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Zitat von qbz
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Als jemand, der seit fast zwanzig Jahren Abonnent der "konkret" ist, darf ich sicherlich der IMO "ein wenig" durch die aktuelle Nähe zu China geprägten Sicht der Autorin diese kurze Zusammenfassung entgegenstellen, ohne Gefahr zu laufen, ein Problem mit "linken" Positionen zu haben:
http://www.lexas.net/laender/asien/tibet/geschichte.asp
Generell muß die Geschichte Tibets und Chinas einerseits im Kontext des 19. und 20. Jahrhunderts gesehen werden, andererseits muß man sich mit der Tausende Jahre alten Kultur und Geschichte Chinas auseinandersetzen, die seit Beginn der vorliegenden Aufzeichnungen durch permanente Veränderung der Staatsgrenzen Chinas durch Eroberung und Niederlagen geprägt ist. Vom chinesischen Standpunkt aus gesehen war und ist es daher nichts Besonderes, daß angrenzende Regionen bzw. Länder bei entsprechender Möglichkeit in das chinesische Reich "integriert" wurden.
Historisch gesehen hätten daher jede Menge Völker und frühere Länder durchaus das Recht, einen Anspruch auf Wiederherstellung ihrer Autonomie zu formulieren, aber entweder existieren sie nicht mehr aufgrund der Verschmelzung mit den anderen chinesischen Völkern oder sie haben keine Organisation, die entsprechendes fordern könnte.
Tibet wiederum war irgendwann mal ein eigenes Reich mit Grenzen bis weit in das heutige China hinein, stand dann unter mongolischer Herrschaft und hat die Besatzung durch Großbritannien bzw. die damalige nahezu hoffnungslose Lage Chinas - die sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts dramatisch verschärft hatte, weil quasi alle Großmächte (England, Frankreich, USA) und Möchtegerns (u.a. auch Deutschland) versucht haben, China brutal zu kolonialisieren - dafür versucht zu nutzen, seine Unabhängigkeit zu erklären.
Übrigens eine Entwicklung, die gerade zu Beginn und im weiteren Verlauf des 20. Jahrhunderts logische Folge der weltweiten Bedingungen in quasi allen Kolonien war: Aufgrund der für uns heute kaum vorstellbaren Ausbeutung, Unterdrückung und teilweise offensichtlichen Vernichtung durch die sog. weißen Herrenmenschen entstanden überall Unabhängigkeitsbewegungen, die zur Bildung neuer Staaten führten.
Die Forderung nach einer Unabhängigkeit Tibets war also ein übliches Zeichen der damaligen Zeit.
Die Mystifizierung Tibets als "Land des Friedens" u.ä. ist typisch westliches Alltagsflucht-Gesülze, das Land selbst war extrem feudal, hierarchisch strukturiert, religiös beherrscht.
Nichts desto trotz ist die Situation im 20. Jahrhundert nun mal eine andere gewesen als in den Jahrhunderten davor: Durfte man da noch allein aufgrund des Recht des Stärkeren annektieren, was einem so vor die Lanze bzw. Kanone kam, so haben die Bildung des Völkerbundes, später der UNO und nicht zuletzt von NATO und Warschauer Pakt dazu geführt, daß Regionen- und/oder Ländergrenzen nicht mehr zu ignorieren und damit zu akzeptieren waren. Somit mündeten alle (oder alle, von denen ich weiß) Einmärsche nach dem Zweiten Weltkrieg in nicht zum eigenen Land gehörige Gebiete in schlußendlich kriegerische Auseinandersetzungen, weil die Überfallenen das nicht mehr akzeptieren wollten oder eine der beiden Blockmächte was dagegen hatte. (Wobei mit Einmärschen hier nicht nur die "offiziellen" gemeint sind, sondern auch die noch zahlreicheren durch die jeweiligen Geheimdienste finanzierten Bewegungen, die das jeweils herrschende System dann zum Sturz bringen sollten).
Ob Korea, CSSR, Vietnam, generell Indochina, Mittel- und Südamerika, Afrika oder der Nahe Osten - die Liste ist leider ewig.
Um endlich auf den Punkt und ins Bett zu kommen:
- Tibet ist 1951 überfallen und gegen seinen Willen annektiert worden. Punkt.
- Wäre das ein paar Jahre oder Jahrhunderte vorher passiert, hätte kein Hahn gekräht, Mitte des 20. Jahrhunderts bis heute sieht die Sache halt anders aus.
- Ob Tibet zu diesem Zeitpunkt ein "gutes" oder "böses" Land war, ist vom Standpunkt des Völkerrechts vollkommen wurscht.
- Und nicht nur wurscht, sondern eher übler Ausdruck einer missionarischen "Wir-bringen-Euch-doch-nur-Gutes"-Haltung ist die Aussage, daß China ja den Fortschritt nach Tibet gebracht habe. Das war die klassische Rechtfertigung ALLER Kolonial- und Blockmächte seit mehr als einem halben Jahrtausend und ist es heute immer noch bis hin zu Bush, Putin & Co.
Soll heißen: "Free Tibet?" - ja, aber nicht von China, sondern nur MIT China, d.h. es muß ein Dialog in Gang gesetzt werden, der die Autonomiebestrebungen der Tibeter (wenn diese denn mal auf bestimmte Forderungen kanalisiert wären) sowie die historische und aktuelle Situation Chinas berücksichtigt.
Einfache Schwarz-Weiß-Malerei ist hier nicht, wie ja immer im Leben.
Gute Nacht: Michel
PS.: Tipfehler dürft Ihr behalten, habe jetzt keine Lust mehr korrektur zu lesen.