Nein, das hatte ich natürlich nicht zu dem wildfremden Mann gesagt. Aber er hatte mich schon sehr skeptisch angeguckt als ich ihn ansprach. Dabei war ich dem Mann mit Vollbart und getönter Gleitsichtbrille nach der Ziellinie einfach nur hinter gehechtet und hatte ihn gefragt, welche Startnummer er denn habe. Ich hatte nämlich keine. Denn: Wir waren mal wieder verdammt spät dran gewesen.
Als ich um exakt 14.35 Uhr zwei Damen mittleren Alters fragte, ob ich mich am richtigen Stand für die Nachmeldungen befände, sagten sie mir: "Ja, aber wir nehmen keine Nachmeldungen mehr an!" Da stand ich nun mit meinen 10 Euro in der Hand und machte erst mal eins: ein richtig dummes Gesicht. Auf der anderen Seite: Für einen Wohltätigkeitslauf über fünf Kilometer ist das ja schon fast als Diskriminierung anzusehen, wenn man da nicht mit darf. Wenn ich das Geld nicht abgezählt dabei gehabt hätte, hätte ich selbstverständlich eine Spende obendrauf gepackt. Aber so schlich ich mich nur betrübt von dannen.
Mann und Kind waren auf und davon, einen Parkplatz zu suchen, und jetzt versuchte ich die beiden zu suchen. Aufgeregt wedelte ich mit meinem 10-Euro-Schein als die beiden mir entgegen kamen. Meine Mann bot an, es noch mal bei den bärbeißigen Nachmeldemiezen zu versuchen und joggte quiekend los. Das Quieken hatte ich ihm eingebrockt. Meine Frage am Morgen hatte nämlich gelautet: "Gehst du jetzt drei oder vier Runden laufen?" Er hatte ein wenig empört reagiert, denn er hatte eigentlich nur ein oder zwei Runden unter seine Hufe bringen wollen. Aber der Stachel saß zwei Runden lang so tief, dass er noch eine dritte ranhängen musste. Und nun schmerzten die Gräten ein wenig. Späte Rache für neulich, will ich meinen. Meine Körperkerntemperatur scheint nämlich direkt und unmittelbar von der aufgenommenen Nahrungsmenge und -dichte abzuhängen. Als ich mich also neulich dazu äußerte, dass mein ehemaliger Astralkörper ein einziger Feuerball sei, fragte mein Mann so ganz ruhig: "Wechseljahre?" Und ich fragte genau so freundlich und einfühlsam zurück: "Kopfnuss?". Ich bin mir sicher, dass er das kleine Scharmützel schon längst vergessen hatte, aber ich hatte auf den richtigen Augenblick gewartet und mich gerächt. Im taktischen Bereich mache ich derzeit wirklich große Fortschritte stelle ich mit großer Begeisterung fest.
Auch mein Mann kommt ohne Startnummer zurück, aber mit dem Hinweis, ich solle einfach so mitlaufen, hätten die Damen empfohlen. Gute Idee. Wer zum Start joggt, spart sich das Warmmachen. Peng, der Schuss. Mann und Kind winken fröhlich. Ich überlege, warum ich die beiden nicht einfach mit einer Spielzeugpistole aus dem heimischen Kinderzimmer bewaffnet in den Eichwald bei uns hinterm Haus gestellt habe. Das hätte doch eigentlich den selben Effekt gehabt.
Ich laufe und überhole unter anderem eine Sabine. Darauf bin ich sehr stolz. Denn: Wer sich seinen Namen auf seine Klamotten drucken lässt, nimmt seinen Sport Ernst, und der Name verrät außerdem, dass sie meine Altersklasse sein müsste. Zwei Fliegen mit einer Klappe. Und beide tot. Kurz vorm Ziel gröhlen irgendwelche Männer am Wegesrand ihrem laufenden Kumpel zu: "Gib Gas, da ist ein Mädel hinter dir!" Wer so was hört, kann das Alter der engagierten Zuschauer ungefähr einschätzen. Ich überhole ihn und denke daran, was mein Sohn immer sagt: "Mama, ich bin schnell wie Blitz!" und verkneife mir mit Mühe ein kleines Kichern. Im Ziel gibt´s keine Anzeige. Ich suche Augenkontakt mit meinem Mann, haue hektisch mit der rechten Hand auf´s linke Handgelenk, ziehe die Augenbrauen hoch und warte auf ein paar Zahlen, die er mir gleich zurufen wird. Er guckt und brüllt: "Habe ich nicht genommen." Dann hechte ich dem Mann vor mir hinterher und frage ihn nach seiner Startnummer. Sollte es irgendwo im weltweiten Netz eine Ergebnisliste geben, dann werde ich sie finden und wissen, dass die Nummer 261 kurz vor mir ins Ziel gelaufen ist. Gespannt bin ich auch, wie der Mann heißt. Ich tippe ja auf Wolf-Dieter, aber ich lasse mich auch gern überraschen.
Am Sonntag dann RTF in Karben. Ich fahre mit massig Zeitpuffer los und komme doch so gerade noch pünktlich. Crema Catalana kümmert sich rührend um mich. Ich darf ganz viel in ihrem Windschatten fahren. Auch sonst darf ich mich total entspannen, denn Crema macht den Guide für mich hier auf ihrer Heimatrunde und sagt jede Abbiegung an. Sie fährt super und unglaublich gleichmäßig. Ich vermute, auf der ganzen Strecke schaltet sie drei Mal. Großzügig geschätzt. Als ich wieder zu Hause bin, habe ich 135 Kilometer auf dem Tacho. Ein schöner Tag. Danke, liebe Crema

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