Die Ankündigung des IOC, nun die zum Zwecke verbesserter Nachuntersuchungen gespeicherten Blutproben von den Peking-Spielen für Tests mit der neuen Cera-Fahndung heranzuziehen, löst in der Branche erwartungsgemäß kolossale Gefühlstaumel aus. Hurra, da tut sich was! jubilieren die Medien. Seht her, wie gnadenlos wir die Sünder jagen!, machen die Funktionäre damit wieder dem Publikum weis.
Beides ist unsinnig. Die einen reagieren blauäugig, die anderen berechnend wie stets, in der Summe offenbart sich das eherne Selbstschutzsystem des organisierten Sports. Jeder Kriminalexperte lächelt über eine angeblich bevorstehende Enthüllungswelle: Sollten Peking-Teilnehmer mit Cera gefunden werden, gehören sie nicht wegen Dopings aus dem Verkehr gezogen, sondern wegen erwiesener Dummheit.
Denn Cera – das nimmt seit dem 23. Juli niemand mehr. An dem Tag, wir erinnern uns, wurde die Sportwelt von der Mitteilung erschüttert, dass Tour-Favorit Riccardo Ricco mit Cera erwischt wurde. Die Botschaft an alle Anwender weltweit lautete also: Achtung Leute, Cera ist ab sofort nachweisbar!
Seit diesem Julitag beherrschte die Nachweisbarkeit des beliebten Stoffes die Debatte in den Sportmedien. Nur wer trotzdem weiter mit Cera nahe genug an die Spiele rangedopt hätte, statt seinen Hämatokrit wie üblich mit authentischem menschlichen Epo zu stabilisieren, könnte nun einer Nachlese zum Opfer fallen. Das Verhalten eines Cera-Anwenders bei den Wochen nach der Tour de France beginnenden Olympischen Spielen entspräche also dem eines Drogenkuriers, der mit einem Koffer Koks von Bogota in die USA fliegt und dort optimistisch der Ausschilderung folgt: Zu unseren Drogenspürhunden bitte hier entlang!
Der Generalangriff auf die gespeicherten Proben von Peking ist aber ein genialer sportpolitischer Dreh: Dabei lässt sich unauffällig das eigentliche Problem vom Tisch fegen. Denn wenn nach der Erregung im Hinblick auf Pekinger Cera-Funde am Ende die Null steht (gewiss, optimal wären zwei, drei Funde), werden die Funktionäre wieder triumphieren: Na bitte, falscher Alarm – sind ja alle sauber! Zugleich wäre mit den verbrauchten Proben eine tickende Zeitbombe für Olympias Zukunft vom Tisch. Es träfe ja auch die Proben diverser Peking-Heroen, die so unfassbare Rekorde ablieferten, für die es gerade in der Logik der Spitzensportrealität eine schlüssige Erklärung gibt – doch keine Testverfahren.
Abgesehen von der Binse, dass kundige Betrüger clean zu den Spielen reisen (gedopt wird vorher) – für eine sinnvolle Cera-Nachlese bräuchte es Material, das es nicht gibt: Gespeicherte Blutproben aus der Zeit vorm 23. Juli 2008; dies am besten aus Trainingsphasen. Aber man könnte an die Proben von Athen 2004 ran, vielleicht war der Stoff da schon intensiv in Gebrauch.
Auf keinen Fall darf der Wirbel um Cera den Blick auf die Kernerkenntnis verstellen. Dass bis zuletzt damit gedopt wurde, zeigt ja, dass die Mentalität so ungebrochen ist wie der Systemzwang. Daran zu rütteln, ist von Funktionären am wenigsten zu erwarten. Denn die sind die Stützen des Systems.
Dafür (dass man es anders sieht) spricht, dass scheinbar nur wenige Labore überhaupt auf Cera testen können. Dass in anderen Laboren nachgetestet wird, war ebenso wahrscheinlich, wie dass die Proben von 2004 nochmal auf den Tisch kommen. Da die Proben "nur" in China analysiert wurden, hat vielleicht einige dazu bewogen doch weiterhin Cera zu nutzen.
Dagegen spricht, dass bspw Schumacher ja schon ziemlich weit von seiner "Form" weg war. Dies kann, muss allerdings nicht, am Verzicht aus Angst vor Feststellbarkeit liegen.
Fazit: Netter Ansatz des Kommentators allerdings sollten wir vielleicht einfach mal abwarten, was die Testerei bringt. Wenn es wirklich nur 2-3 Athleten betrifft, dann bin ich geneigt, dem Herrn Kistner recht zu geben.
Stehen sicher ein paar sinnvolle nachvollziehbare Gedanken in dem Kommentar von Thomas Kistner (wie immer, wenn er sich zu dem Thema zu Wort meldet), aber ich würde auch erst mal abwarten.
Der besondere Reiz von CERA (für ernsthaft damit behandelte Patienten und für Dopingkontrolleure) ist dessen extralange Halbwertszeit und damit Nachweisbarkeit, die je nach Empfindlichkeit der Testmethode vermutlich bei 8-12 Wochen liegen dürfte.
Wer CERA erst nach den ersten positiven Tests bei der Tour eilig abgesetzt hat, der hatte keine Möglichkeit, die Substanz bis zu den Spielen wieder aus dem Körper raus zu kriegen und kann deshalb durchaus in die Falle tappen.
Darüberhinaus werden durch die jetzige Nachtestung die Proben ja nicht vernichtet. Es werden ja nur minimale Mengen des Restes der bereits in Peking getesteten A-Probe benötigt und entnommen. Die B-Probe bleibt verschlossen und versiegelt und würde nur im Falle eines positiven Testes des A-Probe auf Antrag geöffnet werden.
Weitere Tests in der Zukunft bleiben deshalb trotzdem möglich.
Auf jeden Fall würd's mich freuen, wenn die Proben anschließend auch in Frankreich weitergelagert würden und nicht nach Peking zurückkämen, die Stromversorgung hier wird einfach die bessere sein
Ansonsten ist die Frage, ob sie nur auf Cera testen oder das volle Programm durchgehen - die Geräte in Peking sind etliche Jahre älter und evtl. profitieren die Reste der Proben ja auch in Zukunft von den Fortschritten in den französischen Labors.
Wie sieht es nun eigentlich mit Tests auf Wachstumshormone und Insulin aus?
Kann mir bitte jemand nachfolgende Fragen beantworten:
1. von wem bekommen Dopinglabore Ihr Geld (Lohn, Geräte etc.)?
2. Arbeiten Dopinglabore mit Krankenhäusern und privaten Ärzten zusammen?
3. Sind Dopinglabore schon mal an "geschasste" Teamärzte herangetreten zwecks Beratertätigkeit oder sonstige Zusammenarbeit (z.b: Ferrari, Fuentes, Heinrich usw.)
4. Von wem beziehen Dopinglabore die Informationen, auf welche Materialien sie prüfen sollen?
Vielleicht gibts ja vernünftige Antworten.
Denn zur Zeit drängt sich bei mir der Verdacht auf, dass NIEMAND (einschließlich der "unabhängigen" Dopinglabore) wirkliches Interesse hat, den Dopingsumpf trockenzulegen.
Es ist für mich zumindest erstaunlich, wie es sein kann, dass die Dopingfahnder immer einen Schritt hinterher sind. Hinterher bedeutet, dass die "anderen" (die bedauerlichen Einzelfälle) schlauer sind, als hochdotierte Dopingexperten.
O.K. Bei richtigen Drogen (Kokain etc.) da lassen sich Milliarden pro Jahr verdienen. Da ist es klar, dass Drogenbosse allerlei Wege und Mittel finden, um die Fahnder auszutricksen. Aber im Radsport, in der heutigen Zeit? Da fließt doch kein großes Geld mehr.
Ich behaupte mal, dass der normale Radrennfahrer dem Durchschnitt des nichtstudierten Arbeiter oder Angestellten entspricht. Also im Normalfall "weniger clever" als ich. Weiterhin verdient der durchschnittliche Radprofi nicht viel mehr als ich.
So, als ich soll cleverer sein, als sämtliche internationale Dopinglabore auf der Welt??? Kaum vorstellbar.
Ich glaube auch kaum, dass R. Ricco, sich nach ner langen Trainingsausfahrt abend vorn PC setzt, und das Rote Buch nach Medikamenten durchstöbert.
Also wenn die Radfahrer (so wie ich) zu blöd sind, von alleine Dopingmittel- und Methoden rauszusuchen, bleiben nur noch Trainer, medizinische Betreuer oder Ärzte.
Man erwartet von jedem Dopingsünder immer die Nennung der Namen vom "großen Unbekannten" den sogenannten Hintermännern. Ich glaube, es gibt gar keinen Unbekannten. Nur Ärzte und Medikamentenhersteller.
Und die Informationen, die sich Radsportärzte besorgen können, sich auch andere Ärzte besorgen. Womit wir wieder bei meinen Ausgangsfragen wären.
Was ich eigentlich sagen will:
Dopinglabore tun immer so, als wenn sie "hintendran" sind, und es sauschwer ist, gegen die Radsportler up to date zu sein. Radsportler sind aber keine besonders schlauen Menschen, viel Geld ist auch nicht im Radsportmarkt und in einem Paralleluniversum, wo es nur dort "böse" Medikamente gibt, die keiner kennt, können sie auch nicht einkaufen.
Bleiben eigentlich nicht viele Geheimnisse übrig, die von Dopinglaboren entschlüsselt werden müssen.
Dopinglabore tun immer so, als wenn sie "hintendran" sind, und es sauschwer ist, gegen die Radsportler up to date zu sein. Radsportler sind aber keine besonders schlauen Menschen, viel Geld ist auch nicht im Radsportmarkt und in einem Paralleluniversum, wo es nur dort "böse" Medikamente gibt, die keiner kennt, können sie auch nicht einkaufen.
Einer der Dopingexperten (ich glaub, der Damsgaard war's) meinte während der Tour bzgl. Cera, dass sie, die Experten, die Mittel alle kennen, wenn die in die klinischen Studien usw. kommen und somit weit vor den Dopern. Was sie natürlich nicht kennen können, sind die Sachen, die nur für's Doping entwickelt werden, siehe Balco.
Zitat:
Zitat von tobi_nb
Bleiben eigentlich nicht viele Geheimnisse übrig, die von Dopinglaboren entschlüsselt werden müssen.
Nun, man muss das Zeug dann eben auch erstmal nachweisen.
Nun, man muss das Zeug dann eben auch erstmal nachweisen.
Richtig.
Naiv wie ich bin, würde ich folgendes machen:
Info an Nada 2004: Cera verbessert die Ausdauerfähigkeit und ist ne Weiterentwicklung von Epo. Die Medikamente sind soweit, dass sie an Menschen getestet werden können.
Anfrage der Nada an z.B. Roche: Bitte gebt uns Hinweise wie wir Cera einfach nachweisen können, oder setzt einen Marker, den nur wir erkennen.
Antwort von z.B. Roche: "Jawoll machen wir" > Dopingkontrollwelt ist i.O.
oder: "Nee machen wir nicht." > Nada geht aggressiv an die Öffentlichkeit und klärt über Cera auf, dass das die neuen Drogen sind, auf die jetzt getestet wird. (Ob's stimmt sei dahingestellt.) Zumindest die Radpros wissen spätestens jetzt, dass der Nada Cera bekannt ist, und werden sich überlegen es zu nehmen.
Anfrage der Nada an z.B. Roche: Bitte gebt uns Hinweise wie wir Cera einfach nachweisen können, oder setzt einen Marker, den nur wir erkennen.
Antwort von z.B. Roche: "Jawoll machen wir" > Dopingkontrollwelt ist i.O.
oder: "Nee machen wir nicht." > Nada geht aggressiv an die Öffentlichkeit und klärt über Cera auf, dass das die neuen Drogen sind, auf die jetzt getestet wird. (Ob's stimmt sei dahingestellt.) Zumindest die Radpros wissen spätestens jetzt, dass der Nada Cera bekannt ist, und werden sich überlegen es zu nehmen.
So einfach ist die Welt dann doch nicht.
Immerhin ist die Primär-Richtung bei der Entwicklung neuer Medikamente NICHT das damit mögliche Doping von Sportlern, sondern die Heilung oder zumindest Linderung von Krankheiten.
Ausserdem greifen Patentschutz (der Unsummen kostet) und da verstehe ich auch Pharmafirmen, wenn sie sich sehr zurückhaltend in der Offenlegung von jahrelanger Forschung geben.
Solange die Schiene Hase-und-Igel gefahren wird, wird sich am Dopingverhalten nie etwas ändern. Ich denke, es ist eine Frage der Einstellung die ich ganz persönlich gegenüber dem Einsatz von unerlaubten Mitteln in meinem Leben einnehme. Und das muss jeder mit sich alleine regeln und dann auch mit den Konsequenzen leben.
Deswegen halte ich es inzwischen für zielführend, Dopingverstösse in das BtMG aufzunehmen und die Akteure (Sportler, Trainer, Dealer usw.) in den Knast zu stecken. Ende mit den Berusfverbotendiskussionen und diesem ganzen Käse, wer keine ethischen Werte hat, wird entsprechend behandelt. Mir reicht es inzwischen, auf diese Typen irgendwelche Küchenpsychologie zu verschwenden und Erklärungsversuche zu drehen, das führt ja doch zu nichts.