Bei der Idee der Aufklärung geht es nicht um Individualismus vs. Kollektivismus, sondern darum das eigene und gesellschaftliche Handeln auf wissenschaftlichen Fakten statt auf religiösen Glauben basieren zu lassen.
Dann haben wir offenbar etwas unterschiedliche Vorstellung von der Aufklärung.
Mein Verständnis deckt sich stark mit der Beschreibung auf Wikipedia, wo es im Kern um Vernunft und individuelle Rechte gegenüber der zuvor herrschenden kolletivistisch-religiösen Gesellschaft:
Die Hinwendung zu Naturwissenschaften als ein wesenlicher Aspekt vernünftigen Handelns impliziert aber nicht, daß die Wissenschaft die vorherige Macht der Religion als Quelle der Wahrheit übernimmt, sondern daß rationales, naturwissenschaftliches Denken frei von Dogmen, Vorurteilen und Glauben das Individuum zu vernünftigem Handeln verhilft.
Zitat:
Zitat von Nepumuk
Genau diese Handeln auf Basis wissenschaftlicher Fakten lehnst du aber ab, wenn es dir persönlich nicht in den Kram passt.
Ich lehne dogmatische, alternativlose Entscheidungen ab, wenn sie rational nicht begründet sind; die Unterscheidung von gesicherten Fakten von daraus abgeleiteten Handlungsoptionen (persönliche Meinung) bleibt ein wesentlicher Bestandteil aufgeklärten Denkens, finde ich.
Zitat:
Zitat von Nepumuk
Du hast merkwürdig Vorstellung davon, wie die Gesellschaft funktioniert. Eine Gesellschaft funktioniert nur dann, wenn möglichst alle dauerhaft und einvernehmlich an einem Strang ziehen. Dafür gibt sich eine Gesellschaft Gesetze, die dann dauerhaft gelten und von den meisten Menschen auch dauerhaft eingehalten werden.
Das was du da skizzierst, ist Anarchie, wo sich jeder einfach so verhält, wie es ihm selbst gerade von Nutzen ist.
Für mich ist Dein Bild einer Gesellschaft das, was im Mittelalter vor der Aufklärung geherrscht hat, und was z.B. im Ostblock versucht wurde: alle Mitglieder einer Gesellschaft sollen "am gleichen Strang" ziehen, abweichende Bewertungen und Lebensentwürfe haben darin keinen Platz, bzw. weden moralisch abgewertet. Die freiheitlichen Gesellschaften des 20. Jahrhunderts hingegen bauten darauf und profitierten davon, daß im Rahmen der Gesetze eine freie Vielfalt von Bewertungen und Lebensentwürfen gelebt wird. (Übrigens, mir wurde in meiner Kindheit auch regelmäßig die "Anarchie" wegen des Individualismus im imperialistischen Westen als großes Problem geschildert, dem die super erfolgreiche, homogene Gesellschaft beim Bau des Sozialismus gegenübergestellt wurde).
Zitat:
Zitat von Klugschnacker
Jeder kollektivistische Ansatz ist stets schlechter als alle anderen?
Im Hinblick auf Effektivität von Entwicklung und Fortschritt halte ich dies bei Blick auf die Geschichte für sehr wahrscheinlich. Jeder kollektivistische Ansatz grenzt das menschliche Denken ein, und verhindert das, was man "über den Tellerrand schauen" nennt. Wesentliche gesellschaftliche, kulturelle und technische Fortschritte sind nie in stark kollektivistischen Gesellschaften entstanden, sondern immer in Gesellschaften, die (für die jeweilige Zeit) relativ viel Spielraum für Individuen ließen. Nenne es Ideologie, ist auch nicht mehr Ideologie als der feste Glauben am Nutzen der homogenen Gesellschaft, die an einem Strang zieht.
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“If everything's under control, you're going too slow.” (Mario Andretti)
Und jedes Gesetz, genau so wie jede Wahl, ist Resultat einer kollektivistischen Einsicht. Da kann das einzelne Individuum noch so sehr auf sein individuelles Recht auf laute Musik nach 2.00Uhr morgens pochen.
Jeder kollektivistische Ansatz grenzt das menschliche Denken ein, und verhindert das, was man "über den Tellerrand schauen" nennt. Wesentliche gesellschaftliche, kulturelle und technische Fortschritte sind nie in stark kollektivistischen Gesellschaften entstanden, sondern immer in Gesellschaften, die (für die jeweilige Zeit) relativ viel Spielraum für Individuen ließen. Nenne es Ideologie, ist auch nicht mehr Ideologie als der feste Glauben am Nutzen der homogenen Gesellschaft, die an einem Strang zieht.
Für mich sind das Strohmänner: Du redest im Bezug auf Deutschland von einer homogenen, kollektivistischen Gesellschaft.
Ich meine, Deutschland gehört zu den liberalsten Ländern der Welt, sowohl im Bezug auf die Meinungsfreiheit, als auch im Bezug auf Forschung und Entwicklung.
Für mich sind das Strohmänner: Du redest im Bezug auf Deutschland von einer homogenen, kollektivistischen Gesellschaft.
Nein, ich rede nicht von Deutschland wie es ist, sondern von einer wachsenden Tendenz in den öffentlichen Debatten, und speziell in diesem Thread: Von Gesellschaftsvisionen derer, die davon träumen, daß "alle an einem Strang ziehen", die möglichst vielen Menschen Details ihrer individuellen Lebensführung vorschreiben wollen für ein vermeintlich hehren Zweck (egal ob es Corona, Flüchtlinge oder Klima ist). Deutschland ist (noch) nicht kollektivistisch, und ich trete dafür ein, daß es auch nie dazu kommt.
Zitat:
Zitat von Klugschnacker
Ich meine, Deutschland gehört zu den liberalsten Ländern der Welt, sowohl im Bezug auf die Meinungsfreiheit, als auch im Bezug auf Forschung und Entwicklung.
Das mag noch stimmen, wobei für mich nicht der relative Vergleich mit der Welt entscheidend ist, sondern die Entwicklung im eigenen Land. Z.B. finde ich, daß sich die Meinungsfreiheit im Vergleich zu den 80-er und 90-er Jahren m.M.n. deutlich verschlechtert hat (nicht aus staatlicher Handlung heraus, aber es ist eine merkliche medial-gesellschaftliche Entwicklung, die ich traurig finde). Und die einst weltweit führende deutsche Forschung verliert auch zunehmend den Vorsprung im Vergleich mit anderen Ländern. Wäre auch etwas zum Nachdenken für entsprechende Entscheider...
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Für mich ist Dein Bild einer Gesellschaft das, was im Mittelalter vor der Aufklärung geherrscht hat, und was z.B. im Ostblock versucht wurde: alle Mitglieder einer Gesellschaft sollen "am gleichen Strang" ziehen, abweichende Bewertungen und Lebensentwürfe haben darin keinen Platz, bzw. weden moralisch abgewertet. Die freiheitlichen Gesellschaften des 20. Jahrhunderts hingegen bauten darauf und profitierten davon, daß im Rahmen der Gesetze eine freie Vielfalt von Bewertungen und Lebensentwürfen gelebt wird.
Das ist mal wieder deine übliche verbale Haarspalterei gemischt um bewusstem Falschverstehen wollen und bösartigen Unterstellungen. Trotzdem habe ich mal den wesentlichen Teil deiner Aussage hervor gehoben. Es geht um die zukünftige Gesetzgebung. Diese ist natürlich unerlässlich, auch für unsere aktuelle Gesellschaft.
Und diese Gesellschaft funktioniert nur, weil sich (fast) alle die Gesetze halten und damit "an einem Strang" ziehen. Das hat mit sozialistischem Konformismus gar nichts zu tun.
Und es spricht halt auch überhaupt nichts dagegen, die notwendigen Umstellungen im Rahmen der Klimakrise genau auf diesem Weg anzugehen.
Nein, ich rede nicht von Deutschland wie es ist, sondern von einer wachsenden Tendenz in den öffentlichen Debatten, und speziell in diesem Thread: Von Gesellschaftsvisionen derer, die davon träumen, daß "alle an einem Strang ziehen", die möglichst vielen Menschen Details ihrer individuellen Lebensführung vorschreiben wollen für ein vermeintlich hehren Zweck (egal ob es Corona, Flüchtlinge oder Klima ist).
Für alle Anderen: Diese Aussage ist nichts anderes als die Aussage von D. Trump, dass alle die nicht seiner Meinung sind, Sozialisten oder Kommunisten sind.
Von Gesellschaftsvisionen derer, die davon träumen, daß "alle an einem Strang ziehen", die möglichst vielen Menschen Details ihrer individuellen Lebensführung vorschreiben wollen für ein vermeintlich hehren Zweck ...
Das halte ich für einen ganzen Strauß an Strohmännern. Wozu soll das gut sein? Es geht um ganz konkrete Ziele beim Umweltschutz. Und wie wir diese erreichen wollen. Manche sicher gut gemeinte Ideen sind dabei ausgeschieden, aus guten Gründen.
In dem Kontext zu #kekos Beitrag ging es mir darum, dass dieses eine Argument, dass ein Einzelner ja eh das Klima nicht retten kann, solange nicht andere (alle anderen) mitmachen, von m.E. völlig falschen Voraussetzungen ausgeht.
Selbstverständlich kann ein Einzelner das Klima nicht "retten" - das Argument wäre absurd. Dahinter darf man sich als Einzelner aber nicht verstecken, denn - das ist mein Argument - jeder Einzelne hat eine gewisse moralische Verpflichtung.
Selbstverständlich muss darüber hinaus der Staat (das schrieb ich auch) Rahmenbedingungen setzen. Ebenso die globale Gemeinschaft. Das ist aber in dem Beitrag nicht mein Punkt, denn darüber kann man, für den Fall, dass man einigermaßen bei gesundem Verstand ist, gar nicht zweierlei Meinung sein. Fraglich sind lediglich die Maßnahmen und deren Reichweite die es zu ergreifen gilt.
Zitat:
Zitat von Jimmi
Gesetze sind nötig. Oder widerspricht da jemand?
Selbstverständlich nicht. Es ist m.E. (und i.W.S. auch nach Erachtens des BVerfG) sogar die Pflicht des Staates.
Wer keine Beiträge, gerade aus dem Corona Thread kennt, der weiß, dass ich alles andere als ein Befürworter von Individualentscheidungen bin, wenn es darum geht kollektive nötige Ziele zu erreichen.