Ist es aber nicht so, daß die Identität eines Menschen wesentlich durch seine Herkunft und Sozialisierung, also Zugehörigkeit einer Gruppe und sozialer Stellung definiert? Wie soll man das trennen können? Was bestimmt sonst die Identität, Zugehörigkeit eines jeden Menschen?
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Es ist tatsächlich so, dass es dieses Grundbedürfnis nach Zugehörigkeit und Identität gibt. Mindestens zwei wesentliche Punkte lässt Du dabei aber offenbar außer Acht:
Zum einen bedeutet die Zugehörigkeit "Ich bin Deutscher" noch lange nicht, dass man nicht auch gleichzeitig gut und produktiv im sozialen Raum mit anderen Identitäten zusammenleben kann. Das geschieht auf der Werteebene, durch "Toleranz", "Altruismus" etc.
Zum anderen ist die Zugehörigkeit nicht auf eine nationale beschränkt, sondern es gibt ganz viel mit dem wir uns tief identifizieren können: "Ich bin Pfadfinder", "Ich bin Lehrer", "Ich bin Triathlet" etc. Interessanterweise findet auf dieser Ebene oft eine wundersame Vermischung nationaler Identitäten ohne großen Stress statt.
Ja genau das meine ich. Wenn jeder sein individuell bestes gibt, ist es nicht erforderlich ein besser und schlechter zu unterscheiden. Leistungsunterschiede begründen sich in so vielen verschiedenen Umständen für die der Leistungserbringer nicht verantwortlich ist (Grundvoraussetzungen; äußere Umstände, etc ), so dass ich bei gleichem Einsatz eben dieser bewertet werden sollte und nicht die erzielte Leistung.
Das mag im Bereich "soft skills" gelten (gutes Beispiel hierfür wäre für mich die Benotung im Sportunterricht). Es gibt aber reichlich Bereiche, wo die absolute Leistung zählt und nicht zu relativieren ist. Ein Ingenieur mit Mathe-Schwäche mag sein besttes geben, wenn die von ihm entworfene Halle einstürzt, nützt sein toller Einsatz nichts. Als Farbenblinder (bin ich) kann ich kein Modeberater werden. Mein behinderter Sohn mag sein bestes geben, er wird nie ein Triathlon innerhalb der cutoff-Zeiten beenden. Der Einsatz der Person kann in der B-Note zur Geltung gebracht werden, die A-Note zählt in vielen Lebensbereichen trotzdem wesentlich.
Zitat:
Wenn man alle Reichtümer der Welt gleichmäßig verteilen würde, bin ich überzeugt, dass man damit die Lebensumstände der meisten verbessern würde, wenn jeder sich so gut es ihm möglich ist für das Gemeinwohl einsetzen würde. Leider Utopie in einer Leistungsgesellschaft in der weniger die Leistung als der erzielte Ertrag bewertet wird
Die Qualität dieses Einsatzes hängt aber neben Talent und verfügbaren "Reichtümern" wesentlich von persönlichen Merkmalen ab, die stark von der Erziehung, Sozialisierung, Kultur abhängen (Interesse, Bereitschaft, Altruismus, ...). ich glaube, daß eine eimalige gleichmäßige Verteilung auf Grund dieser persönlichen Unterschiede zwischen den Menschen sich schnell wieder zu einer ungleichmäßigen Verteilung entwickeln würde: der motiviertere, Talentiertere würde mehr tun, als andere, und dafür auch eine entsprechende Würdigung erwarten. Daß alle nur zum Wohle der Gemeinschaft werkeln, one persönliches Intersse an der Anerkennung ihrer Talente und Leistung, erinnert mich an die kommunisitischen Utopien meiner Kindheit, die sich ja im real existierenden Experiment leider als unrealistisch gezeigt haben. In kleinen, abeschlossenen Gemeinschaften, wie die israelischen Kibbuzim hat sowas eine Zeit lang funktioniert, aber auf Dauer lösen sich die Strukturen auch auf. Ich fürchte, die Idee ist schön, paßt aber schlecht zur menschlichen Natur.
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“If everything's under control, you're going too slow.” (Mario Andretti)
Mindestens zwei wesentliche Punkte lässt Du dabei aber offenbar außer Acht:
Zum einen bedeutet die Zugehörigkeit "Ich bin Deutscher" noch lange nicht, dass man nicht auch gleichzeitig gut und produktiv im sozialen Raum mit anderen Identitäten zusammenleben kann. ...
Zum anderen ist die Zugehörigkeit nicht auf eine nationale beschränkt, sondern es gibt ganz viel mit dem wir uns tief identifizieren können:....
Sorry, ich habe mich nicht ausführlich genug ausgedrückt. Du hast vollkommen Recht, diese Punkte sind beide richtig. Ich glaube aber, das für einen gelassenen, offenen Umgang mit anderen Menschen wie auch mit eigenen anderen "Zugehörigkeiten" es unerläßlich ist, daß ich meiner primären Identität (Herkunft, Kultur, ...) sicher bin, darin einen Halt, einen Fixpunkt sehen kann, der nicht von anderen bezweifelt oder in Frage gestellt wird. Menschen, denen dies wichtig ist, kann man diese Identität nicht einfach per Idealdekret ("wir sind nur noch Europäer") wegnehmen - dann fühlen sie sich wie wenn das Dach überm Kopf geklaut wurde, und suchen nach einem "Dachdecker"; dumm, wenn dann nur die AfD ein Angebot abgibt.
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Wäre das so, dann lebten die AfD-Wähler vor allem in Gegenden, in denen es sehr viele Ausländer gibt. Das ist aber nicht der Fall. Sie ist am stärksten dort, wo man am ungestörtesten sein Deutschsein ausleben kann.
Wäre das so, dann lebten die AfD-Wähler vor allem in Gegenden, in denen es sehr viele Ausländer gibt. Das ist aber nicht der Fall. Sie ist am stärksten dort, wo man am ungestörtesten sein Deutschsein ausleben kann.
Ich glaube, daß es eher ein anderer Mechanismus dahinter ist, eher ausgelöst durch die von Politikern "verordnete" Veränderung (die angekündigt kaum kontrollierte oder begrenzte Zuwanderung), als durch die direkten Ausländerkontakte.
Wer schon länger in Gegenden lebt, wo viele Ausländer sind, hat sich mit einigen Veränderungen abgefunden, und vielleicht schon etwas von seiner früheren Identität aufgegeben/geändert. Auf jeden Fall ändert sich dort relativ weniger, wenn noch einnige mehr dazukommen. Wer noch die "heile Welt" hat, möchte dies nicht verlieren; nicht jeder sieht in Zuwanderern ein "Geschenk" - darum kann gerade dort die Angst vor den Veränderungen größer sein; dort hat man noch viel mehr zu verlieren, weil die Veränderung drastischer wäre.
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Wer noch die "heile Welt" hat, möchte dies nicht verlieren...
Wer noch der heilen Welt nachhängt
(Welche heile Welt eigentlich? Vorkriegsdeutschland? Die DDR mit Wartezeiten auf Telefon und Trabbi, Westpaketen und dem Tatbestand der Republikflucht? Der westdeutsche 50er-Jahre-Muff? Der RAF-Terror? Der kalte Krieg?)
ignoriert, dass er in der Realität in einer globalisierten Welt lebt.
Für 350 Euro eine Woche Urlaub auf Malle, im Winter Erdbeeren selbst beim Discounter, die Unterhaltungselektronik aus China, die Karre aus Korea, die Klamotten aus Bangladesh, das "leckere" Essen beim "All you can eat"-Chinesen oder mal schnell in die Döner-Bude und dann "Wir sind das Volk" und "Kein Flüchtlingsheim in XYZ" grölen? Etwas weltfremd, oder?
Gruß
N.
Geändert von Nobodyknows (15.02.2017 um 17:54 Uhr).
Wer schon länger in Gegenden lebt, wo viele Ausländer sind, hat sich mit einigen Veränderungen abgefunden, und vielleicht schon etwas von seiner früheren Identität aufgegeben/geändert. Auf jeden Fall ändert sich dort relativ weniger, wenn noch einnige mehr dazukommen. Wer noch die "heile Welt" hat, möchte dies nicht verlieren; nicht jeder sieht in Zuwanderern ein "Geschenk" - darum kann gerade dort die Angst vor den Veränderungen größer sein; dort hat man noch viel mehr zu verlieren, weil die Veränderung drastischer wäre.
Angst vor "Veränderung" als Legitimation für Rassismus und Angriffe auf Flüchtlinge etc.? Spannende Geschichte ...
Es wurde bereits mehrfach angedeutet, aber du scheinst immernoch auf einem starren Identitäts- und Kulturverständnis zu beharren. Beides Konstrukte, welche ständigem Wandel unterzogen sind und nicht von klein auf in die Wiege gelegt werden. Beides Konstrukte, welche aktiv sowie passiv von individuellen Akteuren beeinflusst werden können. Es widerspricht der Realität hier anzunehmen, dass beide immun gegen Wandel sind. Hinzu kommen Makrophänomene wie die Globalisierung und Beschleunigung. Nicht nur der ICE fährt schneller, auch die Ökonomie und Gesellschaften bewegen sich schneller. Dies kann zu Konflikten bei Individuen führen welche gelöst werden müssen. Aber eine Forderung nach Stillstand ist hierbei nicht förderlich.
[Auch wenn ich nicht in allen Punkten bei Rosa bin, so liefert er für die derzeitige Lage und Diskussion einige interessante Impulse: Wachstum und Beschleunigung.]
Wäre das so, dann lebten die AfD-Wähler vor allem in Gegenden, in denen es sehr viele Ausländer gibt. Das ist aber nicht der Fall. Sie ist am stärksten dort, wo man am ungestörtesten sein Deutschsein ausleben kann.
Wenn man viel mit Ausländern zu tun hat, dann stellt man vielleicht fest, dass die gar nicht so schlimm sind. Bei denen, die wenig Kontakt haben, greift die Propaganda der AFD eher.