... dann geht alles gut!
Die Engel waren heute: Der Liebste, meine Freundin Annette, mein Cousin Stefan und ich.
Stefan ist der totale Langschläfer und fand die Idee, morgens um 7 Uhr mit dem Auto nach Gelsenkirchen zu fahren, um dort um 7:30 Uhr zu starten, weniger attraktiv. Aber er radelt eben auch gerne und auch ganz gerne mit uns, so raffte er sich auf, kam schon gestern aus Düsseldorf nach Essen und er hat es nicht bereut, denn wir hatten heute einen ganz wunderbaren Tag auf dem Rad!
Wir sind mit 45 Minuten Verspätung losgeradelt, bei schon schön warmen Wetter. Es war Annettes und mein Saison-Ziel, das wir im letzten Jahr formuliert hatten: 150 km mit dem Rad! Weil es heute in akzeptabler Entfernung keine 150 km RTF gab, hatte Annette eine 150er Tour bei GPSies herunter geladen. Weite Teile davon waren Björn und mir bekannt, da sie sich überwiegend mit der sehr netten RTF deckt, die in Gelsenkirchen Buer im Schatten der Schalke Arena startet. Man ist von dort auch sehr schnell in einer schönen, ländlichen Umgebung und die Strecke führt über kleine Wirtschaftsstraßen ohne Verkehr und das bleibt auch echt lange so. Es gibt viele schöne, schattige Alleen und der Asphalt ist überwiegend gut.
Ich fühlte mich prima, hatte aber auch ordentlich Respekt vor der Strecke, denn 150 km bin ich lange nicht mehr gefahren. Seit meiner Rückenprobleme, die ja vor 6 Jahren begannen, gar nicht mehr. Ich achtete darauf, nicht so dicke Gänge zu treten. Dazu neige ich und habe dann hinterher müde Beine.
Das Wetter war absolut perfekt! Es hätte nicht besser sein können: Schön warm, aber nicht zu heiß, sonnig, nicht windig. Auch die Strecke war für unser Vorhaben perfekt, nämlich kaum hügelig, sondern meistens ganz flach und eben in weiten Teilen ausnehmend schön.
Annettes längste Distanz mit dem Rad waren gut 100 km, Björn ist fit auf dem Rad, Stefan auch. Es ging also darum, dass Annette und ich die Strecke gut bewältigen. Und das hat wirklich super geklappt. Bei der Hälfte hatte Annette die Befürchtung, den Rest nicht gut hinzubekommen, wir haben ihr erst mal Futter gegeben und danach ging es wieder gut. Wir haben zwei längere Pausen gemacht, in denen wir gegessen und herum gesessen haben. Insgesamt haben wir mehr als eine Stunde Pausenzeit gehabt. Am Ende standen 160 km auf dem Tacho, d.h. auf Björns. Meine Uhr zeigt 164 km. Um die 160 km vollzumachen, sind wir hinterher noch schön bescheuert auf dem Parkplatz ein paar Runden im Kreis gefahren. Gerade-Zahlen-Spleen halt, ihr wisst ja. Die reine Fahrzeit betrug 6:40 h. Wahnsinn, früher bin ich 20 km mehr in 40 Minuten weniger geradelt und bin hinterher noch einen Marathon gelaufen. Naja, da war ich aber halt auch jünger und gesünder und vor allem trainierter. Ich bin zufrieden mit der Zeit und damit, dass ich sie echt gut hinbekommen habe.
Unterwegs gab es eine schrecklich-schöne Begebenheit, die mich tief erschüttert hat, zuerst positiv, dann negativ. Wir kamen gerade aus einem Kreisverkehr, da fällt mir auf der benachbarten Weide auf, dass eine Kuh ein winziges Kälbchen schleckt. Ein Motorradfahrer steht daneben und schaut zu. Da schwant mir, was er dann bestätigt: Das Kälbchen war soeben geboren, ca. 2 Minuten, bevor wir kamen, er hatte es gesehen. Hätten wir auch, wenn wir nicht kurz auf Stefan gewartet hätten der pinkeln musste oder war es Björn? Egal. Die Fruchtblase hing der Mutter noch blutig hinten heraus und das Kälbchen lag da winzig und zuckersüß keine 20 m vor uns auf der Wiese. Wir standen länger da und schauten zu, wie die Mutter es versorgte und es dann erste Anstalten machte, aufzustehen, aber immer wieder umkippte. Die Mutter muhte ganz leises und zärtlich, manchmal antwortete das Kleine.
Ich sagte noch: "Der Bauer weiß noch gar nicht, dass er ein neues Tier hat." Von wegen! Als wir gerade beschlossen hatten, noch zu warten, bis es aufsteht, denn die Versuche wurden immer besser und folgten dicht aufeinander, kam der junge Bauer mit einer Schubkarre auf die Wiese. Mir schwante Schlimmes und ich rief ihm zu, dass er doch jetzt nicht das Kalb in die Schubkarre tun will? Doch, das wolle er, sagte er. Ich sagte, dass es doch gerade aufzustehen versucht, aber er meinte, dass es das auch später machen könne. Er hob es dann unsanft an zwei Beinen in die Karre und ich nahm entsetzt zur Kenntnis, dass er mit dem Kälbchen in der Karre auf den Zaun zusteuerte, weg von der Mutter! Ich rief ihm zu, dass er doch nicht das Kalb von der Mutter wegbringen könne und er sagte. "Doch, die sind ab jetzt getrennt!" So schnell, fragte ich, ja, sofort, sagte er und schob die Karre mit dem Kalb weg.
Die Mutter wurde total hektisch und lief auf und ab und rief nach dem Kalb und das antwortete ihr. Es war ein Alptraum! Mir liefen die Tränen und sie kommen jetzt beim Gedanken daran schon wieder. Die Mutter lief herum und suchte ihr Kind, aber sie wird es nie wieder sehen. Grauenhaft!
Natürlich weiß ich, wie Milch produziert wird, dass die Kälber getrennt werden, damit wir Menschen die Milch kriegen, aber es so zu sehen, so grausam und schrecklich wie es ist und wie es jeden Tag ungezählte Male geschieht, ist was ganz anderes. Ich fühlte und fühle mich schlecht und verantwortlich, bin ja auch verantwortlich.
Ich werde nicht umhin kommen, mich noch einmal mit Veganismus auseinanderzusetzen oder mit der Frage, ob ich damit leben kann, für so etwas mit verantwortlich zu sein.
Ich stand noch ein paar Minuten heulend da, bis Björn umdrehte, der mit den anderen weitergefahren war und mich tröstete.
Ich hatte die Befürchtung, den Rest der Tour nicht genießen zu können, aber das war nicht so. Glücklicher- oder schlimmerweise vergessen wir Elend ja oft nur allzu schnell. Ich frage mich gerade, wie lange die Mutterkuh ihr Kind vermissen und suchen wird.
Sonst gab es nur schöne Momente auf der Tour und wir sind alle zufrieden mit dem Tag.
Noch eine witzige Begebenheit: Ich erzählte Annette unterwegs, dass wir ja, falls es heute gut klappt, ganz großkotzig als Saisonziel für 2017 die Ruhrgebiets-Umrundung ins Auge fassen können, die Hoppel hier aus'm Forum kürzlich gemacht hat. Ich erzählte ihr, dass eine Bekannte aus dem Forum das gemacht hat. Mein Cousin fragte: "Ist das I.K. aus Iserlohn?" Er "kennt" sie von Strava, wo er ihre verrückten Aktivitäten schon länger verfolgt und sie seine wohl teilweise auch. Wie lustig und wie klein die Welt ist! Hoppel, falls du das hier liest: Ich soll dich schön grüßen. Hatte vorhin auf der Rückfahrt versucht dich zu erreichen von Björns Handy aus, wenn du dich über die unbekannte Nummer wunderst.
So, Leute, jetzt mache ich mal eine leckere China-Pfanne für den Liebsten und freue mich über den gelungenen Tag.
Ich hoffe, eurer war auch gelungen?
Viele Grüße
J.