Ich schlußfolgere, dass aus deiner Sicht der wissenschaftlich ausgebildete und unvoreingenommen erzogene Mensch unreligiös wäre. Nur ist die Epoche der Aufklärung schon ein paar Jahrhunderte her und keine Erfindung von 2017 und trotzdem gibt es religiöse Menschen, die einen Glauben haben. Auch in Deutschland.
Menschen glauben auch, weil sie glauben wollen. Das ist der Punkt! Sie tun das auch ohne äussere Zwänge und nicht nur, weil sie keine naturwissenschaftliche Ausbildung haben oder von ihren Eltern in die Kirche geschleppt wurden. Der Mensch ist eben nicht ein Wissensverarbeitungsmaschine, die Vorstufe zu einem Robotor (der übrigens auch nicht völlig neutral sein kann).
Sehe ich gößtenteils anders. Wenn wir uns unser eigenes Land anschauen, so denke ich, dass der "Glaube" doch sehr viel mit Erziehung und dem sozialen Umfeld zu tun hat. Von Kindheit an, wird uns ab dem Kindergarten die Religionsweisheiten eingetrichtert und so getan, als ob es daran überhaupt keinen Zweifel gibt. Noch schlimmer: es findet überhaupt keine differenzierte Diskussion dazu statt. Und natürlich glaubt meine 9-jährige Tochter heute, dass alles was der Religionslehrer erzählt auch wahr sei. Was soll sie auch anderes tun?! Für Kinder existiert nur eine Wahrheit und das ist auch gut so. Daher finde ich es als extrem fahrlässig, sich über eine Begriffsumdeutung aus der Verantwortung zu stehlen.Mittlerweile hat aber auch meine Tochter bereits erkannt, dass einige Erzählungen sich doch sehr komisch und unrealistisch anhören (ja, leider informiert sich die heutige Jugend weit aus mehr, als wir es früher ggfalls getan haben; schlecht für die Kirchen).
Darüberhinaus glaube ich auch, dass bis vor einigen Generationen ein sehr großer vorauseilender Gehorsam in der Bevölkerung zu erkennen war/ist. Ich erlebe das selbst bei meinen Eltern, die sich durch äußere Kompetenzsignale wie Uniformen, offizielle Titel, etc. sehr stark beeinflußen lassen. Diese Generation ist es bis dato nicht gewohnt gewesen, Aussagen oder Lehren dieser Personen in Frage zu stellen und man hat diese daher größtenteils 1:1 übernommen.
Das dies auch die Kirche damals erkannt hatte, zeigt sich für mich immer wieder, durch einen Besuch der Gotteshäuser dieser Republik. In diesen bombastischen Häusern wird man doch nahezu erdrückt durch die Größe und die extreme Opulenz mit Prunk und Protz. Da wird doch ganz klar und plastisch signalisiert wer Groß und wer Klein ist (und auch zu sein hat). Das hat für mich nichts damit zu tun, sich auf Augenhöhe zu begegnen und eine gleichberechtige Konversation zu führen.
... wird uns ab dem Kindergarten die Religionsweisheiten eingetrichtert ... natürlich glaubt meine 9-jährige Tochter heute, dass alles was der Religionslehrer erzählt auch wahr sei. Was soll sie auch anderes tun?! Für Kinder existiert nur eine Wahrheit und das ist auch gut so...
Nun ja, hast Du die Erziehung und Sozialisation an Kindergarten und Schule outgesourced?
Und woher kommt die Annahme, Kinder mit 9 hätten nur "eine Wahrheit"?
Und natürlich glaubt meine 9-jährige Tochter heute, dass alles was der Religionslehrer erzählt auch wahr sei. Was soll sie auch anderes tun?! Für Kinder existiert nur eine Wahrheit und das ist auch gut so.
Warum nimmst du sie nicht aus dem Reli-Unterricht raus?
Das mit der "eine Wahrheit" verstehe ich nicht. Meine Töchter hatten in dem Alter schon ebenso Zweifel. Wobei der Reli-Unterricht nochmal aufgeweicht wurde im Gegensatz zu meiner Zeit.
Das dies auch die Kirche damals erkannt hatte, zeigt sich für mich immer wieder, durch einen Besuch der Gotteshäuser dieser Republik. In diesen bombastischen Häusern wird man doch nahezu erdrückt durch die Größe und die extreme Opulenz mit Prunk und Protz. Da wird doch ganz klar und plastisch signalisiert wer Groß und wer Klein ist (und auch zu sein hat). Das hat für mich nichts damit zu tun, sich auf Augenhöhe zu begegnen und eine gleichberechtige Konversation zu führen.
Ich meinte übrigens auch Religiösität insgesamt und nicht, ob man daran glaubt, dass z.B. Jesus auf einem Esel ritt oder nicht.
Menschen glauben auch, weil sie glauben wollen. Das ist der Punkt! Sie tun das auch ohne äussere Zwänge
Du müsstest meiner Meinung nach noch darauf eingehen, warum dieser Glaube in den allermeisten Fällen dem der Eltern entspricht.
Warum bildet die Überzeugung, welche Götter wahr seien, auf der Landkarte zusammenhängende Flächen? Bei anderen Fragen, etwa, warum die Saurier ausgestorben sind, ist das nicht der Fall. Warum?
---
Mitte der 80er Jahre kaufte ich die Schallplatte "Thriller" von Michael Jackson. Ich tat es aus freien Stücken, niemand hatte mich dazu gezwungen oder gedrängt. Aber wie frei war ich tatsächlich in meiner Entscheidung? Warum bevorzugte ich dieses Album und kein anderes, etwa die mitreißenden "12 Etudes d’Execution Transcendentes" von Franz Liszt? Warum entschieden sich nicht nur die meisten Jugendlichen in meinem Freundeskreis, sondern in der gesamten westlichen Welt genau wie ich?
Die Antwort ist, dass ich in meiner Kaufentscheidung nicht so frei war, wie es auf den ersten Blick erscheint. Ich unterlag zahlreichen Einflüssen, genauso wie alle anderen Menschen. Wir hörten Radio. Dort lief den ganzen Tag Popmusik und nichts von Franz Liszt. Auf Partys rannten alle auf die Tanzfläche, wenn die Basslinie von "Billie Jean" anhob. Jackson war auf den Titelseiten und im Starschnitt der Bravo.
Wir sind also alle nicht so frei in unseren "Entscheidungen", wie wir vielleicht annehmen. Ich schreibe das Wort in Anführungszeichen, weil sich kaum ein Christ dafür entschieden hat, Christ zu sein. Es war fast immer die Entscheidung der Eltern, oder allgemeiner formuliert: der Einfluss des Umfelds. Wären wir in Indien aufgewachsen, wärest Du heute ein Hindu und ich Besitzer des Albums ভারতীয় উপর থ্রিলার.
Warum nimmst du sie nicht aus dem Reli-Unterricht raus?
Das mit der "eine Wahrheit" verstehe ich nicht. Meine Töchter hatten in dem Alter schon ebenso Zweifel. Wobei der Reli-Unterricht nochmal aufgeweicht wurde im Gegensatz zu meiner Zeit.
Haben wir. ;-)
Mit "eine Wahrheit" meine ich die angeborene kindliche Naivität, dass sie erstmal glauben was man Ihnen erzählt und erstmal abwägen welche Definition von Wahrheit wohl gemeint sein könnte.
Du müsstest meiner Meinung nach noch darauf eingehen, warum dieser Glaube in den allermeisten Fällen dem der Eltern entspricht.
Warum bildet die Überzeugung, welche Götter wahr seien, auf der Landkarte zusammenhängende Flächen? Bei anderen Fragen, etwa, warum die Saurier ausgestorben sind, ist das nicht der Fall. Warum?
---
Mitte der 80er Jahre kaufte ich die Schallplatte "Thriller" von Michael Jackson. Ich tat es aus freien Stücken, niemand hatte mich dazu gezwungen oder gedrängt. Aber wie frei war ich tatsächlich in meiner Entscheidung? Warum bevorzugte ich dieses Album und kein anderes, etwa die mitreißenden "12 Etudes d’Execution Transcendentes" von Franz Liszt? Warum entschieden sich nicht nur die meisten Jugendlichen in meinem Freundeskreis, sondern in der gesamten westlichen Welt genau wie ich?
Die Antwort ist, dass ich in meiner Kaufentscheidung nicht so frei war, wie es auf den ersten Blick erscheint. Ich unterlag zahlreichen Einflüssen, genauso wie alle anderen Menschen. Wir hörten Radio. Dort lief den ganzen Tag Popmusik und nichts von Franz Liszt. Auf Partys rannten alle auf die Tanzfläche, wenn die Basslinie von "Billie Jean" anhob. Jackson war auf den Titelseiten und im Starschnitt der Bravo.
Wir sind also alle nicht so frei in unseren "Entscheidungen", wie wir vielleicht annehmen. Ich schreibe das Wort in Anführungszeichen, weil sich kaum ein Christ dafür entschieden hat, Christ zu sein. Es war fast immer die Entscheidung der Eltern, oder allgemeiner formuliert: der Einfluss des Umfelds. Wären wir in Indien aufgewachsen, wärest Du heute ein Hindu und ich Besitzer des Albums ভারতীয় উপর থ্রিলার.
In der Turkei wäre ich wahrscheinlich Moslem, in Indien Hindu. Das ist mir völlig klar.
Ich glaube aber, dass Religionen auch dann entstehen würden, gäbe es sie heute nicht. Vielleicht liegt es daran, dass der Mensch hinter dem ganzen Klimbim hier einen Plan vermutet oder nicht damit fertig wird, dass sein Leben und das Leben aller Menschen letztendlich sinnlos ist und somit mit Hilfe irgendeiner Religion seinem Leben einen Sinn und dem Geschehen einen Plan gibt.
In der Turkei wäre ich wahrscheinlich Moslem, in Indien Hindu. Das ist mir völlig klar.
Ich glaube aber, dass Religionen auch dann entstehen würden, gäbe es sie heute nicht. Vielleicht liegt es daran, dass der Mensch hinter dem ganzen Klimbim hier einen Plan vermutet oder nicht damit fertig wird, dass sein Leben und das Leben aller Menschen letztendlich sinnlos ist und somit mit Hilfe irgendeiner Religion seinem Leben einen Sinn und dem Geschehen einen Plan gibt.
Ich vermute als Ursachen Tradition und Wunschdenken:
- Tradition (Eltern, Gesellschaft)
- Wunsch, seinen festen Platz zu haben
- Wunsch, Teil von etwas Größerem zu sein - und selbst etwas höheres zu sein
- Wunsch aufzuschauen zu etwas Höherem
- Besiegen der Existenzangst/Gefühl der Sicherheit (es gibt da etwas Größeres)
- Hoffnung auf ein illusorisches Glück (Opium des Volks)
- Hoffnung auf einen Sinn von außen
(Das ist allerdings ein Themenwechsel, denn um den Begriff der Wahrheit reden wir hier nicht)