Manchmal frage ich mich hinterher, welcher Teufel mich geritten hat...
Dieser Tage gleich in zweierlei Hinsicht.
Meine liebe, geschätzte Arbeitskollegin B. ist heute Morgen in eine vierwöchige Rehamaßnahme gefahren. Kurz vorher begann der Stress mit ihrem Mann, von dem sie seit ca. 4 Jahren getrennt lebt. Sie haben einen erwachsenen Sohn und eine 15 jährige Tochter, die bei B. lebt und an den Wochenenden bei ihrem Vater ist, der zwei Straßen weiter wohnt. Bisher ging alles ganz gut, es gab keine großen Probleme. Das hat sich in den letzten Wochen geändert und B. war drauf und dran, ihre Reha abzusagen, weil sie Marie nicht vier Wochen lang alleine lassen wollte. Sie hatte sich aber so auf die Reha gefreut und braucht sie auch. Da habe ich gesagt, dass ich ja solange zu Marie ziehen könne. Was soll ich sagen? B. hat sich unglaublich über das Angebot gefreut und so habe ich seit heute für 4 Wochen eine 15 jährige Pflegetochter.
Vorhin habe ich mich gefragt, warum ich eigentlich nie meinen Mund halten kann, weil es in den nächsten Wochen viel Einschränkung und Verantwortung bedeutet. Naja, mal sehen, wie es so wird. Marie ist zum Glück ein sehr nettes Mädchen, die unkompliziert ist.
Meine zweite Baustelle heißt Maria M., ist Jahrgang 1926 und eine von zwei dementen, alten Damen, für die ich ehrenamtlich die gesetzliche Betreuung übernommen habe. Es schienen beides sehr wenig aufwendige Fälle zu sein, alles geregelt soweit, im Heim lebend, dement. Ehrenamtliche Betreuer übernehmen nach Möglichkeit natürlich nicht die aufwendigen Fälle, sondern die übernehmen Berufsbetreuer, die damit ihren Lebensunterhalt verdienen.
Ich habe die Betreuungen erst seit ca. vier Wochen und bekam gestern einen Anruf aus dem Pflegeheim von Frau M., dass ich mich dringend melden solle, weil man aufgrund des schlechter werdenden Ernährungszustandes von Frau M. über das Legen einer PEG (Magensonde durch die Bauchdecke) nachdenken müsse. Aha. In meinem heutigen Telefonat mit dem Heim hatte ich den Eindruck, dass die davon ausgehen, dass ich das mal so eben abnicke, weil die meinen, dass das nötig ist. Das wird nun aber bestimmt nicht so sein!
Ich habe heute schon ein längeres Telefonat mit dem Arzt von Frau M. geführt, habe mit Ärzten in unserer Klinik gesprochen, die mir Artikel und Studien zur Fragen von PEG Einsatz bei dementen Menschen empfahlen (die meisten blöderweise in Englisch) und habe sehr viel nachgedacht. Es ist eine ganz schwere und schwerwiegende Entscheidung, die ich natürlich nicht von meiner extrem ablehnenden Haltung PEGs gegenüber allein abhängig machen darf. Andererseits kommt die ja nicht von ungefähr, sondern beruht auf den Erfahrungen von 20 Jahre Altenpflege.
Was Frau M. will, wissen wir nicht, ich will auch noch mit ihr sprechen, aber aufgrund ihrer Demenz muss man natürlich genau schauen, inwieweit sie die Problematik noch versteht.
Die wenigen Male, die ich Frau M. bisher gesehen habe, ließ sie sich von mir problemlos Getränke anreichen. Morgen gehe ich hin und versuche es mal mit Essen. Als erstes werde ich wohl mit dem Pflegeteam sprechen und mir mal ihre Dokumentation anschauen. Ich befürchte einfach (auch aus Erfahrung), dass sie einfach nicht die Zeit haben, bzw. sie sich nehmen, beim Essen und Trinken zu helfen. Ich kenne das Problem und habe viel Verständnis für die Pflegenden, aber in diesem Fall bin ich eben die Betreuerin und damit für das Wohlergehen von Frau M. verantwortlich und für mich geht auf keinen Fall, dass der Pflegenotstand durch Einsatz von einer PEG kompensiert wird. Dann müssen eben andere Dingen liegen bleiben, aber die Ernährung ist eben ein Grundrecht und sollte, wenn irgend möglich, oral erfolgen.
Ach, ich könnte noch viel dazu schreiben, aber es ist ja ein Triathlon-Forum, ihr müsst mich manchmal daran erinnern.
Triathlon habe ich ja allerdings eh nicht mehr zu bieten. (Wobei das ja gar nicht stimmt, in 2012 mache ich drei Sprinttriathlons mit, Wahnsinn!)
Jetzt muss ich schnell los zum Schwimmtraining. Gestern war ich auch schon. Ich will mal wieder eine Regelmäßigkeit da rein bringen, wobei das in den nächsten vier Wochen auch noch abzuwarten bleibt wegen meiner Pflegetochter.
Ich freue mich jedenfalls sehr auf das Schwimmwochenende in Sindelfingen und hoffe, dass ich von all dem oben beschriebenen und dem ganzen Stress, den die Klinik im Moment bereit hält, mal abschalten kann. Abschalten ist ja nicht so meine Stärke. Deshalb bin ich froh, dass ich dort schwimmen kann, da geht's noch am besten mit dem Abschalten.
Schöne Grüße, schönen Abend!
J.
Geändert von bellamartha (23.02.2012 um 09:53 Uhr).
Ich find das den Hammer, was Du alles so "nebenbei" noch machst.
Meinen allergrößten Respekt für Deine vielen sozialen Einsätze
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Erfahrung ist fast immer eine Parodie auf die Idee. (J.W.v.Goethe)
Das gilt übrigens auch für Weitsprungversuche (= Idee) und Achillessehnenrisse (= Erfahrung) ...
Respekt vor deinem Engagement
Die alte Dame tut mir leid, wahrscheinlich ist es so dass das Pflegepersonal die Pflege nicht leisten kann .... da bekommt man manchmal Angst alt zu werden.
Pass auf dich auf
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... und Kalorien sind übrigens kleine Tiere, die einem nachts die Kleidung enger nähen!!!
Ich oute mich hier mal als stiller Mitleser, weil es mir ausgesprochen gut gefällt.
Wenn du die Namen unkenntlich machen möchtest, solltest du es überall tun :
Zitat:
Zitat von bellamartha
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Meine liebe, geschätzte Arbeitskollegin B. ist heute Morgen in eine vierwöchige Rehamaßnahme gefahren. Kurz vorher begann der Stress mit ihrem Mann, von dem sie seit ca. 4 Jahren getrennt lebt. Sie haben einen erwachsenen Sohn und eine 15 jährige Tochter, die bei B... lebt und an den Wochenenden bei ihrem Vater ist, der zwei Straßen weiter wohnt.
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Ich hab's bei mir schon rausgenommen, damit's nicht im Zitat steht !
Puh, das Drama spitzt sich zu. Ich fahre jetzt gleich in das Pflegeheim und habe ein Gespräch mit der Pflegedienstleitung, die wohl auf Krankenhauseinweisung drängt.
Ich wappne mich gerade für das schwierige Gespräch, denn ich tendiere gegen eine Krankenhauseinweisung und habe heute Morgen noch mal länger mit einem Palliativmediziner gesprochen, der sich klipp und klar gegen eine PEG bei so einer Frau ausspricht.
Ich habe mit einer Pflegerin telefoniert, die mir sagte, dass der Zustand von Frau M. weiter schlechter wird, sie lehne jede Nahrung ab, auch hochkalorische Getränke.
Ich fahre jetzt hin und versuche es mal selbst, sonst bleibt es alles vage für mich.
Es ist unglaublich schwer, jetzt zu entscheiden, was richtig ist.
Ich bin sehr, sehr angespannt und belastet.
Bitte drückt mir die Daumen, dass ich einen guten Weg finde.
Bis dann,
J.
Bitte drückt mir die Daumen, dass ich einen guten Weg finde.
1!
Ich möchte jetzt nicht gern an deiner Stelle sein, bin aber sicher, du wirst die richtige Entscheidung treffen.
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Erinnerst du dich an die Zeit vorm Internet, als wir dachten, die Ursache für Dummheit wäre der fehlende Zugang zu Informationen? DAS war es jedenfalls nicht!