Die von Dir beschriebenen Systeme (Glaubensgemeinschaft, GmbH) und alle weiteren Systeme (Sportverein etc.) sind soziale Systeme und prinzipiell gleich konstruiert:
Sie grenzen sich gegenüber anderen Systemen ab, die Systemelemente sind Menschen, die interagieren. Die Interaktionen sind immer Kommunikation, die konstituierend für das Entstehen und die Erhaltung des jeweiligen Systems ist. Es gibt auch jeweils Kommunikation, die den Eintritt und den Austritt aus dem System bedingen. Und: jedes System differenziert sich funktional aus.
Und hier liegt der einzige inhaltliche (nicht strukturelle) Unterschied: die Systeme bilden unterschiedliche Funktionen aus, die sich jeweils an einer prinzipiellen Unterscheidung festmachen und das System formen. Das Wirtschaftssystem entlang von Allokation/Nicht-Allokation von Ressourcen, das Rechtssystem entlang von Recht/Unrecht, das Glaubenssystem entlang von Immanenz/Transzendenz, das Wissenschaftssystem entlang von wahr/unwahr usw.
Entlang dieser Unterscheidungen bilden die Systeme Formen aus und grenzen sich gegenüber den anderen ab. Es sind dann prinzipiell geschlossene, "autopoietische" Systeme. Insofern ist die Zuweisung von Sinn und Unsinn über die Systemgrenzen hinweg nicht wirklich zielführend, weil jeweils andere Codes und Kommunikationen das System bedingen, die Sinnzuweisung also nur "aus dem System heraus" nachvollziehbar und erklärbar wird.
In meiner Wahrnehmung war das auch Teil der Argumentation von Zarathustra in der Zarathustra-Jörn-Debatte.
Diese Beschreibungen faszinieren mich, weil sie die Sachverhalte in einen ordentlichen Zusammenhang strukturieren und auch sehr stringent erscheinen. Oft regt sich allerdings Widerspruch in mir, wenn ich Formulierungen lese wie „alle weiteren Systeme sind soziale Systeme und prinzipiell gleich…“ .
Ich will das an diesem Satz illustrieren: „es gibt auch jeweils Kommunikation, die den Eintritt und den Austritt aus dem System bedingen“. Hier besteht natürlich eine Parallelität, die alle Systeme zeigen. Aber mir erscheinen diese Beschreibung doch nicht ganz präzise.
An einem Beispiel verdeutlicht: wenn Du nun die Kommunikation vergleichst, die den Austritt aus dem System Fußballverein (Kündigung, keine Gebühren mehr bezahlen, kein Zutritt mehr zum Gelände, keine Teilnahme mehr am gemeinsamen Sport treiben) vergleichst mit der Kommunikation, die den Austritt aus dem System Islam (geht nach meiner zugegebenermaßen in diesem Bereich schwachen Kenntnis nur durch den Tod) oder den Austritt aus Scientology oder aus einem diktatorischen System begleitet, finde ich die Aussage, dass das prinzipiell, weil strukturell das Gleiche sei, weil es sich um eine Kommunikation, die den Austritt aus dem System handele, nicht sehr zutreffend.
An diesem Beispiel möchte ich meinen Zweifel zeigen, ob man mit einer Systemanalyse, so stringent sie in sich auch erscheinen mag, ganz ans Ziel gelangt.
Geändert von waden (28.04.2017 um 14:23 Uhr).
Grund: Rechtschreibung
Ich wüsste nicht, wo für den genetischen Code "Elternautorität anerkennen" oder allgemeiner "Autoritäten anerkennen" eine nachvollziehbare Herleitung existiert. (...) Autorität entsteht also in gesellschaftlichen Prozessen, genetisch ist da nix.
Es gibt aber genetischen Code für "Vertrauen", "Ängstlichkeit" und ähnliche Dinge, und auch für den Grad, zu dem diese Merkmale ausgeprägt werden. Man kann diese Merkmale daher auch medikamentös beeinflussen oder anhand von Hormonen messen. Bekanntes Beispiel ist die Oxitocin-Forschung.
Bei Tieren kann man es durch Züchtung (also Genetik) beeinflussen, etwa indem man aus höchst scheuen und misstrauischen Tieren langsam eine sehr vertrauensvolle und nähebedürftige Gruppe herauszüchtet. So entstand übrigens auch der heutige Schoßhund, der ursprünglich ein Wolf war.
In diesem Thread geht es um Religiosität. Es wurde eine Erklärung gesucht für den Umstand, dass früh erlernte Dinge auch in einem späteren Alter oft nicht mehr hinterfragt werden; und dafür, warum die eigene Religiosität oft mit denen der Eltern übereinstimmt.
Insofern ist die Zuweisung von Sinn und Unsinn über die Systemgrenzen hinweg nicht wirklich zielführend, weil jeweils andere Codes und Kommunikationen das System bedingen, die Sinnzuweisung also nur "aus dem System heraus" nachvollziehbar und erklärbar wird.
Nein, Sinn und Unsinn lässt sich auch über Systemgrenzen hinweg beurteilen. Denn die Religion will kein in sich abgeschlossenes System sein, sondern etwas über die konkrete Welt mit all ihren Fakten und Tatsachen aussagen.
Wenn ein Bauer den Göttern seine beste Ziege opfert, in der Hoffnung auf ergiebige Regenfälle, dann mag das in dessen Glaubenssystem sinnvoll erscheinen. Er wird aber dennoch durch die Tatsachen widerlegt. Aus diesem Grund opfert niemand mehr Nutztiere für besseres Wetter. Früher war das an der Tagesordnung.
Christen bitten in Gebeten darum, Person X oder Y möge beschützt sein oder wieder gesund werden. Es betet aber kein Katholik der Welt darum, dem Opa möge sein im Krieg verlorenes Bein wieder nachwachsen. Denn offensichtlich ist es auch angesichts eines allmächtigen Gottes vollkommen sinnlos, darum zu bitten. Zwar geschehen allerorten "Wunderheilungen", jedoch niemals bei einem amputierten Menschen. Falls dennoch jemand darum bäte, könnte ich mit Fug und Recht darauf hinweisen, dass das sinnlos sei. Und zwar über Systemgrenzen hinweg.
Wenn ein Bauer den Göttern seine beste Ziege opfert, in der Hoffnung auf ergiebige Regenfälle, dann mag das in dessen Glaubenssystem sinnvoll erscheinen. Er wird aber dennoch durch die Tatsachen widerlegt. Aus diesem Grund opfert niemand mehr Nutztiere für besseres Wetter. Früher war das an der Tagesordnung.
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Es ist doch eine völlig verfehlte Interpretation, anzunehmen eine symbolische Handlung, wie die des Ziegenopfers, sei aufgegeben worden, aufgrund einer Einsicht in ihre mangelnde Wirksamkeit.
Symbolische Handlungen sind zu verstehen als Ausdruck einer jeweiligen Befindlichkeit: Du nennst sie hier selbst und sprichst von Hoffnung. Bauern hoffen weiterhin gelegentlich auf Regen, drücken das aber heute vermutlich aus verschiedenen Gründen anders aus.
Wer nur Naturtatsachen und zweckrationale Fiktionen kennen will, dem bleiben weite Teile des kulturell geistigen Lebens verschlossen bzw. ein Mysterium.
Christen bitten in Gebeten darum, Person X oder Y möge beschützt sein oder wieder gesund werden. Es betet aber kein Katholik der Welt darum, dem Opa möge sein im Krieg verlorenes Bein wieder nachwachsen. Denn offensichtlich ist es auch angesichts eines allmächtigen Gottes vollkommen sinnlos, darum zu bitten. Zwar geschehen allerorten "Wunderheilungen", jedoch niemals bei einem amputierten Menschen.
Damit zeigst du nur, dass auch Katholiken nicht so verblendet sind, wie du es gerne darstellt, oder?