Das ist mir zu sehr der Regierungsarbeit "nachgelagert", um wesentliche Wirkung zu entfalten. Das Modell, von dem die Rede war, entspricht dem Prinzip, daß die Regierung keine klare Mehrheit braucht, sondern je nach Thema wechselnde Mehrheiten. Das bräuchte man dann schon im Bundestag.
Bei dem Modell würde ja das Thema Fraktionszwang an Bedeutung verlieren, so daß wechselnde Mehrheiten und breitere Meinungsstreuungen je nach Thema möglich sind. Die Abgeordneten sind vielfältiger als die Parteiprogramme. Und natürlich müßte dann die Paranoia "ich darf nie so stimmen, wie die AfD oder BSW (egal wie sinnvoll es sein könnte)" wegfallen, weil es ja auf Einzelstimmen ankommt, und auch die AfD nicht mehr geschlossen abstimmen würde (im Idealfall).
Das klingt so schön romatisch, ist es aber nicht. Wir haben genau dieses Situation in unserem Stadtparlament. 5 Fraktionen plus 2 fraktionslose Abgeordnete ohne feste Koalition. Das funktioniert wirklich schlecht und ist keineswegs hilfreich. Wir sind mit 37 Personen noch ein überschaubarer Haufen und es gibt auch keine wirklich strenge Fraktionsdisziplin. Trotzdem ist es in einem solchen Konstrukt nahezu unmöglich, irgendwelche Mehrheiten zu organisieren. In einem Parlament mit 600+ Leute geht in einem solchen Chaos-Modus gar nichts; die Weimarer-Republik ist unter anderem daran gescheitert.
Wir sind mit 37 Personen noch ein überschaubarer Haufen und es gibt auch keine wirklich strenge Fraktionsdisziplin. Trotzdem ist es in einem solchen Konstrukt nahezu unmöglich, irgendwelche Mehrheiten zu organisieren.
Wieso eigentlich? Wenn es um eine Entscheidung über eine Vorlage geht, gibt es nur pro, contra oder Enthaltung. Warum kommt da nicht eine einfache Mehrheit für ein Thema zustande? Bei 13-12-12 Stimmen im schlimmsten Fall es ja auch entschieden für die 13. Und meistens wird es wohl nicht so knapp sein. Setzt natürlich voraus, daß ich nicht "Mehrheiten organisieren" muß vor der Abstimmung, wo sich vielleicht keiner offen festlegen will (oder sich nicht traut, wenn man in der Fraktion nicht gegen die Leitung stimmen darf), sondern einfach nach entsprechender Vorinformation anonym abstimmen lasse, und schaue, was rauskommt.
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“If everything's under control, you're going too slow.” (Mario Andretti)
@qbz: ich finde Deinen Blick aus die Schweiz aus der Uckermark/Berli. immer total interessant, die Konkordanzdemokratie hatte ich nicht auf dem Schirm
Preisfrage an alle: Wer ist der Scholz oder Macron der Schweiz, na?
glaubst Du das wäre ein lebbares Prinzip für grosse Industrienationen, ohne Tradition in diesem Modell?
m.,
Ich bin in meinem politische Modellwissen westdeutsch sozialisiert, da kommt immer das Gespenst von Weimar um die Ecke wenn es keine stabile Zweiparteien-Koalitionen gibt und es ist nicht Goethe…
Wieso eigentlich? Wenn es um eine Entscheidung über eine Vorlage geht, gibt es nur pro, contra oder Enthaltung. Warum kommt da nicht eine einfache Mehrheit für ein Thema zustande? Bei 13-12-12 Stimmen im schlimmsten Fall es ja auch entschieden für die 13. Und meistens wird es wohl nicht so knapp sein. Setzt natürlich voraus, daß ich nicht "Mehrheiten organisieren" muß vor der Abstimmung, wo sich vielleicht keiner offen festlegen will (oder sich nicht traut, wenn man in der Fraktion nicht gegen die Leitung stimmen darf), sondern einfach nach entsprechender Vorinformation anonym abstimmen lasse, und schaue, was rauskommt.
Wie ich schon sagte, du hast total romantische Vorstellung davon, wie so eine Mehrheitsfindung abläuft. Gehe einfach nicht davon, aus sich Jede und Jeder völlig neutral und unabhängig eine eigene Meinung zu einem Thema bilden und kann und bilden will. So eine Sitzungsvorlage bei uns hat gerne mal 1000 Seiten, speziell wenn Bauvorhaben enthalten sind. Die wenigsten haben die Zeit, das alles zu lesen. Also teilt man die Arbeit in der Fraktion auf, die Themen werden von einzelnen Leuten bearbeitet und den anderen erklärt (jedenfalls bei uns). So versuchen wir, alle Themen abzudenken und uns eine gemeinsame Meinung zu bilden. Das klappt meistens, aber nicht immer. Im Zweifel stimmen wir dann auch uneinheitlich ab.
In der Zusammenarbeit mit den anderen Fraktionen spielen dann noch viel mehr Faktoren eine Rolle, wie grundsätzlich unterschiedliche Positionen, aber auch viel Unkenntnis, Unverständnis, Emotionen, zwischenmenschliche Zu- und Abneigungen usw. Im Zweifelsfall wird eine Vorlage eher abgelehnt, schon so rein "aus Prinzip" oder aus Vorsicht oder einfach nur, um dem "politischen Gegner" keine Erfolg zu gönnen.
Politik ist kein rein vernunftbasierter Prozess, Menschen sind eben emotionale Wesen. Emotionen spielen oft eine größere Rolle, als rationale Argumente. Das kann und sollte man nicht außer Acht lassen, wenn man über politische Systeme spricht.
glaubst Du das wäre ein lebbares Prinzip für grosse Industrienationen, ohne Tradition in diesem Modell?
m.,
Ich bin in meinem politische Modellwissen westdeutsch sozialisiert, da kommt immer das Gespenst von Weimar um die Ecke wenn es keine stabile Zweiparteien-Koalitionen gibt und es ist nicht Goethe…
Ich wollte eigentlich nur auf ein anderes Modell aufmerksam machen. Es setzt halt vor alllem Kompromissbereitschaft von den Parteien voraus. Daran hat es in der Weimarer Republik IMHO gefehlt. Wenn man wie im verlinkten TAZ-Artikel eine Zusammenarbeit strikt ablehnt und gleich Neuwahlen fordert, weil man sich für bestimmte Parteien davon kurzfristige Vorteile verspricht, ähnelt ein solcher Vorschlag eigentlich eher dem Verhalten in der Weimarer Republik.
Eine Rolle spielt sicher auch, dass in der CH die Parteien immer im Hinterkopf haben müssen, ob ein neues Gesetz, neue teure Vorhaben etc. gegebenfalls eine Mehrheit finden würden bei einer Volksabstimmung, was sie quasi zu Kompromissen im Parlament drängt. Inwiefern eine Konkordanz(Konsens)demokratie ohne Referendumsrechte auf Dauer gelingt, weiss ich auch nicht. Es ist auf jeden Fall ein Weg, die extremistischen Parteien nicht zur bestimmenden Macht werden zu lassen und die wählerstarken Parteien zu verpflichten, Minderheiten einzubinden, über Kompromisse.
Daraus: Michael Kretschmer und Mario Voigt, Ihre Parteikollegen in Sachsen und Thüringen, werden sich nun mit dem BSW verständigen müssen, um regieren zu können. Geht das?
Na ja, das BSW ist im programmatischen Kern sowie in Person und Werdegang seiner Namensgeberin eine linksextreme Partei.
Linksextrem? Dann könnte die CDU aber nicht mit dem BSW zusammenarbeiten.
Wagenknecht stammt aus der Kommunistischen Plattform. Das stalinistische Erbe ist unübersehbar, denken Sie nur an den Personenkult. Noch nie hat sich eine Partei in Deutschland nach einer Person benannt. In vielen Fragen stimmt das BSW aber auch mit der AfD überein, etwa in der Flüchtlingspolitik. Zudem gibt es die Partei eigentlich noch gar nicht flächendeckend. Ich kenne hier in Sachsen-Anhalt kein einziges BSW-Mitglied. Niemand weiss, was da entsteht.