In Bolivien findet gerade ein Kulturkampf zwischen den ultrachten religiösen Fraktionen wie die der Evangelikalen und kleinen Teilen aus der RKK sowie der indigenen Bevölkerung und ihren Traditionen statt. Die Amazonasynode positionierte sich ja auf der Seite der Indigenen und Armen in der jesuitischen Tradition (Franziskus) als Gegenpart, weil auch da die Pfingstler stark expandieren.
In Brasilien ist bekanntlich eine Pfingstlerpartei wie die rechtsextreme Partido Social Cristão schon in der Regierungskoalition mit Bolsonaro. Und für die Evangelikalen gehören Trump und Bolsonaro zu den Auserwählten.
In DE gehört übrigens auch der US-Botschafter und von Trump neu ernannter oberster Geheimdienstkoordinator der USA Richard Grenell zu den bekennenden Pfingstlern. Möglicherweise funktioniert die Kontrolle aus Washington über scheinbar neu-alte Gesichter in Lateinamerika so besser und direkter als über RKK-Bischöfe, die ja auch nicht alle als "unbelastet" im Umgang mit Diktatoren auf diesem Kontinent gelten.
...Preußen ermöglichte als erstes Land ein friedliches Nebeneinander der Glaubensbekenntnisse. „Der preußische Staat war konfessionell gleichgültig“, schreibt der Publizist Sebastian Haffner in seinem Buch „Preußen ohne Legende“ über Friedrichs Verhalten: „Seine Untertanen durften katholisch oder protestantisch, lutherisch oder calvinistisch sein“, sie durften Juden oder Muslime sein, „das war ihm alles gleich recht, wenn sie nur ihre Staatspflichten erfüllten“.
Erstmals in der europäischen Geschichte war somit Religionsfreiheit theologisch legitimiert und staatlich anerkannt.
Was damals viele verfolgte hoch geschätzt haben, hat sich nicht immer zum Besten des Landes ausgewirkt, und bis heute leben viele Religionsgemeinschaften betont nebeneinander, nach Dörfern getrennt. Jeder toleriert den anderen, aber man vermischt sich nicht.
Ansonsten teile ich Deinen Eindruck (ohne selbst für mich viel Positives den Religionen abgewinnen zu können):
Zitat:
Zitat von Nobodyknows
Für mich wirkt der hier von einigen an den Tag gelegte Eifer, in Religionen das Schlechte zu finden und es genüßlich und möglichst breit zu verteilen, quasireligiös.
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“If everything's under control, you're going too slow.” (Mario Andretti)
Danke für die Info. Wusste ich bisher nicht, interessant. Ich vermute aber, die Religionsfreiheit wurde nur den christlichen Hauptlehren gewährt, während die Juden z.B. viel weniger bis keine Rechte hatten.
Atheismus ist nicht religiös, auch nicht "quasireligiös".
Entscheidend für den Unterschied zwischen einer Religion und einer weltanschaulichen Haltung ist der Jenseitsbezug. Die Behauptung, es gäbe Götter, hat einen Jenseitsbezug. Die Behauptung, "es ist in unserer Welt keinerlei Wirkung eines Gottes erkennbar", hat jedoch keinen Jenseitsbezug. Das ist für manche schwierig zu verstehen, darum schadet es vielleicht nicht, es zu erwähnen.
Briefmarkensammeln ist ein Hobby. Ist dann "Nicht Briefmarken sammeln" ebenfalls ein Hobby? Natürlich nicht. Andernfalls wäre ich ein geradezu fanatischer Nichtsammler, weil ich im meinem Leben noch keine einzige Briefmarke gesammelt habe.
Ein weiterer Unterschied ist die Quelle des Wissens. Religiöses Wissen ist stets geoffenbartes Wissen: Ein Engel erscheint im Traum, oder ein Busch spricht. Oder ein Geist inspiriert zu Niederschriften heiliger Bücher.
Die Skepsis gegenüber geoffenbartem Wissen entspringt jedoch nicht seinerseits einer Offenbarung. Sondern sie gründet auf empirisch nachprüfbaren Argumenten.
ohne die Verdienste vom Alten Fritz kleinzureden, Preußen war nicht der erste. Bereits 200 Jahre zuvor hat Siebenbürgen in 1564 faktisch die Religionsfreiheit eingeführt:
Wichtig ist doch die Begründung dafür:
"Um das politisch und wirtschaftlich schwache Fürstentum in seiner gefährdeten Lage zwischen zwei Großmächten möglichst zu stärken, war es erforderlich, den inneren Zusammenhalt zu bewahren. Dem Zerfall entlang der ethnischen und konfessionellen Grenzen war nur entgegenzuwirken, indem allen Konfessionen gleiche Rechte zugestanden wurden." Wikipedia
Das bedeutet, dass die Religionen eine dermaßen große Potenz hatten, verschieden gläubige Bevölkerungsgruppen zu entzweien, dass man es vorzog, sich aus dem Konflikt, welche Partei nun den wahren Gott anbetete, herauszuhalten. Das sollte den inneren Zusammenhalt in der Gesellschaft stärken.
Du hingegen argumentierst, die Verzicht auf eine bevorzugte Staatsreligion habe dem Zusammenhalt geschadet.
Danke für die Info. Wusste ich bisher nicht, interessant. Ich vermute aber, die Religionsfreiheit wurde nur den christlichen Hauptlehren gewährt, während die Juden z.B. viel weniger bis keine Rechte hatten.
Meines Wissens bezog sich die Gleichstellung rein auf die Religionsausübung, also durfte jeder beten, wie er wollte, auch Juden und Moslems (letztere dürfte es wohl nur wenige gegeben haben, da das Land im Dauerkrieg mit den Türken war). Allerdings gab es weiterhin große Unterschiede, was sonstige Rechte (Besteuerung, Kriegsdienst, etc.) zwischen den ethnischen und religiösen Gruppen. Es war nicht unsere heute bekannte Gleichheit. Es hat aber dafür gesorgt, daß aus dem von Religionskriegen geplagten Europa viele nach Siebenbürgen zogen, um dort ihren Glauben in Ruhe leben zu dürfen (womit nebenbei die von den Türkenkriegen verwüsteten Landstriche auch wieder bevölkert wurden).
Zitat:
Zitat von Klugschnacker
Wichtig ist doch die Begründung dafür:
"Um das politisch und wirtschaftlich schwache Fürstentum in seiner gefährdeten Lage zwischen zwei Großmächten möglichst zu stärken, war es erforderlich, den inneren Zusammenhalt zu bewahren. Dem Zerfall entlang der ethnischen und konfessionellen Grenzen war nur entgegenzuwirken, indem allen Konfessionen gleiche Rechte zugestanden wurden." Wikipedia
Ja, das war die Absicht. Daß aber viele neue Konfessionen ins Land zogen, hat auch die Zerstückelung der Bevölkerung in Untergruppen weiter verstärkt, und auch Konflikte wieder belebt. In späteren Jahren wurden dann doch einige Freiheiten beschnitten, um alles beherrschbar zu halten.
Zitat:
Zitat von Klugschnacker
Das bedeutet, dass die Religionen eine dermaßen große Potenz hatten, verschieden gläubige Bevölkerungsgruppen zu entzweien, dass man es vorzog, sich aus dem Konflikt, welche Partei nun den wahren Gott anbetete, herauszuhalten. Das sollte den inneren Zusammenhalt in der Gesellschaft stärken.
Genau, wobei es nicht nur hieß, der Staat zieht sich aus dem Konflikt zurück, sondern er fordert auch ein tolerantes Nebeneinander aller ein - Religion ist eben Privatsache, oder etwas fürs Jenseits. In der irdischen Politik hat es nichts verloren.
Zitat:
Zitat von Klugschnacker
Du hingegen argumentierst, die Verzicht auf eine bevorzugte Staatsreligion habe dem Zusammenhalt geschadet.
Sorry, wohl Mißverständnis. Der Zusammenhalt wurde durch die große Anzahl von unterschiedlichen, sich stark abgrenzenden religiösen Gruppen gestört (die als Folge der Erklärung zugezogen sind), nicht durch den Verzicht auf eine Staatsreligion (jede Festlegung auf eine Staatsreligion hätte Siebenbürger außerdem einer bestimmten Großmacht der Zeit zugeordnet - das wollte man um jeden Preis vermeiden). Erst nachdem die Mehrheit der Zugezogenen sich auf die gemeinsame nationale Identität (überwiegend als Siebenbürger Ungarn) geeinigt hat, gab es (nach wenigen Generationen) einen erneut verstärkten Zusammenhalt. Die im Lauf der Jahrunderte zugewanderten Rumänen z.B. blieben immer außen vor und haben sich nie in die damalige Mehrheit integriert, da sie nie die gleichen Rechte wie andere bekommen hatten. Die religiöse Trennung in viele kleine Gruppen innerhalb der Siebenbürger Ungarn lebte bis ins 20. Jahrundert fort.
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Entscheidend für den Unterschied zwischen einer Religion und einer weltanschaulichen Haltung ist der Jenseitsbezug.
Das ist sicher eine akzeptierte Definition. Wenn ich allerdings in einer Diskussion "quasi-religiöse" Züge entdecke, meine ich nicht den Jenseitsbezug, sondern eine, vor allem für monotheistische Religionen charakteristische eindimensionale Sicht auf Gut und Böse, Richtig und Falsch, verbunden mit der Überzeugung, die Wahrheit zu kennen, was zu einem großen Eifer der "Wahrheitsvermittlung" (Missionierung) und verringertem Verständnis für andere, der eigenen Sicht nicht erschließbare Ansichten führt. In dieser Hinsicht haben Religionen und weltanschauliche Haltungen, die man als Ideologien bezeichnen kann, viele Gemeinsamkeiten.
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