Hallo allerseits!
Ich habe mir die Mühe gemacht und einige Bücher über Jesus gelesen. Wer war er und was wollte er? Nachfolgende gebe ich eine kurze Zusammenfassung dessen, was mir wichtig erschien. Unten findet Ihr die Bücher.
Das Nachfolgende ist im Großen und Ganzen der theologische Mainstream der heutigen „Neutestamentler“. Das sind jene Theologen, deren Forschungsgebiet das Neue Testament ist. Ich habe meinerseits keinerlei Kühnheiten hinzugefügt oder etwas zugespitzt. Einzelne Quellen habe ich aufgrund besserer Lesbarkeit im Text keine genannt, kann sie aber jederzeit gerne nachreichen.
Wer war Jesus?
Wir wissen es nicht. Er hat keinerlei Schriften hinterlassen. Auch seine Jünger hinterließen keine Schriften. Die vier Evangelisten der Bibel namens Markus, Matthäus, Lukas und Johannes sind unbekannte Personen. Sie hießen anders, ihre Namen wurden erfunden. Sie haben Jesus nicht gekannt. Es existiert selbst in der Bibel keine Biografie von Jesus (wie wuchs er auf, wer waren seine Lehrer?), sondern er betritt als erwachsener Mann die Bühne. Bereits wenige Monate später wird er von den Römern nach einer Randale im Tempel hingerichtet.
Historische Quellen, die seine Existenz belegen, gibt es nicht. Ein antiker Historiker erwähnt immerhin den Tod eines Mannes, den er für den Bruder Jesu hielt. Jesus selbst wird nirgendwo eindeutig erwähnt.
Da wir über Jesus nichts genaues wissen (können), gibt das Nachfolgende wieder, was am wahrscheinlichsten anzunehmen ist.
Woran glaubte Jesus?
Jesus war Jude. Er wollte auch nichts anderes sein. Alle seine Jünger waren Juden. Jesus richtete seine Worte an Juden und sprach nur ausnahmsweise und widerwillig mit Nichtjuden. Er wollte Nichtjuden, die er laut Bibel zusammenfassend als Heiden bezeichnete, nicht bekehren. Er schärfte seinen Jüngern ein, sich von den Städten der Nichtjuden fernzuhalten.
Hielt Jesus sich für einen Gott?
Nein. Jesus war als Jude streng monotheistischen Glaubens. Das bedeutet, es gab aus seiner Sicht nur einen einzigen Gott. Die Vergöttlichung weiterer Wesen wie seiner selbst, Maria oder dem Heiligen Geist wäre ihm als schlimme Gotteslästerung erschienen. In der Bibel findet sich kein Wort zur Trinitätslehre (Gott, Sohn und Geist). Diese Vorstellung wurde erst vierhundert Jahre nach Jesus hinzugefügt und zum Dogma erhoben. Jesus wusste davon nichts. Er selbst kommt in seinem Gebet, dem Vaterunser, als Gott nicht vor.
Wollte Jesus den jüdischen Glauben reformieren?
Nein. Er hielt das jüdische Gesetz für verbindlich. Er verschärfte es hier und da, indem er zum Beispiel angeblich bereits einen lüsternen Blick zum geistigen Ehebruch erklärte. Die jüdische Gebote, mit denen er in seiner Umgebung aufwuchs, richteten sich auf das Einhalten religiöser Rituale und Verhaltensweisen. Jesus fügte diesen Geboten laut Bibel rein gedankliche Vergehen hinzu. An manchen Stellen lockerte er jedoch das strenge Befolgen jüdischer Verhaltensrichtlinien ein wenig auf („der Sabbat ist für den Menschen gemacht, und nicht der Mensch für den Sabbat“). Ehebrecherinnen würden, wenn es nach ihm ginge, nicht mehr konsequent gesteinigt.
Verbreitete Jesus eine fortschrittliche Ethik?
Teilweise ja. Vor allem in seiner Botschaft der bedingungslosen Vergebung. Laut Jesus vergibt Gott den Menschen ihre Sünden, wenn sie bereuen. Und zwar einfach so, ohne ein vorausgehendes Sühneopfer. Das war ein Unterschied zum Alten Testament und zu den Religionen, die im dortigen Kulturkreis üblich waren. Ich komme später auf diesen Punkt zurück, da er von nachfolgenden Theologen in sein Gegenteil verkehrt wurde: Plötzlich braucht Gott angeblich das Sühneopfer des gekreuzigten Sohnes. Es ist das Gegenteil dessen, was Jesus für richtig hielt.
Teilweise nein. Jesus führt eine rein schwarzweiße Denkweise ein. Jude oder Heide. Gut oder Böse. Schafe oder Böcke. Ewiges Paradies oder ewige Verdammnis. Reisse Dir das Auge aus und hacke Dir die Hand ab, welche Dich verführt. Das ist fanatisch und ein Zeichen von Extremismus. Jesus fällt damit an etlichen Stellen hinter differenzierte Betrachtungen von Schuld, die es damals durchaus gab, zurück. Dasselbe gilt für seinen Höllenglauben, den es im Alten Testament noch nicht gab. Er konterkariert auf merkwürdige Art seine eigentlich sympathische Lehre vom liebenden Gott.
Insgesamt ergibt sich daraus ein gemischtes Bild. Häufig wird von Theologen daran erinnert, dass seine Ethik eine Endzeit-Ethik gewesen sei: Er war sich des nahen Weltendes gewiss. Das macht verständlich, warum er allen Juden riet, keinerlei Vorsorge für ihr weiteres Leben zu treffen. Es bedeutet aber auch: Für uns heutige Menschen, die wir zweitausend Jahre nach seinem Gottesreich-Irrtum immer noch auf der Erde leben, hatte er ehrlicherweise keine Botschaft. Seine Endzeit-Ethik ist in einem verantwortungsvollen Dasein heutiger Menschen nicht machbar.
Wollte Jesus ein Christentum gründen?
Nein. Jesus war Jude und wollte nichts anderes sein. Nichtjuden betrachtete er als Heiden, auch dann, wenn sie durchaus religiös waren. Ein nichtjüdischer Glaube war für ihn dasselbe wir gar kein Glaube. Das Christentum hätte er aus voller Überzeugung abgelehnt.
Die ersten Christen, die Urchristen, mussten sich von den Juden inhaltlich abgrenzen. Für die Juden war die Vorstellung, ein Mensch sei ein Gott, eine schlimme Gotteslästerung, die mit dem Tod bestraft wurde. Für die ersten Christen jedoch war zunächst mit dem Problem umzugehen, dass ihr vermeintlicher Messias hingerichtet wurde, und dass sein angekündigtes Gottesreich partout nicht kommen wollte, ganz gleich wie lange man darauf wartete. So erhoben sie Jesus zu einem Gott, der keineswegs tot sei, sondern im Himmel herrsche. Das nahmen wiederum die Juden übel. Diese sich hochschaukelnde Auseinandersetzung führte dazu, dass das Neue Testament ohne Übertreibung zu den bedeutendsten antijüdischen Hetzschriften der Geschichte gezählt werden kann. Die ursprünglichen Absichten und Überzeugungen des Juden Jesus wurden dadurch an vielen Stellen in ihr Gegenteil verkehrt.
Jesus sah sich selbst als jüdischer Rabbi. Das ist nicht nur das Ergebnis der neutestamentlichen Forschung, sondern war seit eh und je die Sichtweise der Juden selbst. Seine Vergöttlichung wurde von den Gläubigen und den Kirchen schrittweise vorangetrieben. Man kann diese einzelnen Schritte der literarischen Gottwerdung an vielen Stellen nachvollziehen. Beispielsweise ist Jesus im frühesten Evangelium noch keineswegs allwissend. In den später geschriebenen Evangelien entwickelt er sich mehr und mehr zu einer Gottheit. Die größten Schritte machte jedoch die katholische Kirche durch ihre Auslegungen und Dogmen. Mit dem Zimmermann aus Nazareth hat das aber nichts mehr zu tun.
Wollte Jesus eine neue Kirche gründen?
Nein. Er hielt Nichtjuden für Heiden.
Gab es noch andere Propheten außer Jesus?
Ja, sehr viele. In Palästina brodelte es, alle Jahre kamen Messiasse, Propheten und Königspretendenten daher. Beeinflusst waren sie überwiegend von den Römern, vom Hellenismus, von persischen Religionen und von zahllosen weiteren Strömungen der dortigen Nomadenvölker. Hier eine kurze, unvollständige Auswahl:
- Johannes der Täufer: Konservativ. Kritisierte den Lebensstil der Eliten. Von den Römern getötet.
- Jesus von Nazareth: Vorwiegend als Exorzist und Wunderheiler tätig. Von den Römern getötet.
- Tehudas, 44 n.Chr.: Rief eine Gemeine zum Jordan, dessen Wasser er spalten wollte. Von den Römern getötet.
- „Ägypter“, 60 n.Chr., der sich ebenso nannte. Wollte die Mauern Jerusalems durch seine Worte einstürzen lassen. Von den Römern getötet.
- Jesus, Sohn des Ananias. Will Jerusalem und den Tempel durch Gedanken einstürzen lassen. Von den Römern verhaftet. Wird aber freigelassen, da er für wahnsinnig gehalten wird.
- Simon ben Gioria sowie Menahem und Johannes von Gischala, 70 n.Chr., Propheten. Die beiden letzteren wurden von den Römern getötet.
Geht das Gebot der Nächstenliebe auf Jesus zurück?
Nein. Aus Sicht der neutestamentlichen Forschung wird Jesus eher in den Kontext des Judentums gestellt, denn als Gründer oder Verkünder einer neuen Ethik. Mit anderen Worten: Jesus verkündete die Ethik des Judentums. Diese Ethik war unter den Rabbinern seiner Zeit der Gegenstand einer lebendigen Diskussion. Das Liebesgebot findet man in Form von Vorläufern und Parallelen in den damaligen jüdischen und hellenistischen Texten. Jesus war hier eine Stimme in einem vielstimmigen Chor, aber nicht ein Solist, der abweichend von bereits vorhandenen Lehren etwas Neues über das Liebesgebot verkündet hätte.
Wie gesagt, die frühen Christen wollten sich von den Juden abgrenzen. Daher tauchen die Juden in der Bibel als raffgierig, unversöhnlich und gnadenlos auf. Jesus wird literarisch als Gegenpol inszeniert, der bescheiden, versöhnlich und barmherzig war. Sein Liebesgebot wirkt erst vor diesem verzerrtem Hintergrund neu und bedeutend. Tatsächlich war das Liebesgebot im Judentum bereits vorhanden. Jesus ist in seiner Verkündigung nicht über die Grenzen des Judentums hinausgegangen. Das von Jesus ausgesprochene Liebesgebot steht nicht in Opposition zum damaligen Judentum, sondern ist eines seiner Bestandteile.
Gibt die Bibel die Absichten und Ziele Jesu korrekt wieder?
Nein. Die Bibel verkündet einen historisch neuen Glauben, der sich aus anderen religiösen Strömungen über Jahrhunderte in strikter Abgrenzung zum Judentum entwickelte. Jesus war überzeugter Jude. Nichtjuden betrachtete er als Heiden.
Gibt die katholische oder evangelische Kirche die Absichten und Ziele Jesu korrekt wieder?
Nein. Das Christentum geht vor allem auf Paulus zurück. Paulus hat Jesus nicht gekannt und hatte am historischen Jesus kein Interesse. Sondern er erfand in Anlehnung an den Mithras-Kult, der in seiner Heimat lebendig war, eine mythologische (nichtreale) Christus-Figur. Es gelang ihm, diese Legende gegen den Widerstand der Urchristen, die Jesus teilweise noch gekannt hatten, durchzusetzen. Jesus wurde durch Paulus zu einer erdachten Figur, welche sich theologisch über Jahrhunderte immer weiter weg entwickelte vom tatsächlichen Jesus. Oft bis ins genaue Gegenteil.
Zentrale Dogmen und Glaubenssätze der christlichen Kirchen stellen heute das genaue Gegenteil dessen dar, was Jesus vermutlich wollte und wofür er sich einsetzte. Dafür einige Beispiele.
- Die christlichen Kirchen fühlen sich beauftragt und legitimiert, andere Menschen zu missionieren. Jesus sagte das Gegenteil. Er wies seine Jünger an, nicht zu den Ungläubigen zu gehen. Ihnen selbst als Wunderheiler zu helfen, hielt er für Zeitverschwendung.
- Die christlichen Kirchen fühlen sich als Vertreter Gottes auf Erden. Jesus hielt alle Nichtjuden für Heiden.
- Die Kirchen haben umfangreiche Rituale entwickelt, um die Vergebung Gottes zu erwirken, bis hin zum Ablasshandel. Jesus sagte, Gott wird die Sünden vergeben, einfach so.
- Vom notwendigen Sühnetod eines unschuldigen Menschen am Kreuz, damit Gott die Sünden vergeben könne, hielt er daher nichts.
Im letzten Punkt wird deutlich, wie sehr sich die Gottesvorstellung, welche Jesus hatte, von der der Christen unterscheidet. Der Gott, an den Jesus glaubte, brauchte kein notwendiges Opfer und auch keine anderen äußerlichen Beweise für die Vergebung von Sünden. Wenn man an Jesus, der im religiösen Sinne voll und ganz ins Judentum gehört, etwas originell und besonders finden will, ist es doch dieser Punkt der bedingungslosen Sündenvergebung durch Gott.
Diese religiöse Überzeugung Jesu wird von den Kirchen ins Gegenteil verkehrt, weil diese eine Erklärung brauchen, weshalb der Messias hingerichtet wurde. Jesu eigener tragischer Tod wird von den Kirchen missbraucht für eine theologische Lehre, der er nicht zugestimmt hätte.
Wie wird mit dieser paradoxen Situation umgegangen?
Der obige knappe Abriss ist der Mainstream der neutestamentlichen theologischen Forschung. Er ist unvollständig und ungenau, aber er trifft wohl einen Kern, dem viele Neutestamentler zustimmen werden. Direkt ausgesprochen wird das aber nur selten. Meistens wird argumentiert, dass es auf den historischen Jesus gar nicht ankomme, sondern auf die Idee des Jesus als Menschensohn, an den Glauben an den Christus.
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Wer den Kirchen skeptisch gegenübersteht und mit Teufeln, Engeln und heiligen Geistern nicht viel anfangen kann, aber in Jesus aus Nazareth eine sympathische, bereichernde oder verehrungswürdige historische Person sieht, kann sich ein paar Bücher über ihn durchlesen. Hier meine kleine Leseliste.
- Theissen: Der historische Jesus. Für Fortgeschrittene.
- Augstein: Jesus Menschensohn. Nur noch im Antiquariat erhältlich. Sprachlich umständlich und zäh.
- Kubitza: Der Jesuswahn. Sachlicher, als der Titel vermuten lässt. Lesetipp.