Tag 5: Sorso-Olbia
116 KM / 1.460 HM / 06:34 netto Fahrtzeit / 125 HF / 2.977 Kalorien
Das Frühstück haben wir auf 07:30 Uhr bestellt. Doch der Frühstücksmann ist alleine und muss die Zutaten erst noch beschaffen. Er schafft es dann doch erstaunlich schnell, da wir immer noch die einzigen Gäste sind.
Die Hoffnung, dass wir den ständigen Westwind heute endlich im Rücken haben, macht der Wetterbericht zunichte, denn nun ist Ostwind angesagt, wer hat sich das denn ausgedacht?
Die Sonne scheint, der Himmel ist blau und den Sandstrand und das Meer haben wir lange im Blick, bis wir bei Lu Bagnu rechts abbiegen und die Küste verlassen. Danach ist ein langer Anstieg auf einsamer Straße durch ein großes, etwas langweiliges Waldgebiet zu meistern.
Nach einer Anhöhe und einer Rechtskurve dann plötzlich BÄÄÄÄM!!!
Es öffnet sich ein gigantisches Tal umschlossen von einzigartigem Gebirge. So etwas habe ich noch nie gesehen. Man könnte meinen hier hätte ein Riese mit Murmel gespielt. Überall liegen gigantisch große, rund geschliffene Granitkugeln herum. Mystik liegt in der Luft, hier könnte man einen Science-Fiktion-Film drehen. Wir sind total überwältigt.
Valle della Luna nennt sich dieses Tal, es ist geprägt von imposanten Felsformationen, die über Jahrtausende von den Elementen zu bizarren Formen modelliert wurden. Überhaupt hat mich diese Insel durch ihre Vielfältigkeit begeistert. Jede Region bietet völlig andere Gesteinsformen, Gebirge und Landstriche. Der Granit begleitet uns zu unserer großen Freude noch weit über Aggius hinaus.
Dann kommt es wieder zu unserem Klassikerdilemma:
Etwa 35 KM vor Olbia, bei Calangianus fahren wir auf einer schönen Straße im Wohlfühlmodus bis mein Garmin piept und links verlangt. Vorher besprochen haben wir jetzt noch ca. 250 Höhenmeter bergauf, bis die letzten 25 KM nur noch bergab gehen. Schatzine sieht aber ein Schild auf unserer Straße das nach Olbia rechts anzeigt. Die linke Straße geht augenscheinlich schon aufwärts und hat weniger schönen Asphalt.
Ich plädiere trotzdem für die geplante Route und möchte keine Experimente machen. Hier weiß ich was auf mich zukommt und darauf habe ich mich eingestellt. Schatzine vertraut dem Straßenschild mehr und argumentiert, dass die Hauptstraße nach Olbia bestimmt weniger Höhenmeter hat und sicherlich angenehmer zu fahren sei.
OK, sie hatte mit ihrer Argumentation schon oft recht, denn Komoot macht manchmal sonderbare Dinge, trotzdem unterstreiche ich den Hinweis, dass „links“ die sichere Variante ist und „rechts“ ein Wunschdenken und eine 50:50 Wette auf bessere Bedingungen.
Ich merke, dass die bevorstehenden 250 Höhenmeter für Schatzine die Hürde darstellen und komme ihrem Wunsch entgegen. Gedanklich bin ich mir aber unsicher, was ich mir nun wünschen soll. Sollte sie wieder recht behalten wäre das Wasser auf ihre Mühlen, und Komoot hätte erneut einen Vertrauensverlust. Trotzdem hoffe ich insgemein, dass es gut geht, denn dann profitierten wir beide im Hinblick auf die kürzere Strecke, weniger Höhenmeter und eine frühere Ankunft.
Kaum entschieden geht es abwärts und abwärts und abwärts. Es scheint nicht aufzuhören. Mich beschleicht die Angst, dass wir dies alles mit Aufwärtshöhenmetern büßen müssen. Doch die Landschaft wird zunehmend flacher. Es bleibt bei abwärts, bis wir nach 20 KM wieder auf die geplante Route stoßen.
Wird sie ihren Triumpf feiern? Was soll ich dann entgegnen?
Schatzine triumphiert natürlich nicht, das ist nicht ihr Charakter. Ich erlaube mir aber den Spaß und behaupte, dass die andere Strecke bestimmt viel schöner gewesen wäre. Mit Schmunzeln und ohne Groll haben wir auch diese Situation wieder gemeistert.
Nun sind schon die ersten Häuser von Olbia und das Meer zu sehen. Mein Garmin sagt noch 5 KM bis zum Ziel. Nun ist es wieder da, das Doppelgefühl von Glück und Traurigkeit.
Glück im Sinne von: Dass alles gut gegangen ist, dass wir alle Fehler, Tiefpunkte, Schwierigkeiten und Ängste überwunden haben. Dabei stets so eng verbunden waren und wieder unzählige Glücksmomente auf unser Glückssparbuch einzahlen durften.
Traurigkeit im Sinne von: Jetzt ist es bald vorbei, am Montag sind alle Aufgaben wieder da.
Diese Gedanken werden abrupt gestoppt von der Frage: „Kannst Du mal nach meinem Hinterreifen schauen, ich glaube der hat schon wieder einen Platten.“ Und tatsächlich, so wie es angefangen hat, soll es auch aufhören.
Wir halten an einem Lebensmittelladen. Schatzine kauft ein und ich flicke den Schlauch umringt von einigen Zuschauern. Ich amüsiere mich dabei köstlich, weil mich alle um mein Pech bemitleiden. Wenn die wüssten wie oft ich dies in den letzten Tagen gemacht habe.
Die letzten 5 Kilometer halten dann tatsächlich alle Reifen. Doch kurz vor der Fähre fällt bei Schatzine noch der hintere Flaschenhalter ab als sie über einen Randstein fährt. Wir kugeln uns vor Lachen.
Es ist noch viel Zeit bis zur Abfahrt, diese verbringen wir am Hafen mit Vesper und schöner Aussicht. Die heutige Fähre ist neueren Datums und die Inneneinrichtung ist recht schön. Zu unserer Überraschung haben wir eine Familienkabine mit richtig viel Platz. Das Glück ist wieder bei uns.
Nun ist Zeit zu reflektieren. Sardinien duftet gut. Die Macchia, die Pinien, der Oleander, die Eukalyptuswälder, die Rinder- und Schafweiden, die Ziegen, die Felsformationen, die Gebirge und natürlich die Dünen und das Meer bleiben in unserer Erinnerung. Sardinien ist landschaftlich abwechslungsreich und wunderschön. Einerseits traf die Einsamkeit genau unsere Wunschvorstellung, andererseits zeigte sie nicht gekannte Risiken und Ängste.
Genau deshalb werden wir wiederkommen, mit besserer Planung, kürzeren Tagesetappen, neuen Reifen, mehr Flickzeug, längeren Kabelbindern, Italienischkenntnissen und Bettbezügen.
Vielleicht auch mit Satellitentelefon, Biwak Zelt, Schlafsack, Buschmesser, Gaskocher, Feuerholz, Schlangenserum, Schrotgewehr, Astronautennahrung, Wasservorrat, und Werkstattwagen, …
Die Südküste soll schön sein und die Nordküste ebenfalls. Schatzine studiert schon die Landkarte.
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