Er war aber, gegenüber dem Sohn des Arztes im Dorf, sehr deutlich im Nachteil. Wenn der Bauerssohn 20 Stunden pro Woche jobben muss und der Arztsohn nicht: Wessen erfolgreicher Studienabschluss ist dann wahrscheinlicher?
..... Man sollte nicht zu viel immer von der Politik oder vom Staat erwarten, sondern einfach selber machen.
Sorry, mit Einzelällen (Ausnahmen) kann man doch die damaligen sehr grossen sozialen Klassenbenachteiligungen im Bildungsbereich nicht relativieren oder leugnen. 1930 konnten 4-5 % eines Jahrganges ein Abitur machen, davon nur 5-10 % Mädchen. ---> In der Regel nur männliche Kinder aus wohlhabenden Familien.
Ich finde, dieser Kommentar bringt es gut auf den Punkt, was in letzter Zeit etwas schief läuft in diesem Land (u.a.):
Er kollidiert halt komplett mit den Tatsachen. Es wird auch hier die Legende genährt, der Staat verkomme mehr und mehr zur sozialen Hängematte für Leistungsverweigerer.
In den letzten Jahrzehnten haben aber nicht die Sozialtransfers nach unten, sondern die Umverteilung hin zu den Reichen stark zugenommen. Das komplett risikolose Leben findet hinter goldenen Türklinken statt und nicht im Arbeiterviertel.
Er war aber, gegenüber dem Sohn des Arztes im Dorf, sehr deutlich im Nachteil. Wenn der Bauerssohn 20 Stunden pro Woche jobben muss und der Arztsohn nicht: Wessen erfolgreicher Studienabschluss ist dann wahrscheinlicher?
Es gab im Dorf gar keinen Arzt vorher. Und jobben mußte keiner, talentierte Schüler bekamen ein Stipendium und Unterkunft im Internat, falls die Eltern das Lehrgeld nicht hatten. Das Prinzip finde ich sogar besser, als einen leistungsunabhängigen Bafög.
Zitat:
Zitat von qbz
Sorry, mit Einzelfällen (Ausnahmen) kann man doch die damaligen sehr grossen sozialen Klassenbenachteiligungen im Bildungsbereich nicht relativieren oder leugnen. 1930 konnten 4-5 % eines Jahrganges ein Abitur machen, davon nur 5-10 % Mädchen. ---> In der Regel nur männliche Kinder aus wohlhabenden Familien.
Die Zahlen haben vorwiegend mit dem gesellschaftlichen Bild über Bildung und dessen Wert zu tun, das hat sich ja massiv geändert. Meinem Eindruck nach war das aber in Deutschland schon immer etwas anders, als in Siebenbürgen. Ich habe hier schon Leute kennengelernt, bei denen der Vater beleidigt war, daß der Sohn etwas besseres werden will, als der Vater - für mich unvorstellbar. Dort war es eine stark verbreitete Bestrebung, eines der Kinder zu einer höheren Bildung zu verhelfen, als die Eltern es hatten; die ersten Stipendien und Internatsschulen wurden bereits im 16. Jahrhundert eingerichtet. Natürlich hatten es Reiche etwas leichter, und waren von Haus aus durch die Eltern mehr gefördert, das ist immer noch so und wird wohl so bleiben. Daß heute ganz so viele Abitur machen, ist übrigens kein Zeichen von Bildungsfortschritt, sondern von einer Entwertung des Abiturs.
Im Kommunismus nach 1949 wollte man es besser machen, und hat Quoten für Arbeiter- und Bauernkinder eingeführt. Das war dann völlig unabhängig von der Leistung. Talentierte Schüler aus gebildetem Elternhaus mußten teilweise als Hilfsarbeiter enden, an die Unis kamen teilweise Leute, die gar nicht geeignet waren. Als ich in dem Alter war, kehrte man doch weitgehen zum Prinzip von Aufnahmeprüfungen zurück, da es zuvor offensichtlich ein Irrweg war zu versuchen, alle sozialen Schichten gleich zu beteiligen. Chancen schaffen ist richtig, "Gleichheit" aller sozialer Schichten wird nie erreicht.
Zitat:
Zitat von Klugschnacker
Es wird auch hier die Legende genährt, der Staat verkomme mehr und mehr zur sozialen Hängematte für Leistungsverweigerer.
diese Kampfbegriffe habe ich daraus nicht herausgelesen. Tatsache ist, daß die Gesellschaft sich zunehmend in Richtung einer übertriebenen Absicherung aller denkbaren Risiken entwickelt statt die Eigenverantwortung zu stärken (s. Sicherheitsfachkraft-Wesen, Corona, u.ä.), und ein Teil davon ist auch die Erwartung an den Staat, alles Mögliche abzufangen.
Zitat:
Zitat von Klugschnacker
In den letzten Jahrzehnten haben aber nicht die Sozialtransfers nach unten, sondern die Umverteilung hin zu den Reichen stark zugenommen. Das komplett risikolose Leben findet hinter goldenen Türklinken statt und nicht im Arbeiterviertel.
Ich sagte nie etwas von komplett risikolos, es geht aber um steigende Erwartungen. Und es fand beides statt. Große Vermögen vermehren sich naturgemäß absolut stärker als kleine, also werden Reiche auch reicher. Der steigende Umfang der Sozialausgaben zeigt aber auch den steigenden Transfer nach unten, auch wenn das Geld oft nicht dort ankommt, wo es am meisten benötigt wird, und allzuviel von überbordender Bürokratie und Staatsapparat sinnlos verbrannt wird. Der Kreis der Bezugsberechtigten wurde auch ausgeweitet, und die Ampel hat versucht, die Motivation zur Eigeninitiative zu reduzieren mit dem Bürgergeld statt Hartz 4 - was offensichtlich jetzt wieder korrigiert wird.
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“If everything's under control, you're going too slow.” (Mario Andretti)
Back on topic:
Wird Wagenknecht bzw BSW (bis auf weiteres gleichzusetzen, vielleicht bricht es ihr sogar symbolisch das Genick, alles kontrollieren zu wollen) in den Ländern Regierungsverantwortung übernehmen?
Ich glaube nein, wie weiter oben beschrieben.
Doch, sowas war schon immer auch ohne entsprechende Politik möglich. Mein Großvater (noch im 19. Jahrhundert geboren, im damals noch sehr feudalen Ungarn) als einer von 10 Bauernsöhnen hat sogar Medizin studiert, weil die Familie den talentierten Sohn finanziell soweit unterstützt hat, wie es konnte.
Und was war mit den anderen 9 Bauernöhnen? Warum hat nur einer studiert?
Zitat:
Zitat von Schwarzfahrer
Und es lag auch nicht an der Busfahrkarte - er ging zu Fuß zur Schule (8 km täglich einfach), und auch zum Studienort (70 km weg), nur zweimal im Jahr Heimatbesuch gemacht. Man sollte nicht zu viel immer von der Politik oder vom Staat erwarten, sondern einfach selber machen.
....
Ganz so wild war es bei mir nicht. Aber ich habe auch täglich manchmal Stunden im Bus verbracht. Morgens zur Schule und zurück. Abends zum Schwimmtraining und zurück. Das ist auch der Grund, warum ich jetzt Busfahren meide, wo es nur geht.
Ich habe auch keine Lust auf dieses damalige Leben.
Und natürlich sollte man vom Staat und der Poltik viel erwarten. Ich wähle sie und zahle viel Steuern. Ganz im Gegenteil: man sollte viel genauer hinschauen.
Und was war mit den anderen 9 Bauernöhnen? Warum hat nur einer studiert?
ER hatte die Begabung und Interesse fürs Studium; der Dorflehrer hat ihn dann "auf den Weg" gebracht. Die Brüder und Schwestern blieben überwiegend in der traditionellen Rolle als Landwirte, die jüngste Schwester wurde Diakonisse (damals vor allem Pflegeberuf). Die nächste Generation dieser Geschwister hat dann (entsprechend dem sich ändernden Zeitgeist) schon einen Pfarrer, einen Lehrer und einen wohlhabenden Großbauern als regionaler Arbeitgeber hervorgebracht - jeder nach seiner Neigung und Talent.
Zitat:
Zitat von keko#
Ganz so wild war es bei mir nicht. Aber ich habe auch täglich manchmal Stunden im Bus verbracht. Morgens zur Schule und zurück. Abends zum Schwimmtraining und zurück. Das ist auch der Grund, warum ich jetzt Busfahren meide, wo es nur geht.
DA hatte ich Glück, alles in meiner Jugend war in kleineren Orten, meist fußläufig erreichbar (wenn auch bis zu 40 Minuten Fußweg). Sogar zum Skifahren sind wir öfter von zu Hause aus auf die umliegenden Hügel hinausgelaufen, und dort nach jeder Abfahrt zu Fuß hochgelaufen. Letzteres habe ich während Corona in Heidelberg wieder machen müssen - hat bei mir eher schöne Erinnerungen geweckt.
Zitat:
Zitat von keko#
Ich habe auch keine Lust auf dieses damalige Leben.
Ich würdige auch viele Fortschritte, aber unter vielem haben wir damals auch nicht unbedingt gelitten. Nicht zu wissen, wann es Strom oder Heizung gibt, nicht das kaufen zu können, was man gerade braucht, sondern das, was es gerade gab, achten zu müssen, wo bzw. zu wem man was sagt - das waren die Einschränkungen, nicht die kleinen Unbequemlichkeiten.
Zitat:
Zitat von keko#
Und natürlich sollte man vom Staat und der Politik viel erwarten. Ich wähle sie und zahle viel Steuern. Ganz im Gegenteil: man sollte viel genauer hinschauen.
Ich erwarte auch viel - nur eben andere Sachen. Der Staat soll sich um Infrastuktur, Sicherheit, Bildung und soziale Absicherung von stark bedürftigen kümmern, sich aber aus dem Privatleben der meisten Menschen so weit wie möglich raushalten; ich persönlich will, solange ich mich selbst versorgen kann, nichts für mich vom Staat.
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