN Kopftuch, weil es eben ihre Entscheidung war.
Persönlich ist mir das völlig egal, wie andere rumlaufen. Es geht mich ja auch nichts an! Ich habe aber im Laufe der Zeit so viele intelligente, neugierige, erfolgreiche, selbstbewußte und offene Frauen verschiedene Alters kennen gelernt bzw.
haben mit eben diesen zu tun, dass ich es mir überhaupt nicht vorstellen kann, dass es eine wirklich freie Entscheidung ist.
Ja. Ich bin selber als unerwünschte Minderheit in einem mir sprachlich/kulturell eher fremden Staat großgeworden, und bin in Deutschland Zuwanderer; mir ist also sehr wohl bewußt, wie man sich als Minderheit mit z.T. abweichenden Vorstellungen fühlen kann.
Mir würde aber in keinem Land der Welt einfallen, daß die Mehrheit meine Wertevorstellungen komplett anerkennen muß. Ich mag privat denken und handeln wie ich es für richtig halte, aber ich habe mich in der Öffentlichkeit an die Mehrheit zu halten. Ich erwarte im Gegenzug, daß mein Entgegenkommen durch Toleranz meiner privaten Einstellung honoriert wird. Es muß ein Geben und Nehmen sein, aber ich als Zugezogener muß zuerst (nach)geben. Dann mag sein, daß die anderen bereit sind, etwas von mir zu übernehmen, vorher aber sicher nicht.
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“If everything's under control, you're going too slow.” (Mario Andretti)