Da ist mir doch heute wieder so einer vor die Flinte gelaufen. Eigentlich wollte ich mir nach dem so in die Hose gegangenen Halbmarathon nur beweisen, dass ich noch joggen kann, aber dann hat mich doch zu sehr der Hafer gestochen und ich habe alles gegeben, um einen jungen Helden in die nicht vorhandenen Schranken zu verweisen.
Als ich zu Hause los laufe, denke ich nur eins: "Hoffentlich wird das heute nicht so schlimm wie die letzten zwei Versuche, die so kläglich gescheitert sind." Zweimal hatte ich nach dem Halbmarathon zögerliche Versuche des Joggens unternommen und so waren sie denn auch geendet: kraftlos und jammerlappich. Heute bin ich wild entschlossen, der Misere ein Ende zu setzen. Die ersten paar hundert Meter trabe ich so vor mich hin und dann biege ich ins Wäldchen hinterm Haus. Uuuupps, meine Hose rutscht. Ich bleibe kurz stehen und zuppel einen Knoten in das Taillenband. Währenddessen überholt mich ein Mann: um die 30 und gekleidet wie man es manchmal in der Bunten sieht, in die man natürlich nur zufällig schaut, weil man gerade beim Zahnarzt sitzt. Der Kerl trägt eine graue Jogginghose (vermutlich ein hautsympathisches Baumwoll-Synthetik-Gemisch) und einen passenden Kaputzenpullover. Das hatten wir in den 80-ern schon mal an, kann ich mich erinnern. Selbstverständlich sahen wir granatenstark aus, aber das Zeug war äußerst anstrengend zu tragen, weil es einfach ein Schlabberlook war, der am Ende klatschnass und schwer war. George Clooney trägt solche Klamotten zum Schaulaufen, wenn er zufällig mal von den Paparazzi geknipst wird, die er vermutlich ebenso zufällig kurz vorher angerufen hat.
Der junge Wilde überholt also. Grußlos, versteht sich. So Luschen wie mich würdigt der keines Blickes. Ich trabe weiter. Am linken Wegesrand geht ein Mann Mitte 50 und presst seine linke Hand in den Unterbauch. Aha, Seitenstechen. Kaum wird er vom Kampfjogger überholt, fällt er wieder in leichten Trab. Dann wieder das gleiche Bild: schwer durch den Mund ausatmend, die Hand auf den Bauch gepresst, versucht er es mit Power-Walken. Was mich tatsächlich wundert, ist, dass der noch nicht wegen Überhitzung kollabiert ist. Wer sich für -15 Grad anzieht und dann bei +10 Grad los läuft, muss sich ja nun wirklich nicht wundern, wenn der Körper keine Lust hat, sich im Biwak-ähnlichen Thermo-Umfeld auf Hochtouren zu bewegen. Dann passiere auch ich den Athleten und muss mir das Elend nicht länger mit ansehen.
In der Zwischenzeit hat der junge Mann ja immerhin schon bestimmt fünf Meter zwischen sich und mich gebracht. Aber nur, wenn ich´s großzügig berechne. In der ersten Rechtskurve versucht er unauffällig, über seine rechte Schulter einen Blick nach hinten zu werfen. In genau diesem einen Augenblick laufe ich selbstverständlich unglaublich locker und ich nehme die Kampfansage mit Freuden an. Dann passieren wir zwei entgegen kommende Fußgänger, die uns den Weg frei machen. Ich bedanke mich artig, er sagt nichts. Vermutlich, weil ich bis auf vier Meter ran gelaufen bin. Direkt danach müssen wir eine Straße überqueren. Ich schließe auf, und wir hoppeln über die Fahrbahn ins Waldstück auf der anderen Seite. Mannomann, jetzt will er´s aber wissen und verschärft das Tempo. Taktisch ein ganz schlechter Zeitpunkt, will ich meinen. Um mir schon mal ein bisschen Respekt zu verschaffen, schere ich auf die linke Spur aus. Klappt, er zieht an. Ruhig, Brauner, denke ich, und lache innerlich über so viel Ungestüm. Und dann ist es auch schon so weit: Die Linkskurve mit dem fiesen kleinen Hubbel tut sich auf. Jetzt mache ich das, was ich eigentlich nicht kann: Ich versuche, dynamisch und leichtfüßig, aber dennoch wie scheinbar mühelos ohne Hecheln vorbei zu fliegen. Grußlos, versteht sich. Wenige Augenblicke noch höre ich hinter mir wüstes Keuchen. Dann geht´s ein klitzekleines Stückchen runter und dann wieder ein klitzekleines Stückchen rauf. Und dann ist Ruhe. In den nächsten Kurven versuche ich, einen unauffälligen Blick über die Schulter zu riskieren, aber da stehen nur Bäume.
Mit dem Sch***-Halbmarathon bin ich jetzt ausgesöhnt. Laufen macht wieder Spaß.
Mein Trainingstagebuch schreibe ich auf Claudi gives it a TRI ... es ist ein recht steiniger Weg von der Couch zum Triathlon, mit Geschichten über Wettkämpfe, das Zurückkämpfen nach Unfällen und dem großen Traum vom Ironman.
Genau so werden Lektionen in Demut verteilt
Mal dir, mal dem andere (und dann einem dritten)...
Sehr gut gemacht!
Unterm Strich muss ich definitiv mehr einstecken . Da war das gestern ein kleiner kostbarer Ausflug für mich auf die Seite derer, die auch austeilen können. Für mich ist es gut, mal zu sehen, dass ich so etwas - natürlich auf niedrigem Niveau - überhaupt kann. Ich sehe dich noch beim Lauf für mehr Zeit nach einer Runde mir vorbei flitzen: während du drauf gepackt hast, habe ich stark abgebaut. Aber der Lerneffekt war groß .