RUN
Uiuiui die ersten Schritte nur mit Socken fühlten sich lustig an. Ich platzierte mein Rad an seinem Platz. Ganz schön viele Räder in meinem AK Bereich waren schon da. Naja egal. Ich besuchte noch schnell das Dixie um mit leerer Blase in den Lauf starten zu können. Der Wechsel war schon deutlich schneller. Ein zweites mal Sonnencreme und los gings, der schlimmste Teil konnte kommen.
Raus aus der Wechselzone, wieder vorbei an meinem Bruder, und rüber über die Brücke am Hotel. Und ach wie toll!! "Mein" Lied wurde lautstark gespielt. Zwar nicht im Finish, aber immerhin überhaupt. Kennt ihr das wenn ihr irgendwann irgendwo mal ein Lied hört und jedes mal wenn ihr das hört habt ihr Kopfkino und verbindet es mit einem bestimmten Moment? So ergeht es mir bei "Don't you worry Child". Ich weiß nicht warum, seit ich das Lied kenne muss ich an diesen einen Tag auf der Laufstrecke denken. Und jetzt wo ich endlich hier war spielten sie es tatsächlich! Na wenn das kein guter Start in den Marathon war!
Auf der anderen Seite des Lendkanals traf ich dann auf die Laufstrecke und machte mich das erste mal los Richtung Europapark. Und als ich gerade in den Park abbog, hing da wieder mein Bruder halb in der Strecke drin und feuerte mich an. 'Nanu? Wie hat er denn das geschafft? Der war doch grad an der Wechselzone…'

Schon lustig mit was man sich richtig lang beschäftigen kann bei 42km.
Die ersten Kilometer liefen noch etwas unruhig und holprig. Es dauerte ca. 5-6km bis ich meinen vollen Rhythmus fand. Tolle Sache übrigens diese Fa gesponserte Dusche kurz vor der Abzweigung Ziel/2. Runde. Ein anderer Athlet freute sich offensichtlich auch sehr darüber. Er rief mitten im Duschkanal "Ihr seid die geilsten!!"
Vorbei an der Selbstversorgerstelle ging es zum ersten mal Richtung Krumpendorf. Und als es langsam mehr und mehr rund lief, kam mir am sonnengefluteten Strand bereits Andreas Raelert entgegen, der sich kämpfend auf seinen letzten 14 km befand. Unglaublich wie dürr der in echt ist, dachte ich mir. Lange habe ich mich allerdings nicht mit den entgegenkommenden Profis befasst. Viel zu sehr war ich heute bereits seit dem Rad in totaler Konzentration versunken, mein Hirn war wirklich leer, und beschränkte sich weitestgehend nur auf das Nötigste. Und das war zum Beispiel das Strandbad in Krumpendorf auf das ich mich seit Jans Erzählungen gefreut habe! Super genial! Ich musste lachen als ich ins Bad einbog und sah, dass die Strecke tatsächlich mitten über die Liegewiese führte! Ein Wahnsinn! Kleine Kinder wollten jeden Athleten abklatschen, die Eltern applaudierten….wie lang sie das nur durchhalten können?
Das war dann in etwa der Punkt ab dem es richtig lief. Ich konnte meinen Schnitt bei einem niedrigen 5er Schnitt einpendeln und lag nur bisschen unter der eigenen Vorgabe. Puls? Passt! Zu diesem Zeitpunkt machte der Ironman so richtig Spaß. Wieder zurück, durch den Europapark durch und am Lendkanal Richtung Innenstadt. Hier gab es fast keinen Meter wo keine Leute standen oder um Biertischen herumstanden und feierten. Klasse! Autsch, man wurde kurz steil bergab über eine Rampe geschickt. Ei ei ei, das könnte später nochmal richtig weh tun. Durch den Torbogen rein in die Innenstadt und die Spendenglocke geleutet. Toll hier hatten wir am Donnerstag noch gegessen. Durch die Fußgängerzone hindurch an – mal wieder – Menschenmassen vorbei, nach rechts zum Drachendenkmal. Dabei lief ich über die schönen Bodenverzierungen zu den Partnerstädten Klagenfurts unter denen sich auch meine Nachbargemeinde (bzw. Stadt) Dachau befindet.
Auf dem Rückweg, hielt ich an der Selbstversorgerstelle die Hand hoch und schon brachten sie mir den Selbstversorgerbeutel mit meinen Gels. Bisher habe ich zwei Pro Stunde genommen. So wollte ich das auch weiterhin handhaben. Trinktechnisch habe ich von anfang an auf Cola gesetzt. Auf das Iso Zeug wollte ich lieber verzichten.
Dann ging es zum zweiten mal Richtung Krumpendorf. Und jetzt wurde eines deutlicher: das Elend und das Leiden auf der Laufstrecke. Immer mehr Athleten bewegten sich gebückt, gingen, oder k***ten hinter den nächsten Busch. Die Gesichter wurden schmerzverzerrt, die Körpersprache verkrampft und kämpferisch. Und auch ich spürte bereits dass es bei mir rasant bergab ging. Aber gut, kann ja nicht ewig so locker weitergehen, ist ja schließlich ein Ironman.
Deutlich erschöpfter und mit schweren Beinen lief ich das zweite mal durch das Strandbad durch. Ich kenne mich und meinen Körper, und mir war bewusst, dass bald der Punkt kommen würde, an dem ich mich durch nichts mehr mental hochhangeln können würde, also genoß ich das letzte Überqueren der Liegewiese. Die Rückkehr aus Krumpendorf wurde zunehmend düsterer. Und zu allem Überfluss musste ich pinkeln. Also irgendwo an den Gleisen in Busch gepinkelt und weitergelaufen. Beinahe hätte ich mich noch auf die Nase gelegt, weil ich nicht damit gerechnet hatte, dass meine Beine so schnell verlernen würden wie sie sich beim Laufen zu bewegen haben.
Doch langsam schien ich mich wieder zu fangen. Atmete immer wieder tief aus um Seitenstechen und erschöpfte Zwischenrippen muskeln zu entlasten. Kopf nach oben, nicht hängen lassen. Ich versuchte zu lachen um mein Gemüt aufzuhellen. So lief ich wieder deutlich gestärkter durch den Europapark. Am Lendkanal rief ich in einem Anflug von Selbstmotivation (die ersten Worte die ich seit 7 Uhr rausgebracht habe) zu meiner Supportcrew "Triumphrunde!!!" und ließ mich an der "Wechselzonenbrücke" von Bekannten aus dem Porec Trainingslager anfeuern. 'Du bist stark! Du bist stark! Kämpfen!'
500 Meter später ging ich. Mir war kotzübel, ich bekam keinen Schluck mehr rein und rettete mich mental noch bis zur Labestation Paternionerbrücke, ehe ich einen Becher wasser schnappte und stehen blieb. Mit dem Becher in der Hand und kleine Schlücke trinkend schlenderte ich aus der Labestation heraus. 'So jetzt weiterlaufen…..ok, aber jetzt…..und los…' die Beine blieben stumm. Ich sah mich mit einem schwerwiegenden Problem konfrontiert. Ich hatte zwei Möglichkeiten. Entweder ich würde mir noch Energie reinwürgen und riskiere am nächsten Busch mich übergeben zu müssen, oder ich laufe erstmal trocken weiter und riskiere ein Treffen mit dem Mann mit dem Hammer. Ich entschied mich für die zweite Variante. Ich blickte nach vorne und da sah ich bereits die nächste Labestation. Ich gab mir eine Ohrfeige und schimpfte mit mir selbst 'Da vorn trinkst du jetzt nen Becher Cola und dann geht’s weiter, wenigstens mit ganz kurzen Schritten!!'. Gesagt getan, mein Wille bäumte sich für einen Moment auf. Ich konnte auch wieder kleine Schlücke Cola trinken. Ich tribbelte langsam los, beschleunigte auf Traben und lief bald wieder halbwegs vernünftig. Der Motor läuft wieder, er stottert ein bisschen, aber er läuft wieder. Diese doofe Rampe tat übrigens tatsächlich richtig weh. Aber ich schwörte mir dort nie unter keinen Umständen hoch oder runter zu gehen. Langsam traben ok, aber nicht gehen. So kämpfte ich mich mit den letzten psychischen und physischen Kraftreserven von Kilometer zu Kilometer. Und dann kam die erste Gewissheit 'Mensch nur noch den Kanal entlang und durch den Park, auf geht’s!'. Ich wurde beflügelt, erhöhte das Tempo. Und erreichte zwischenzeitlich fast wieder das Anfangstempo.
Ich biss die Zähne zusammen, lief unter die Unterführung beim Planwirt (hieß der so???) durch, schloss das Trikot, und da stand sie leuchtend in der Nachmittagssonne, die Fa Dusche. Auf der anderen Seite erwartete mich die Abzweigung. Nicht möglich! Doch! Ich hechtete am Ufer des Wörthersees entlang, die Menschen applaudierten. Die Anspannung, die Qualen fielen auf einmal ab, die ersten Tränen befeuchteten meine Augen. Ich war am Ende, körperlich, psychisch, mental. Und doch lief ich mit der größten Leichtigkeit den Teppich entlang und bog ein allerletztes mal nach links ab. Was da auf mich wartete können nur Finisher nachvollziehen. Zwei Tribünen voll mit Unmengen an Leuten standen jubelnd vor dem Ziel und schienen nur auf einen selbst gewartet zu haben. Ich lief unter der Videoleinwand hindurch. Meine Konzentration des Tages war wie weggeblasen und ich ließ meiner Freude freien Lauf. Ich klatschte mit dem Moderator ab, hob die Arme, schloß die Augen und genoß die letzten Schritte über die Finishline. "You Are An Ironman!"
Ich war angekommen am Ziel. 226km, Schmerzen, Qualen, ein Jahr hartes Training bei mehr miserablen als gutem Wetter, Stress, Schlafentzug, Höhen, Tiefen, mehrere Erkältungspausen, der Kniesupergau im Frühjahr. Das alles fiel auf einen Schlag von meinen Schultern. Ich sackte mit der Medaille um den Hals im hinteren Zielbereich zusammen und lies mich in die Wiese fallen. Dass mir Tränen unter der Sonnebrille herunterliefen fiel mir erst gar nicht auf, war mir aber auch völlig egal.
Ein unglaublicher Tag! DER Tag! Mein Tag!
Meine Hände tasteten nach der Medaille. Die geb ich nichtmehr her....