Sind Kirchen und christliche Religion tatsächlich moralisch so kompetent, wie sie immer behaupten? Ist das nicht Wunschdenken? Denn wie kann es sein, dass zu fast jeder moralisch wichtigen Frage durchaus gläubige wie kompetente Christen so gut wie jede mögliche Antwort ernsthaft vertreten und vertreten haben: Christen plädieren für Pazifismus und Kriegsbereitschaft, für Sozialismus und Kapitalismus, für die Gleichberechtigung und die Unterordnung der Frau, für und gegen gleichgeschlechtliche Liebe und homosexuelle Ehe, Empfängnisverhütung und Sterbehilfe. Wie ist diese moralische Orientierungslosigkeit einer Religion zu erklären, die sich hartnäckig immer wieder selbst als Hüterin der Moral versteht? Andreas Edmüller kommt in seinem Buch zu einem überraschenden Ergebnis: Eigentlich verfügt das Christentum über keinerlei ernstzunehmende Morallehre. Denn was man findet, ist lediglich ein in sich unstimmiges und unsystematisches Konglomerat an Geboten und Verboten, Gleichnissen und biblischen Erzählungen, sind Appelle an Autoritäten, antike Präzedenzfälle, Missverständnisse und oft kaum haltbare Interpretationen der angeblich heiligen Schriften. Und selbst wenn da mehr wäre – es ließe sich nicht vernünftig begründen. Das ganze Gebilde der christlichen Moral hängt wie eine esoterische Pseudo-Lehre in der Luft. Edmüllers Fazit: Die moralische Relevanz des Christentums ist im Rahmen verantwortungsvoller und vernünftiger Diskussion vernachlässigbar, ja oft genug sind christliche Positionen sogar schädlich.
Es gibt im eigentlichen Sinn keine Moralvorstellungen in der christlichen Lehre. Das ist ein Mythos:
[/i]
Das ist ja ne gewagte These... Es gibt sicher nicht DIE unabänderliche Moral im Christentum, aber zu jeder Zeit und an jedem Ort eine christlich begründete Moral. Der Typ, der das Buch bewirbt, widerspricht sich ja schon im Klappentext selbst... naja, muss halt verkaufsfördernd rüberkommen.
Die Flexibilität der christlichen Moral hat diese Religion ja so erfolgreich gemacht in den letzten zwei Jahrtausenden. Da kam z.B. der Islam, der ja anfangs durchaus erfolgreich war, irgendwann nicht mehr mit. Das Revival des Islams in den letzten zwanzig Jahren haben wir ja nur der Tatsache zu verdanken, dass wir ein paar Wahabiten bei jedem Tankvorgang ein paar Euro zur Verbreitung ihrer mittelalterlichen Lehren in die Hand gedrückt haben. Je unabhängiger wir von fossilen Enerieträgern werden, desto weiter werden diese Typen auf ihre wahre Grösse zurechtgestutzt. Noch ein Grund mehr, aus Erneuerbare zu setzen.
__________________
Wenn Ihr alle die Zeit, die Ihr hier im Forum vertüdelt, fürs Training nutzen würdet...
Es gibt im eigentlichen Sinn keine Moralvorstellungen in der christlichen Lehre. Das ist ein Mythos:
........
Du bringst damit ein interessantes Thema in den Thread, das wir hier auch schon oft aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet und besprochen haben.
Mir ging es aber jetzt weniger um die (In)Konsistenz der christlichen Morallehre seit dem Urchristentum. Ich habe die konkreten zeitgeschichtlichen sittlichen Moralvorstellungen der bürgerlichen und religiösen Oberschicht in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts inbezug auf die Mütter unehelicher Kinder in Irland angesprochen vgl. diesen Abschnitt beim Wikipediaeintrag "Magdalenenheime. Dazu gehörten beispielsweise Gesetze über die Bestrafung von Schwangerschaftsabbruch, über die Rechtlosigkeit dieser schwangeren, unverheirateten Mütter, über Bestrafung wegen (angeblicher) Prostitution, über Vormundschaften oder das religiöse Verbot des Geschlechtsverkehrs ausserhalb der Ehe sowie der Verhütung und die Zwangsterilisation in manchen anderen Ländern etc.
Es gibt sicher nicht DIE unabänderliche Moral im Christentum, aber zu jeder Zeit und an jedem Ort eine christlich begründete Moral.
Mir scheint, dass es auch zum jetzigen Zeitpunkt und zu wesentlichen moralischen Fragen unterschiedliche Haltungen gibt, die sich jeweils auf dieselbe Überlieferung, die Bibel, berufen.
Darf eine Frau Pfarrer werden? Dürfen gleichgeschlechtliche Paare heiraten? Dürfen geschiedene Menschen sich scheiden und erneut heiraten? Ist Sex vor der Ehe erlaubt? Ist der Gebrauch von Verhütungsmitteln eine Sünde? Und so weiter.
Zu solchen und vielen anderen "Fragen" gibt es im historischen wie im aktuellen Christentum ganz unterschiedliche Haltungen. Jede davon beruft sich auf die Autorität göttlicher Offenbarung.
Edmüller spricht weniger von einzelnen moralischen Standpunkten, als vielmehr von einem moralischen System: Im Christentum gibt es jede Menge moralischer Standpunkte zu einzelnen Fragen. Es gibt aber kein zusammenhängendes moralisches System, das es erlauben würde, auch künftige moralische Fragestellungen zu entscheiden.
In unserer modernen Gesellschaft haben wir solche Leitgedanken (Menschenwürde) zu einem moralischen System ausgearbeitet, welches uns ermöglicht, neue Fragestellungen zu bewerten und beantworten. Beispielsweise ist es uns möglich, Sklaverei, Sterbehilfe, Gleichstellung der Geschlechter oder Tierquälerei aufgrund unseres moralischen Systems zu bewerten. Im Christentum gelingt das nicht auf einheitliche Weise. Sklaverei war für die christliche Welt für die meiste Zeit eine Selbstverständlichkeit, ebenso wie die Geringstellung der Frau.
Mir scheint, dass es auch zum jetzigen Zeitpunkt und zu wesentlichen moralischen Fragen unterschiedliche Haltungen gibt, die sich jeweils auf dieselbe Überlieferung, die Bibel, berufen.
Zu solchen und vielen anderen "Fragen" gibt es im historischen wie im aktuellen Christentum ganz unterschiedliche Haltungen. Jede davon beruft sich auf die Autorität göttlicher Offenbarung.
In unserer modernen Gesellschaft haben wir solche Leitgedanken (Menschenwürde) zu einem moralischen System ausgearbeitet, welches uns ermöglicht, neue Fragestellungen zu bewerten und beantworten. Beispielsweise ist es uns möglich, Sklaverei, Sterbehilfe, Gleichstellung der Geschlechter oder Tierquälerei aufgrund unseres moralischen Systems zu bewerten. Im Christentum gelingt das nicht auf einheitliche Weise. Sklaverei war für die christliche Welt für die meiste Zeit eine Selbstverständlichkeit, ebenso wie die Geringstellung der Frau.
Ich glaube zu Flexibilität der christlichen Werte sind wir uns einig. Haben es nur unterschiedlich ausgedrückt.
Was unser heutiges Wertesystem angeht, bin ich mir nicht so sicher. Nehmen wir unser Grundgesetz. Das ja auch noch nicht soo alt ist... Also per se nicht zeitlich stabil. Nun haben wir ein paar unverhandelbare Basiswerte- ok. Doch deren Interpretation ist weiterhin sehr vom Zeitgeist abhängig. Theoretisch hatten wir gleiche Rechte für Männer und Frauen- praktisch durften im Westen Frauen bis in die 70er -wenn ich korrekt informiert bin -nicht ohne Zustimmung ihres Ehemannes arbeiten. Und die Sterbehilfe ist ja nun eher ein schlechtes Beispiel- da brauchte es eine riesige Arbeitsgruppe, u.a. mit Kirchenbeteiligung, um einen Kompromiss zu finden, den eigentlich keiner mag.
Versteh mich nicht falsch- ich bin absolut für die Weiterentwicklung ethischer Standards und auch die Anpassung an Realitäten, finde das eine Stärke gegenüber einem statischen Wertekorsett. Aber unser System lässt eben ähnlich viel Spielraum wie die Bibel. Es ist einfach demokratisch legitimiert- im Gegensatz zum alten Mann in Rom (ok, der wird angeblich sogar von Gott erwählt...).
__________________
Wenn Ihr alle die Zeit, die Ihr hier im Forum vertüdelt, fürs Training nutzen würdet...
Ich habe die konkreten zeitgeschichtlichen sittlichen Moralvorstellungen der bürgerlichen und religiösen Oberschicht in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts inbezug auf die Mütter unehelicher Kinder in Irland angesprochen...
Dazu gehörten beispielsweise Gesetze über die Bestrafung von Schwangerschaftsabbruch, über die Rechtlosigkeit dieser schwangeren, unverheirateten Mütter, über Bestrafung wegen (angeblicher) Prostitution, über Vormundschaften oder das religiöse Verbot des Geschlechtsverkehrs ausserhalb der Ehe sowie der Verhütung und die Zwangsterilisation in manchen anderen Ländern etc.
Mir scheint, dass die extrem konservativen Moralvorstellungen der irischen Oberschicht identisch waren mit den Moralvorstellungen der damaligen Kirche.
Die paranoide Überhöhung der Jungfräulichkeit (ausschließlich der Frauen!), die Verteufelung des Sexuell-Sinnlichen, vor allem die Herabwürdigung des Geschlechtsakts, die Wahrnehmung der Frauen als Gefahr für die gesellschaftliche Moral usw., das sind doch alles christliche Schwarzweiß-Vorstellungen von der Welt.
Es ist doch kein Zufall, dass wir in Irland ein christlich betriebenes System an Zwangsarbeit zur Ausbeutung und Disziplinierung der Frauen vorfinden – wo sind die Männer, die ebenfalls an den Schwangerschaften beteiligt waren? Wo sind katholische Einrichtungen, bei denen Männer jahrelang 7 Tage die Woche unbezahlt in Wäschereien schuften mussten?