Altkönig-Lauf in Kronberg. Bestes Spätsommerwetter. Leider bin ich nicht vorangemeldet und druckse so rum, ob ich denn jetzt auf der 10 Kilometer-Strecke starte oder nicht. Das übliche "die anderen sind alle so guuhuuut, und ich bin so schleeehecht". Aber dann denke ich, dass ich meinem Sohn ja ein Vorbild sein und einfach mitmachen sollte. Schließlich nervt´s mich auch, wenn er immer so rumbleiert. Also die Kleinfamilie ab ins Auto, und los geht´s.
Wir düsen in den Nachbarort. Vorbei am Kronberger Golfplatz und dem exklusiven Schlosshotel, das zu den "Leading Hotels of the World" gehört. Die Investmentbanker-Dichte in dieser Stadt vor den Toren Frankfurts ist bekanntermaßen sensationell hoch. Geldmangel ist hier nun wahrlich kein Problem. Aber die Sportanlage des MTV Kronberg ist ein kleines Juwel: Der Platz ist klein und von drei Außenbahnen umsäumt. Drumherum alte, hohe Bäume, die in den allerbuntesten Farben leuchten. Die sanitären Anlagen sind vermutlich aus den frühen 70-ern, aber top gepflegt und natürlich völlig ausreichend, denn schließlich möchte ich da nicht einziehen, sondern nur die Happy-Box benutzen und nach dem Lauf duschen. Es gibt eine kleine Turnhalle, die höchstens halb so groß ist wie eine normale Turnhalle und in der ich mich nachmelde. Meine Startnummer ist die 205, und der Mann, der sie mir aushändigt, schwört Stein und Bein, dass die unglaublich schnell macht und ich damit mindestens eine Minute schneller laufen werde als im letzten Jahr. Schön zu wissen. Schade nur, dass ich hier bisher noch nie hier gestartet bin.
Bei einem anderen Offiziellen erkundige ich mich, ob es unterwegs etwas zu trinken gibt. "Klar", sagt er, "Cocktails, Champagner, auch ein paar Schnittchen." "Ich hatte nichts anderes erwartet", antworte ich lachend, "schließlich sind wir hier in Kronberg." Mein Mann meint später dazu nur: "Der hat wegen deiner Tussi-Sonnenbrille bestimmt gedacht, du bist von hier."
Da ich bekanntlich gern just-in-time anreise, habe ich gerade noch die Möglichkeit, die Happy Box aufzusuchen und anschließend einmal auf und ab zu zockeln. Dann geht´s zum Start. Im Startbereich fällt mir ein Mann in hautengen, kurzen Tights und sehr engem Oberteil auf. Mit den knackigen Beinen und dem durchtrainierten Kreuz kann er sich das aber durchaus leisten. Er trägt eine dunkle Locken-Perücke sowie eine Sonnenbrille, und eigentlich warte ich nur drauf, dass jetzt gleich irgendwelche Kumpels vom Junggesellenabschied dazustoßen und er seinen letzten Lauf in Freiheit macht. So oder so ähnlich stelle ich mir das vor. Fast bin ich versucht, ihn anzusprechen, aber irgendwie ist der Mann recht still und zurückhaltend. Der sieht auch gar nicht so aus als würde der auf jemanden warten. Naja, denke ich, wird schon noch was passieren.
Startschuss. Ich lass es mal gemütlich angehen und das ist nett. Die Strecke ist wellig und für eine gute Zeit zu mühsam. Zumindest für mich. Nach Kilometer fünf ist das Schlimmste geschafft und ich versuche, schneller zu laufen. Geht ganz gut. Lockere Schultern, gute Beine, frischer Kopf. Früher wollte ich ja während jeden Laufes mindestens einmal den Laufsport an den Nagel hängen, aber das ist in den letzten Monaten immer seltener vorgekommen. Ab Kilometer hab-ich-vergessen ist eine Frau im ähnlichen Tempo wie ich unterwegs. Das erste Mal in meinem Leben denke ich nicht daran, sie ziehen zu lassen, sondern sie gnadenlos abzuhängen. Bis zum letzten Hügelchen bin ich zuversichtlich. Dann überkommt mich plötzlich und heftig Übelkeit, und ich bleibe stehen, damit ich mir das schöne Frühstück nicht noch mal durch den Kopf gehen lassen muss. Na, toll. Als es wieder geht, geht´s auch nur noch bergab und ich gebe Hackengas. Nützt leider nichts mehr. Am Ende bin ich 7 Sekunden langsamer als die Frau, die ich so lange nicht habe vorbei ziehen lassen. Die Gesamtvierte freut sich im Ziel, dass ich sie so viele Kilometer so schön gezogen habe. Auch ein Mann haut mir noch freudestrahlend auf die Schulter und meint: „Super gelaufen.“ Ja, was bin ich doch für ein guter Mensch, nicht wahr? Beim letzten Silvesterlauf zum Beispiel haben sich drei junge und als Hasen verkleidete Männer kilometerlang an meine Fersen geheftet, nur um dann einige hundert Meter vor dem Ziel so richtig davonzuhoppeln. Die haben sich damals auch artig bedankt. Wenn ich schon keine Pokale nach Hause bringe, sollte ich eventuell darüber nachdenken, im Zielbereich ein kleines „Danke“- Büchlein zu deponieren, in das sich jeder, dem ich wertvolle Zugdienste geleistet habe, eintragen kann.
Gesamterste ist übrigens die Frau mit der Perücke, die ich fälschlicher Weise für einen Mann gehalten hatte. Zu Hause habe ich im Netz nachgeschaut: Sie ist eine Transsexuelle und hat sich im November 2008 einer Operation unterzogen. Medizinisch und juristisch ist sie eine Frau und sie sagt von sich selbst: „Ich fühle mich zwar als Frau, für andere Menschen bin ich es deshalb aber noch lange nicht. Das ist ein schreckliches Gefühl." Mensch, bin ich froh, dass ich am Start einfach mal mein loses Mundwerk gehalten habe.
War heute irgendwie ein bewegender Tag muss ich sagen.
Da bin ich mal gespannt, was Montag auf der Köhlbrandbrücke los ist. Die Location schreit nach schrillen Vögeln. Und den Mund halten? Das geht gar nicht. Wie sagte schon mein Opa Oskar? "Nie die Fresse halten, egal, wie aussichtslos die eigene Position ist!"
Gesamterste ist übrigens die Frau mit der Perücke, die ich fälschlicher Weise für einen Mann gehalten hatte. Zu Hause habe ich im Netz nachgeschaut: Sie ist eine Transsexuelle und hat sich im November 2008 einer Operation unterzogen. Medizinisch und juristisch ist sie eine Frau und sie sagt von sich selbst: „Ich fühle mich zwar als Frau, für andere Menschen bin ich es deshalb aber noch lange nicht. Das ist ein schreckliches Gefühl." Mensch, bin ich froh, dass ich am Start einfach mal mein loses Mundwerk gehalten habe.
War heute irgendwie ein bewegender Tag muss ich sagen.
Sehr schöner Bericht !
Ich habe sie am Wochenende während des Laufens gar nicht gesehen (gut, ich bin auch den 20er gelaufen), sondern nur danach auf dem Rad. Aber mir ist vor ein paar Wochen in Usingen ein Kommentar zu ihr rausgerutscht, als ich noch nicht wusste, um wen es sich handelt...aber die Perücke ist wirklich grauenhaft !
Sonntag Abend im Biergarten. Glaubt man den Wetterfröschen, ist es der letzte schöne Tag in diesem Altweibersommer. „Wolfgang Petry ist auch da“, raunt ein Keller dem anderen im Vorbeigehen direkt hinter meinem Rücken zu. Schräg links in meinem Blickfeld sitzt der Doppelgänger mit einer langhaarigen Dunkelhaarigen, die bis zu den Schultern blond ist. Sieht aus als hätte sie sich einfach eine blonde Kurzhaarperücke über lange dunkle Haare gestülpt, aber vermutlich ist das in langwierigem und kostspieligem Procedere gefärbt. Nicht zu glauben, was manche Leute so für Ideen haben. Als ich mir den Doppelgänger so ansehe, fällt mir sofort Wolles „Hölle, Hölle, Hölle“ ein. Vielleicht hat er das ja auch mal nach einem komplett vermurksten Halbmarathon geschrieben, denke ich.
Der Morgen war wie immer. Ich hatte gefrühstückt wie immer, war aufgeregt wie immer und freute mich auf einen schönen Tag. Beim kurzen Warmlaufen in Rodenbach merke ich, dass mein Magen muckt, aber ich schiebe das auf die Anspannung. Hätte ich man lieber auf mein Bauchgefühl gehört. Nach einem Kilometer ist klar, dass das heute leider gar nichts wird. Ich habe vom Start weg keine Kraft und Magenschmerzen. Bedauerlicherweise wird das für den Rest der Strecke auch so bleiben. Wenn es eine Trainingsrunde wäre, würde ich nach Hause gehen und einen Kamillentee trinken. So entscheide ich mich dafür, einfach anzukommen.
Es sind vier Runden zu laufen, wobei man bei meinem Tempo nicht wirklich von laufen sprechen. Der Begriff Tempo verbietet sich in diesem Zusammenhang eigentlich auch geradezu von selbst. Auf der zweiten Runde überholen mich mindestens zehn Frauen, auf der dritten bestimmt noch mal acht. Nach der dritten Runde sind sich meine am Rande stehenden Eltern einig: „Entweder kommt sie gar nicht an oder sie steht gleich im Wald und spuckt.“ und rufen mir ein fröhliches "Das sieht gut aus!" zu. Ich selber habe den Eindruck, dass ich sofort einschlafen würde, wenn ich mich jetzt irgendwo hinlegen würde. Im Kopf ist leider auch nichts frisch, aber ich stelle mir vor, es wären die letzten 20 Kilometer nächstes Jahr im Juli in Frankfurt, da würde ich ja auch nicht einfach so aufhören. Und außerdem: Wenn ich jetzt schon so einen gebrauchten Tag erwische, habe ich im nächsten Jahr vielleicht das Glück, dass der 8. Juli ein ganz besonders guter wird.
Ins Ziel komme ich nach 2:02 Stunden. Normalerweise heule ich ja nur vor Wut, aber heute bin ich so enttäuscht, dass ich mal tüchtig schlucken muss. Bis zum Ende des Tages gibt´s Schonkost und mir geht´s wieder besser. Für einen Softie wie mich bleibt der Trost, dass ich nicht aufgegeben habe. Ansonsten war´s wie gesagt: Hölle, Hölle, Hölle.