Der Triathlon in Gérardmer feierte heuer ein kleines Jubiläum, denn bereits seit 1988 gibt es dieses Rennen in den französischen Vogesen. Damals gewann ein alter Bekannter von mir: der aus Rottweil stammende Gernot Rupp. Bereits zwei ITU-Rennen (1994 und 1995), vier ETU-Wettkämpfe (1992, 1993, 2000 und 2001) sowie die französischen Langdistanzmeisterschaften wurden mehrmals in Gérardmer ermittelt. Daneben war Gérardmer mehrere Jahre Austragungsort des Ironman France. In diesem Jahr ETU-Europameisterschaft über die Langstrecke 4/120/30 („Nizza-Distanz“). Angeboten werden neben dem XL-Triathlon über 4/120/30, ein Einsteigertriathlon über 0.5/20/5, ein Kindertriathlon und eine Kurzstrecke über 1.5/40/10. Insgesamt waren an diesem Wochenende über 3.000 Triathleten auf den verschiedenen Strecken am Start. Die Organisation ist ausgereift, professionell und trotzdem freundlich. Da sie nie den Anspruch hat perfekt sein zu wollen, kommt auch niemals unangenehme Hektik oder Stress auf.
Nachdem sich am letzten Augustwochenende die meisten französischen Urlauber aus Gérardmer („Schärarme“) verabschiedet haben, fallen ab Dienstag die ersten Triathleten über den Ort her. Bereits am Mittwoch herrscht bei schönem Wetter auf den diversen Wettkampfstrecken buntes Treiben. Spätestens am Freitag haben Triathleten endgültig das Heft in die Hand genommen und herrschen in den nächsten Tagen über die kleine Stadt. Ich entscheide mich diesmal für den XL, der am Samstagmorgen gestartet wird. Knackpunkt ist die Radstrecke über 120 Kilometer, die aus 3 Runden besteht und insgesamt ca. 2.500 Höhenmeter aufweist. Pro Runde sind 3 Anstiege auf bis zu knapp 1.000m Meereshöhe zu überwinden. Aus Sicht von Gérardmer sind Radstrecken wie Roth oder Frankfurt lustige Kindergeburtstage. Windschattenfahren ist auf dieser Strecke praktisch kein Thema.
Gestartet wird in 2 Gruppen vom Land aus: zunächst die Elite und die französischen Meisterschaften, ein paar Minuten später die offene Klasse. Die 4 Kilometer werden als „eckiger“ Rundkurs geschwommen und weisen insgesamt 6 Bojen mit scharfen Richtungsänderungen aus. Dazu ist der See windanfällig, was das Schwimmen im Mittelteil zwischen 2.000 und 3.600m, wenn man den See auf dem Rückweg überquert, etwas wellig werden lassen kann. Jahr für Jahr hat der See angeblich 20°, wie es wohl nur von Franzosen in ihrer lässigen Art gemessen werden kann. Völlig unerwartet bin ich mal rechtzeitig am Start und stelle mich gleich mutig in die erste Reihe. Mein Nachbar, ein zappeliger Franzose, löst einen kleinen Frühstart aus, ich hechte instinktiv hinterher und kann sogar 100m Meter ganz vorne schwimmen. Meine Runde verläuft harmonisch und gleichmäßig. Schon nach wenigen Metern finde ich Anschluss an eine kleine Gruppe, die bis zum Schluss hält. Nach 1:01 Stunden erreiche ich relativ entspannt das Ufer.
Da in der Nacht starker Regen aufkam und wir schon vor dem Start völlig durchnässt waren, wollte ich im Hinblick auf meine Gesundheit nur das Schwimmen absolvieren und danach aussteigen: Denn seit Roth und der dortigen Regenschlacht plagt mich mein Ischiasnerv bis heute zeitweise gewaltig und ich wollte weitere Komplikationen durch Kälte und Regen nicht provozieren. Mir fehlte quasi wortwörtlich der „Nerv“ für eine kalte Wasserschlacht. So stürme ich also aus dem Wasser, werfe meinen Kindern gekonnt Schwimmbrille und Badekappe zu, meiner Frau die entscheidende Nachricht „Wait here for me - I just take my bike“, ziehe mich im Wechselzelt noch um, steige auf mein Rad, um dann gleich zurück zu meiner Familie zu steuern. Nach 25 Jahren Triathlon ist das allerdings alles andere als leicht. Ich schaffte es nicht, werfe die Kette auf das 53er-Blatt und treibe mein Rad in Richtung des ersten Anstiegs, dem „Le Poli“. Nach 2 Kilometern finde ich mich dort tatsächlich hochklettern, wohl einfach nur um zu sehen, wie es wäre, wenn ich fahren würde. Es fühlt sich eigentlich gut an und der starke Platzregen und der kalte Wind machen mir und besonders meinem lädierten Rücken noch nichts aus. Selbst die 65-Kilo-Halbportioner machen am Berg kaum Boden gut. Also fahre ich weiter den „Col des Feigenes“ hoch und die rasante, 11km-lange Abfahrt nach „La Bresse“ hinunter. Ist man erst mal dort, muss man sowieso über den „Col de Grosse Pierre“ auf der Triathlonstrecke zurück nach Gérardmer. Die erste Runde fuhr ich in 1:28h und wohl einfach nur um zu sehen, wie es wäre, wenn ich eine zweite Runde fahren würde, nehme ich diese in Angriff. Es regnet immer noch sehr stark und dazu wird es bei den Abfahrten eisig kalt. Letztendlich hadere ich nur noch mit meinem Ischiasnerv, dem endlosen Regen, der Kälte und den Steigungen. Ich bin butterweich in der Birne und suche immer noch vergeblich nach meiner gewöhnlichen mentalen Härte und Motivation zur sinnbefreiten Quälerei. Auf der Suche nach einem Grund nun endlich doch auszusteigen, werde ich am Ende der zweiten Radrunde fündig, als ich in wilder Abfahrt nach Gérardmer hinunter, die 65-Kilo-Halbportioner einsammelnd, beinahe links von der Fahrbahn abkomme und über die Leitplanke fliege. So schaffe ich es nun doch nach 4h Wettkampfzeit am Ortsende von Gérardmer, kurz vor dem dritten Anstieg auf den „Le Poli“, in Richtung unsere Ferienwohnung zu steuern. Gezeichnet von Dauerregen und Kälte komme ich dort mit 3 Stunden Verspätung völlig erfroren an („Hell! Where have you been?“), gönne mir einen Teller heißer Spagetti, schiebe meinen geschunden Körper unter zwei dicke Wolldecken, schaue im Fernseh „France 2“ und schlafe seelenruhig ein, so wie an einem normalen Samstagmittag.
Fazit: Gérardmer bietet zum Saisonende mit den unterschiedlichen Distanzen ein unverwechselbares Wettkampfwochenende für den Einsteiger ebenso wie den erfahrenen Ausdauerchampion. Die Strecken rund um den herrlichen See sind ebenso schön wie herausfordernd. Für relativ humane Startgebühren bekommt man erstklassigen Sport geboten sowie schöne Erinnerungsgeschenke. Da Wechselzone, Start, Ziel, Wettkampfbesprechung, Nudelparty und Siegerehrung direkt in unmittelbarer Nähe zu See sind, erstrecken sich die logistischen Anforderungen auf ein Minimum. Ferienwohnung, Hotels und Pensionen sind in unmittelbarer Nähe buchbar. Das in die bergige Landschaft der Vogesen eingebettet Rennen ist routiniert verlässlich organisiert, eine echte Alternative zum Ironman-Hype und sportlich eine knallharte Herausforderung, die alles abverlangt.
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