Szenekenner
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Urlaubsbericht Teil 3
Dann hat mich ein klitzekleines Motivationstief erwischt. Nicht wild, aber ich begann meine Oberarme zu spüren und dachte: „Oje und es ist noch soo weit! Es ist ja gerade mal gut die Hälfte.“ Geholfen hat mir, dass ich mich einer Einzelschwimmerin näherte und mir dachte, dass es schön wäre, sie zu überholen. Es war eine der beiden ganz jungen Inderinnen (18 und 19 Jahre alt), die extra aus Indien angereist waren. Ganz langsam kam ich immer näher. Ihre Mutter auf dem Begleitboot packte offenbar der Ehrgeiz, denn sie gestikulierte wild auf dem Boot und rief ihrer Tochter immer wieder was zu. Insgesamt hat der Überholvorgang eine halbe Stunde gedauert, aber dann war ich vorbei und konnte mein Tempo gut halten, während das Mädel eher langsamer wurde.
Es machte Spaß, dann noch zwei, drei Schwimmer zu überholen. Ich selbst wurde nur von Staffeln überholt, die ja 15 Minuten nach uns gestartet waren. Ich war überrascht, dass es sogar Staffeln gab, die gar nicht sooo viel schneller schwammen als die Einzelschwimmer. Also die schnellen Einzelschwimmer sind teilweise genauso schnell unterwegs gewesen, krass!
Das Motivationstief war erst mal überwunden und es ging munter weiter Richtung Zürich und ich war dann schon 6 h oder so unterwegs.
Unangenehm war einzig, dass mir mittlerweile leicht übel wurde von dem ekeligen Flüs-sigzeug, was ich zu mir nahm. Vielleicht hätte ich da mal auf die feste Nahrung umsteigen sollen, aber ich habe den Zeitpunkt wohl verpasst und irgendwann war mir so schlecht, dass ich mir nicht vorstellen konnte, etwas zu essen. Es war aber auch nicht so dramatisch, dass es mich beim Schwimmen eingeschränkt hätte, aber unangenehm schon.
Dann kam der Moment, über den sie am Vortag in der Wettkampfbesprechung gespro-chen hatten: Man kommt um eine leichte Biegung im See und dann kann man in der Ferne das Ende des Sees und Zürich erahnen. Sie hatten Bilder gezeigt, damit die Bootsführer sehen können, welche Landmarken sie zur Navigation nutzen können. Sie hatten extra dazu gesagt, dass man sich aber nicht täuschen soll, dass es sich da noch lange hinzieht und das Ziel scheinbar gar nicht näher kommt.
Das nahm ich mir zu Herzen, freute mich zwar, dass man jetzt schon erahnen konnte, wo das Ziel ist, machte mir aber bewusst, dass es noch dauert.
Ich schwamm und schwamm und schwamm, die Arme begannen wieder zu schmerzen und manchmal erwischte ich meine Hand dabei, wie sie übers Wasser schleifte und irgendwann traute ich mich, meinen Bruder zu fragen, was er meint, wie lange ich noch dauert bis zum Ziel. Er sagte: „Eine Stunde vielleicht noch?“ Das hatte ich auch geschätzt, allerdings hätte das eine Fabelzeit bedeutet, das hätte mich stutzig machen müssen. Hinterher stellte sich heraus, dass es an dieser Stelle noch 1:40 h für mich zu schwimmen war.
Ich habe aber noch mal zwei Einzelschwimmer überholt, das freute mich. In den letzten zwei, drei Stunden war es vorbei mit einfach nur so schwimmen und sich dran freuen. Jetzt musste ich mich doch konzentrieren auf das, was ich tue, um das Tempo nicht zu verschleppen oder die Technik nicht vollends den Bach hinunter gehen zu lassen. Ich bemühte mich um eine auseichende Zugfrequenz und um etwas, das den Namen Bein-schlag noch verdient. Damit musste ich aber vorsichtig sein, weil ich einmal einen ganz leichten Ansatz zum Krampf spürte. Auch in der Rückenmuskulatur merkte ich die lange Belastung jetzt doch ordentlich.
Dann konnte ich Details aus dem Zielbereich erkennen: Erst so gelbe Teile im Badi, dann endlich, endlich den Zielbogen aus bunten Luftballons! Der kam dann näher und näher und irgendwann dachte ich, jetzt vielleicht noch einen Kilometer. Weit gefehlt! Dann irgendwann dachte ich, jetzt aber vielleicht nur noch 500 m. Ich glaube ich dachte das dreimal oder so. Dann noch dreimal, dass es jetzt vielleicht nur noch 200 m sind. Ich schätze, dass diese Gedankenspiele die letzten 3-4 km beherrschten…
Dann winkte ich meinem Bruder und meinem Vater zu, die links am Zielbereich vorbei mussten, die letzten 200 m oder so schwimmt man alleine und wird im Ziel von einer Veranstalterin mit Mikrophon begrüßt, kriegt eine Medaille und eine Kunstblumenkette um den Hals gehängt und wird gleich fotografiert. Ich habe keine Ahnung, was ich für einen Blödsinn ins Mikrophon gefaselt habe.
Björn war da und kurz darauf auch schon mein Bruder, meinen Vater traf ich erst nach dem Duschen. Mir war unglaublich schlecht und ich hatte, kaum den Fluten entstiegen, richtig krasse Rückenschmerzen, die ich beim Schwimmen überhaupt nicht hatte. Ich konnte im ersten Moment kaum laufen, während andere Schwimmer munter herum spazierten und ganz frisch aussahen. Naja, viele von ihnen waren ja auch schon seit Stunden im Ziel…
Die Dusche tat gut und ich lernte, dass Vaseline nicht mit Duschgel abgeht. Dafür hätte ich wohl Öl oder so was gebraucht. Die notdürftige Reinigung reichte aber, dass ich sauber genug für eine Massage war.
Dann sah ich auch endlich meinen Vater wieder, der die 10 stündige Paddelpartie (er war ja schon früher im Boot als ich im Wasser) mit seinen 79 Jahren super überstanden hatte, Hammer!
Wir ließen uns noch mal als Gesamtteam fotografieren und bedienten uns dann am Büffet, wo es leckeres Essen gab, vieles auch indisch und vegetarisch/vegan. Ich konnte nicht viel essen, weil mir so schlecht war.
Während des Wartens auf die Siegerehrung lauschte ich den Gesprächen anderer Schwimmer, die aus den verschiedensten Ländern kamen. Obwohl auch eine Neuseelän-derin dabei war, hatten die Inderinnen aber vermutlich die weiteste Anreise, da die Neu-seeländerin wie die Australierinnen, die da waren, in London lebten. Engländer waren ohnehin viele da, die sind ja große Freiwasser-Fans. Es waren aber auch Amerikaner da, die froren dann im einsetzenden Regen, weil sie aus irgendeinem Bundesstaat kamen, in dem es kaum Regen gibt.
Hier jetzt die Zahlen:
Ich habe 9:41,59 h gebraucht.
Damit bin ich von den 41 Einzelschwimmern, die ins Ziel kamen (3 mussten oder wollten raus), 26. geworden.
Von den 28 Einzelschwimmern ohne Neo wurde ich 15.
7 Frauen schwammen solo ohne Neo, ich war von ihnen die 4. im Ziel.
Es gab immer nur zwei AKs: 18-39 und über 40. In meiner AK über 40 ohne Neo starteten nur zwei Frauen, so dass es nicht soo schwer war, die Altersklasse zu gewinnen.
Auf dem Rückweg mit dem Auto die ganze Strecke am See entlang, die ich hin ge-schwommen war, staunte ich darüber, wie weit das ist. Man braucht ja mit dem Auto schon mehr als eine halbe Stunde! Verrückt, so weit zu schwimmen…
Mein Fazit: Es war ein schöner Tag und ein großer Spaß. Es war völlig problemlos, es gab nicht einen Moment ernsthafte Probleme.
Mit einer guten Sportsfreundin, deren Meinung mir sehr wichtig ist, hatte ich im Vorfeld beschlossen, dass die Einnahme von Schmerzmitteln während des Wettkampfes für mich keine Option ist. Ich bin mit einem guten Gefühl in den Wettkampf gegangen und war am Morgen des Schwimmens sicher, dass ich es schaffen würde, selbst wenn Schmerzen auftreten. Ich bin aber natürlich froh, dass das gar nicht der Fall war. Das zeigt mir, dass ich gut vorbereitet war und dass mein Körper auch in der Lage ist, solche Distanzen in Training und Wettkampf zu bewältigen. Ein schönes Gefühl.
Vielen Dank an all diejenigen, die mitgefiebert haben oder an mich gedacht haben.
Vielen Dank an keko, der neben mir den wohl größten Anteil an der Sache hatte.
Vielen Dank an meinen Papa, an den Liebsten und an meinen Bruder.
Vielen Dank an den Zürichsee, der an diesem Tag gnädig und milde gestimmt war und mir gestattete, ihn zu bewältigen.
Vielen Dank an die Veranstalter dieses schönen Schwimmens.
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