In der Mai-Ausgabe des „Nervenarztes“ fand ich einen durchaus interessanten Artikel, der sich mit Verhaltenssüchten beschäftigt. In dem Artikel wird die Substanzabhängigkeit mit der Verhaltenssucht verglichen. Hierzu zählen vor allem exzessive Verhaltensweisen wie Glücksspielsucht, Computer- und Internetsucht, Kaufsucht, exzessives Sexualverhalten und pathologisches Essverhalten. So weit, so gut.
Ich musste mir zuletzt allerdings anhören, dass ich durchaus auch einer Sucht verfallen sei, nämlich der Sportsucht! Da musste ich dann doch lachen. Wenn ich mir anschaue, wie viel andere hier im Forum trainieren. Dagegen bin ich nahezu ein fauler Schweinehund. Ist offenbar alles eine Sache der eigenen Betrachtungsweise oder, wie Einstein gesagt hätte: Alles ist relativ. Für jemanden, dessen sportliche Betätigung darin liegt, sich von der Couch zum Kühlschrank zu bewegen, wäre jemand, der zweimal die Woche 10 Kilometer laufen geht, schon „sportsüchtig“. Dagegen wäre diese Person für einen Sportler, der sich gerade auf ´nen Ironman vorbereitet, ein fauler Hund. Also: Alles eine Frage des eigenen Horizonts und darüber hinaus der eigenen Toleranz.
Ich habe mich dann doch mal mit dem Begriff der „Sportsucht“ befasst, die im ICD-10 keine Erwähnung findet. Allenfalls fällt sie unter die Verhaltenssucht, siehe oben.
„Betroffene leiden unter dem inneren Zwang, sich sportlich zu betätigen, ohne jedoch Wettkampfambitionen zu haben“, so steht es in Wikipedia. Okay, nicht gerade Fachliteratur, aber immerhin. Damit bin ich und die meisten hier NICHT sportsüchtig!
Viele Sportsüchtige leiden wohl zusätzlich unter einer Anorexia athletica. Bedeutet: Gewichtsreduktion durch Training. Trifft bei mir nicht zu. Ich esse gerne mal den Kühlschrank leer. Dann steht da was von „Muskelsucht“. Haha, trifft für Dreiviertel der McFit-Besucher bestimmt zu.
Hier also die offiziellen Kriterien der Sportsucht (Marc Castillon, 2007: Das Phänomen der Sportsucht)
• Ausdauersport ist ein zentraler Lebensinhalt
• bei erzwungenem Verzicht auf Sport treten körperliche Symptome wie Nervosität und Magenschmerzen auf oder psychische wie Schuldgefühle oder Depressionen
• die Belastung wird kontinuierlich gesteigert
• der Drang zu trainieren wird als innerer Zwang erlebt
• körperliche Warnsignale vor Überlastung werden ignoriert
• es wird auch bei Verletzungen weiterhin trainiert
• soziale Kontakte werden wegen des Sports vernachlässigt oder aufgegeben
zu 1.
Hmm, ja schon, gibt aber auch andere wichtige Dinge im Leben
zu 2.
Joaa, hmm, vielleicht …. Also gut, ja, mein Gott
zu 3.
Haha, schön wär´s. das scheitert schon an meiner wenigen Freizeit! Und daran, dass ich nicht NUR Sport machen möchte.
zu 4.
Zwang? Nö, ich mach´s eigentlich sehr gern! Als Zwang würde ich es nicht bezeichnen.
zu 5 und 6.
Das passiert bestimmt mal, ist aber nicht die Regel. Wenn ich merke, es läuft nichts mehr, dann ist Ruhe angesagt. Erkältungen ignoriere ich nie, da hätte ich zu viel Angst, richtig krank zu werden.
Zu 7.
Gut, zugegeben, die sozialen Kontakte leiden ein wenig. Selbst Schuld! Weshalb sind die auch keine Ausdauersportler!

Fazit: Nicht süchtig. Oder zumindest nicht hoffnungslos süchtig.
Gerade finde ich die allgemeinen Kriterien der Verhaltenssucht (Seifert et al. (2011): Neurobiologie der Sucht und Brain Imaging. Spektrum Psychiatr. 2:11-13)
1. Drang dem Verhalten nachzukommen.
2. Toleranzentwicklung und Steigerung.
3. Kontrollverlust, das Verhalten einzuschränken, zu beginnen und zu beenden.
4. Entzugssymptome (Gereiztheit, Anspannung, Unruhe)
5. Vernachlässigung anderer Aktivitäten und Interessen
6. Gefährdung sozialer Beziehungen und des Arbeitsplatzes, Fortsetzung des Verhaltens wider besseren Wissens und trotz psychischer und körperlicher Folgeschäden
Für mich gilt: Manches trifft vielleicht zu, einiges weniger, vieles überhaupt nicht. Ich würde mich erstmal nicht als Suchti bezeichnen.