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Zitat von Anja
Ich hab manchmal das Gefühl essen hat die Natürlichkeit verloren, die Normalität, die es eigentlich haben sollte. Essen muß immer entschuldigt oder erklärt werden, ist mit schlechtem Gewissen verbunden und mit Erklärungen verbunden. Schade - gehört es doch zu den essentiellen Dingen im Leben.
Anja
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Hallo Anja,
ich stimme dir absolut darin zu, dass Essen seine Natürlichkeit verloren hat. Du hast damit in anderen Worten im Grunde das ausgedrückt, was auch eine Botschaft des 1.Teils meines Essays ist: Wir sollten versuchen, einen "natürlichen", unserer Art gerechten Lebenstil wieder für uns zu entdecken, der neben der Bewegung (und weiteren Dingen wie dem Umgang mit der Zeit, die gleichberechtigte Stellung von Mann und Frau zb) das Essen einschließt.
Ich habe den im Essay genannten Wissenschaftlern Eaton, Shostak und Konner folgend die Definition von "Natürlichkeit" der Ernährung an die evolutorische Entwicklung gekoppelt, die unseren Stoffwechsel adaptiert hat. Offensichtlich an einer Nahrungsgrundlage orientiert, die bis vor ca. 10.000 Jahren zur Verfügung stand und von unseren Ahnen konsumiert wurde.
Wenn Du nun - richtigerweise - konstatierst, dass Essen eine vom Intellekt und von sozialen Aspekten beherrschte Angelegeheit geworden ist, dann scheinen da offensichtlich in den letzten 10.000 Jahren einige Dinge geschehen zu sein, die dies verursacht haben.
Da haben wir die sozialen Verwerfungen der neolitischen Revolution und die den Menschen sicherlich bewußt gewordene Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes, denn Ackerbauern und Viehzüchter und Jäger und Sammler lebten viele tausend Jahren parallel ihren Lebensstil. Ob sie diesen Verfall ihrer Gesundheit ursächlich mit ihrer Ernährung verstanden ist nicht bekannt, jedoch wissen wir, seit es schriftliche Überlieferungen gibt, dass sich die herrschenden Klassen der "Zivilisationen" mit Gewalt das Privileg des Fleischessens sicherten, während sie von ihrer anwachsenden Schar von "Untertanen" verlangten - teils unterstützt mit religiösen Argumenten (ja, Religion ist eine Erfindung der Menschen!

) - dass es "Sünde" sei, Fleisch zu essen. So ist zb das religiös erklärte Verbot Rinder zu essen in Indien eindeutig auf diesen Zusammenhang rückführbar.
Dann kam die "Erfindung" industriell manipulierter und heute dann gentechnisch manipulierter Nahrung als weiterer Faktor der Verunsicherung hinzu. Wenn ein Mensch von Kindesbeinen an nur regelmäßig genug infiltriert wird, dass zuckergussüberzogene Maisflocken oder eine Nussnougatcreme ein "gesundes" und "vollwertiges" Nahrungsmittel seien, dann wird er es verinnerlichen. Mit Sicherheit findet sich auch ein opportunistischer Wissenschaftler, der entsprechende Studienergebnisse zur Glaubhaftmachung solcher Claims beisteuert, mit der die warnenden Stimmen von Leuten relativiert werden sollen.
Weitere erhobene Zeigefinger recken sich aus der moralinsaueren Ecke in die Höhe, die uns weismachen wollen, dass es moralisch-ethisch verwerflich sei, sich artgerecht und seiner eigenen Gesundheit zuträglich ernähren zu dürfen, weil so die ausufernd wachsende Weltbevölkerung hungern müsse oder unser Planet am Öko-Gau zugrunde ginge.
Da wird das Pferd von hinten aufgezäumt. Statt sich Gedanken zu machen, wie man binnen einiger Generationen die Weltbevölkerung drastisch reduzieren könnte (gezielte Bevölkerungspolitik, Renten- und Sozialsysteme, Bildung vor allem für Frauen Gleichberechtigung usw), damit
alle Menschen artgerecht und ökologisch sauber ernährbar sind, bastelt man an den Rahmenbedingungen für weitere Eskalationen des Bevölkerungswachstums. Viele hungrige Mäuler sind viele Konsumenten für unsere Konzerne, bedeuten Marktwachstum und hohe Profite. Schrumpfende Bevölkerung bedeuten das Gegenteil.
Ich finde es grotesk wie sich viele wohlmeindende Menschen für diese Interessen vereinnahmen lassen, die sie offensichtlich nicht durchschauen. Selbst die Moralisten unter den Vegetariern sind sich nicht zu schade sich zu Erfüllungsgehilfen der Wirtschaftsinteressen zu machen, nur weil diese zufällig in die gleiche Richtung weisen wie ihre ideologischen Überzeugungen.
Kurzfristiges Flickschustern an den Weltproblemen, partielles statt ganzheitliches Denken dominiert den langfristigen Blick. Kann das gut gehen?
Das zentrale Problem sind m.E. die wirtschaftlichen Interessen der getreide-, mais- kartoffel- und milchabhängigen Agrarwirtschaft und Lebensmittelindustrie mit ihrem Tross an von ihnen abhängigen Wissenschaftlern und Politikern. Ich empfehle einfach mal als Beispiel die Website der Zuckerverbände anzuschauen, wie dort der Zucker als nahezu ideales gesundheitsfreudliches Nahrungsmittel präsentiert wird :
http://www.zuckerverbaende.de/5_1.html
Wenn man sich heute in einen durchschnittlichen Supermarkt begibt, sind 90% der mit Lebensmitteln belegten Verkaufsfläche mit Waren vollgestopft, die man getrost als Junkfood bezeichnen kann, weitere 5% gehören den Produkten der neolitischen Revolution und der Rest ist das, was ich als "natürliche Nahrungsmittel" bezeichne. Wie soll man da als Laie nicht verunsichert sein, wenn man selbst für sich das Gefühl hat, dass das eigene Wohlbefinden im Argen liegt, die Ernährung damit wohl etwas zu tun haben könnte, andererseits man aber von allen Seiten widersprüchliche Botschafen ins Ohr geblasen bekommt?
Ich habe für mich persönlich entschieden, dass Eaton, Konner und Shostak recht damit haben, dass es eines Paradigmas bedarf, denn ohne dieses sind Begriffe wie "gesunde" und "natürliche" Ernährung völlig beliebig besetzbar. Hat man diesen gedanklichen Ausgangspunkt (man möge gerne weitere tragfähige Paradigmen vorschlagen - bislang gibt es keine!), so fällt die Gestaltung der eigenen Ernährung um vieles leichter.
Die Prinizipien, die auf dem Paradigma aufbauen befolgend kann man dann in sich hineinhören und -spüren und merkt, ob diese Ernährung eine Steigerung der Lebensqualität mit sich bringt oder nicht. Ich für meinen Teil bin absolut überzeugt davon, dass die Paleo-Ernährung von der Grundidee nicht nur mir, sondern jedem Menschen gut tut. Eben wegen der Richtigkeit des evolutorisch-genetischen Ansatzes und wegen ihrer individuellen Anpassbarkeit.
Wie Du richtig geschrieben hast, Anja - Essen zählt zu den essentiellen Dingen des Lebens. Wir haben es mit Inhalten überfrachtet. Es ist an der Zeit wieder zur Natur zurückzukehren! Zu unserer Natur.
Gruß Robert