Szenekenner
Registriert seit: 14.08.2008
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Im Gegensatz zu den meisten Stellungnahmen in diesem thread begrüße ich diese Studie ausdrücklich.
Dies heißt freilich nicht, dass ich keine kritischen Fragen habe. Aber die Art und Weise, mit der hier viele auf hämische und nicht sehr sachkundige Weise methodische Mängel entdeckt zu haben glauben, weckt in mir vor allem eines: die Fremdscham. Es liegt für mich auf der Hand, dass hier die Einstellung zu Grunde liegt, dass nicht sein kann, was nicht sein darf. In unreflektierter Manier wird ein Terrain verteidigt, anstatt sich sachlich mit der Studie auseinanderzusetzen.
Das Grundproblem, mit dem alle Doping-Studien konfrontiert sind, ist doch: Keine und keiner wird das Doping freiwillig zu geben, viele vermutlich auch dann nicht, wenn die Bedingung der Anonymität gegeben zu sein scheint. Und genau hierin unterscheidet sich das Thema Doping im Hinblick auf anzuwendende Fragetechniken von vielen anderen Phänomenen. Führen wir Befragungen zu politischen Einstellungen durch, so äußern in Deutschland beispielsweise regelmäßig 10 – 20 % der Befragten Zustimmung zu Aussagen, die auf ein mehr oder weniger geschlossen rechtsextremes Weltbild schließen lassen. Die Anonymität hat dabei oftmals die Funktion eines „Ventils“, d.h. gibt man den Befragten in diesen Umfragen die Möglichkeit, das eigene (kranke) Weltbild zum Besten zu geben, so sprudelt es in vielen Fällen nur so aus ihnen heraus. Anders beim Doping, denn hier leidet möglicherweise das Selbstbild des Dopers, der sich nicht eingestehen will, dass er bestimmte Leistungen nur „auf Stoff“ oder mithilfe desselben abliefern kann. Es ist gut vorstellbar, dass er die Tatsache, dass er gedopt hat, so gut wie möglich verdrängt oder leugnet oder sich irgendwann einbildet, dass er tatsächlich Asthma hat und das Spray vor dem Wettkampf einfach benötigt – wie andere vielleicht das Aufwärmöl. Außerdem will er auf gar keinen Fall, dass andere von seiner Praxis Wind bekommen, während – um noch einmal zum Thema Rechtsextremismus zurückzukommen – der Rassist überhaupt keine Probleme damit hat, im Kreise seinesgleichen zu seiner Meinung zu stehen.
In der besagten Studie von Dietz u. a. wird nun erstmals versucht, mit der RRT ein Klima zu schaffen, das es dem Doper besonders leicht machen soll, ehrlich zu antworten. Dadurch, dass der Interviewer bzw. derjenige, der ihm den Fragebogen in die Hand drückt, gar nicht wissen kann, ob der Befragte überhaupt die Dopingfrage beantwortet, soll die Schwelle, über die man schreiten muss, um sich bei dieser Frage zur Wahrheit durchzuringen, ganz besonders niedrig sein. Spricht irgendetwas gegen diese Grundintention der Studienmacher?
Nun zur Umsetzung:
Noch haben wir den deutschsprachigen Fragebogen nicht. Wir wissen nur, dass die englischsprachige Version uns missverständlich vorkommt, wenn wir sie hier in aller Ruhe zerpflücken. Aber in der konkreten Situation der Beantwortung war es damals für mich gar keine Frage, dass es hier um Doping im Sinne der Einnahme illegaler Substanzen (also WADA-Def.) geht. Es ginge also aus meiner Sicht darum, zu prüfen, ob den teilnehmenden Athleten wirklich klar war, was dort gefragt wird. Vermutlich hat man das Wort Doping in der Frage deshalb nicht verwendet, weil man – wie gesagt – die Schwelle möglichst niedrig halten wollte, und stattdessen den Sachverhalt mit anderen Worten umschrieben. Dies könnte dazu geführt haben, dass manche die Frage missverstanden haben und mit Ja geantwortet haben, weil sie in Apotheken zur Leistungssteigerung Substanzen erworben haben, die laut WADA-Def. nicht verboten sind. Aber ob es in der Praxis auch wirklich so war, wissen wir nicht. Ich habe die Frage inzwischen ein paar Leuten testweise vorgelegt, die von der Studie und dem Wirbel hier im Forum bislang nichts wussten. Ergebnis: Keiner dachte daran, dass hier auch legale Substanzen gemeint sein könnten. Ob die teilnehmenden Athleten in Frankfurt das genau so verstanden haben, weiß ich natürlich dennoch nicht.
Zur Anwendung der RRT: Meine Sorge war zunächst, dass viele Athleten vielleicht gar nicht verstehen würden, was die Frage nach dem Geburtsdatum soll und dass sie davon abhängig eventuell gar nicht die Dopingfrage beantworten müssen. Auf Nachfrage wurde mir jedoch mitgeteilt, dass in dieser Hinsicht verunsicherte Athleten angeblich schnell aufgeklärt werden konnten. Dass sich jemand erst mal in Ruhe den Fragebogen anschaut und sich dann, wenn er das Procedere kapiert hat, schnell noch ein anderes Geburtsdatum überlegt, um gerade die Dopingfrage zu beantworten oder eben nicht beantworten zu dürfen, halte ich für vollkommen abwegig. Um wie viel leichter wäre es, einfach mit Nein zu antworten, wenn man sicher gehen will, dass man selber nur ja keine Stimme „pro Doping“ abgibt? Noch leichter wäre es, den Fragebogen gar nicht erst auszufüllen oder abzugeben, wenn man Probleme damit hätte, die Frage zu beantworten. Insofern halte ich die Kritik an der RRT, die hier geäußert wurde, für völlig daneben.
Nun zum Ergebnis: Ich halte die Zahlen nicht für unrealistisch, weil ich von einer relativ hohen Dunkelziffer auch bei Amateuren im Ausdauersport ausgehe. Ich vermute (bloße Spekulation!), dass die „Prävalenz“ zwar nicht ganz so hoch ist wie im (Amateur-)Radsport, aber sicher höher als bei Laufveranstaltungen. Für diese Hypothese kann ich auch eine ganze Reihe von Begründungen liefern (die in vielen Büchern und Foren schon tausend Mal geäußert worden sind) und sie decken sich mit eigenen Beobachtungen, Alltagserfahrungen und dem, was mir von anderen Sportlern immer wieder berichtet wurde und wird. Ob die Ergebnisse der Studie jedoch wirklich zuverlässig sind, kann ich im Moment nicht beurteilen. Klar ist nur, dass es sehr schwer ist, mittels Sozialforschung ein realistisches Bild von der Doping-Neigung im Ausdauersport zu liefern. Mehr noch: es ist viel schwieriger als bei vielen anderen Formen sozialen Handelns, über die man nur unter der Bedingung der Anonymität ehrliche Antworten erwarten kann.
Auch zur hier aufgeworfenen Frage, warum sich angeblich ausgerechnet in Frankfurt doppelt so viele zum Doping bekennen, fallen mir viele Antworten ein (in der Studie werden ja nur wenige genannt). Aber ich fürchte, viele in diesem Forum wollen das gar nicht hören, weil sie für einen sauberen Sport stehen, in dem es so was ganz einfach nicht geben darf.
Hafu, der sich in diesem thread als einer der wenigen um Sachlichkeit bemüht, hat meinen Vergleich mit dem Windschattenfahren in Zweifel gezogen. Sein Argument: das eine sei ein begrenzter Regelverstoß mit überschaubaren Folgen, das andere die Inkaufnahme eines unüberschaubaren gesundheitlichen Risikos. Dieses „Argument“ kann man jedoch auch umdrehen: Angeblich betreibt rund die Hälfte der Teilnehmer von Marathon-Veranstaltungen (Bonner Studie) Schmerzmittelmissbrauch, vor dem regelmäßig in Zeitungen und Zeitschriften und natürlich auf jedem Beipackzettel gewarnt wird, obwohl damit nicht zu unterschätzende Gesundheitsrisiken bewusst in Kauf genommen werden. Warum sollten ausgerechnet diese Läufer Angst vor den gesundheitlichen Folgen der Einnahme von Doping-Präparaten haben? Oder: Hat jemand Angst vor den Folgen der Inhalation eines Asthma-Medikaments vor dem Beginn eines Wettkampfes, wenn er doch gleichzeitig weiß, dass er bei der Einnahme von verschiedenen gebräuchlichen und nicht verschreibungspflichtigen Schmerzmitteln während starker Belastung ernsthafte Schäden an seiner Pumpe riskiert, ihm dieser Sachverhalt aber offenbar schnuppe ist???
Es ist doch kein Zufall, dass derzeit viele Studien entstehen, die auf die Überprüfung des Zusammenhanges von „legalem Doping“ und illegalem zielen. Auch bei Triathlon-Szene wird in vielen Beiträgen die Einnahme von allerlei Nahrungsergänzungsmitteln etc. empfohlen. Teilweise stehen oder standen Produzenten und Sponsoren solcher Produkte auch finanziell hinter Triathlon-Szene-TV (was nicht ärgerlicher ist als die Tatsache, dass wir alle unter kapitalistischen Verhältnissen leben und arbeiten müssen, ob es uns passt oder auch nicht…).
Ich denke, es liegt auf der Hand, dass der auch hier – natürlich nach bestem Wissen und Gewissen der Moderatoren und Autoren – geförderte Glaube an die Wirksamkeit diverser NEM (Bsp. BCAAs) der ach so bösen Neigung, es auch mal mit Substanzen zu versuchen, die auf der Liste stehen, nicht vollständig zuwiderläuft.
Damit wären wir nun bei den Doping-Definitionen angelangt. Aber dieses Fass möchte ich in diesem thread, in dem es ausschließlich um die Mainzer Studie gehen sollte, nicht auch noch aufmachen. Schon deshalb nicht, weil die beteiligten Wissenschaftler laut Pressemitteilung in Bezug auf die hier umstrittenen Größen tatsächlich von verbotenen Substanzen sprechen.
Im Hinblick auf Anschluss-Studien wäre n. M. E. zu fordern, dass die entscheidenden Fragen präziser zu stellen sind und zu dokumentierende Pretests zeigen müssen, dass die Befragten mit der RRT auch wirklich zu Recht kommen. Hier wären viele Abwandlungen denkbar.
Fazit: Die Studie hat Stärken und Schwächen – so wie jede andere Doping-Studie auch. Ich begrüße es, wenn in solchen Studien Neuland betreten wird.
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