Hier geht es um einen Mittel- bis Langstreckler. Seine Laufgeschwindigkeiten im Rennen sind weit von der VO2max entfernt. Wir sprechen hier über sein Training, das viele Monate vor seinem Rennen stattfindet. Ob nun 30-Sekunden-Intervalle oder 4-Minuten-Intervalle oder 8-Minuten-Intervalle oder Hügelläufe seine Leistung im Sommer positiv beeinflussen, weiß niemand. Ich bin ein Fan von Seiler, weil er das eingesteht (kritisiere aber auch seine Irrtümer).
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Ja, mag Seiler auch wegen seiner Art zu forumulieren, was wir alles nicht wissen! Daher ist man aber zur Annahme gekommen, dass nicht der Intervall-Typ entscheidend ist, sondern die Zeit über 90% der VO2max. Das folgt dem Reizschwellengesetz. Auch nur ein Modell, aber bisher recht anerkannt.
Zitat:
Zitat von Klugschnacker
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Seiler wird gerne als Kronzeuge für die Wirksamkeit hochintensiven Intervalltrainings gesehen. Tatsächlich fand er jedoch heraus, dass die aerobe Leistungsfähigkeit nur gering mit den Intensitäten korreliert, aber sehr stark mit den Umfängen.
Ich kenne die Studie. In dem Schaubild geht es aber um die Mitochondrienanzahl/Mitochondria content (gemessen durch Diff. citrate syntase). Das ist nur die halbe Wahrheit. Denn wenn man sich die Mitochondrieneffizienz/Mitochondria function anschaut, wirkt Intensität recht gut im Vergleich zu Umfang. Bishop* hat da eine gute Metastudie verfasst. Das könnte meiner Meinung nach ein Erklärungsansatz für das gute Wirken des Polarisierten Trainings sein.
* Bishop ist übrigens ein absoluter Experte auf dem Gebiet der Mitochondrien. Sollte man sich anschauen.
Dr. Seiler erkannte, dass man selbst ganz einfache Fragen nach der Wirksamkeit von Umfängen oder Intensitäten kaum seriös beantworten konnte.
Deswegen ging er den umgekehrten Weg: Statt Studien zu designen und anschließend den Sportlern zu empfehlen, wie sie trainieren sollen, untersuchte er das reale Training von Spitzenathleten. Die Richtung der Erkenntnis ging also nicht vom Wissenschaftler zum Sportler, sondern vom Sportler zum Wissenschaftler. Seiler schaute sich einfach ab, was Spitzensportler so treiben. Dies zu systematisieren ist seine wissenschaftliche Leistung.
Das bringt drei wesentliche Erkenntnisse.
1. Die Sportwissenschaft ist weit weniger in der Lage, konkrete Trainingsempfehlungen zu geben, als man meint. Je komplexer die Sportart, desto weniger kann sie das.
2. Seiler untersuchte professionelle Spitzensportler, die von Kindesbeinen an trainierten, außergewöhnlich talentiert waren, hervorragend betreut wurden und sich im Zenit ihrer Leistungsfähigkeit befanden. Die Übertragbarkeit der Erkenntnisse auf normalsterbliche Feierabendsportler einer ganz anderen Sportart (LD-Triathlon) ist äußerst fraglich.
3. Seiler schaute sich das Training der Spitzensportler seiner Zeit an. Hätte er in den 70er Jahren geforscht, hätte er das Training der 70er Jahre gefunden. Hätte er in den 80er Jahren geforscht, hätte er das Training der 80er Jahre gefunden. Was Seiler fand, ist ein Stück aktuelle Sportgeschichte, stellt aber keine tiefere Einsicht dar. Schon gar nicht fand er den heiligen Gral des Ausdauertrainings. Was er bei den Spitzensportlern seiner Zeit fand, wird bald durch andere Trainingsformen abgelöst werden, so wie es in allen anderen Jahrzehnten war.
Man kann sich halt am besten beides anschauen und zur Erkenntnis nutzen: Studienergebnisse UND Erfahrungsschatz der Spitzensportler!
Weder das eine noch das andere isoliert sehe ich als der Weisheit letzter Schluss, insbesondere weil das Thema hochkomplex ist.
Ja, mag Seiler auch wegen seiner Art zu forumulieren, was wir alles nicht wissen! Daher ist man aber zur Annahme gekommen, dass nicht der Intervall-Typ entscheidend ist, sondern die Zeit über 90% der VO2max. Das folgt dem Reizschwellengesetz. Auch nur ein Modell, aber bisher recht anerkannt.
Es ist aber ein falsches Modell. Wenn die Zeit entscheidend wäre, die ein Sportler oberhalb von 90% seiner VO2max verbringt, dann ist nicht zu erklären, warum Spitzensportler so wenig Zeit in diesem Bereich verbringen, nämlich nur wenige Prozent ihrer Trainingszeit.
Die maximale Sauerstoffaufnahme ist eben kein entscheidendes Trainingsziel. Für einen Altersklassen-Langstreckler schon gar nicht. Was laufen wir denn im Wettkampf? Die besten hier schaffen annähernd einen 5er Schnitt, andere sind bei 6:30min/km und gehen ab der Halbmarathonmarke durch die Verpflegungsstellen. Wer das verbessern will und dafür auf die maximale Sauerstoffaufnahme setzt, verschwendet seine Zeit.
Es ist aber ein falsches Modell. Wenn die Zeit entscheidend wäre, die ein Sportler oberhalb von 90% seiner VO2max verbringt, dann ist nicht zu erklären, warum Spitzensportler so wenig Zeit in diesem Bereich verbringen, nämlich nur wenige Prozent ihrer Trainingszeit.
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Oha, dann sind Seiler, Ronnestand, und co, alles seit Jahren Experten auf dem Gebiet, alle einem Irrtum erlegen. Das Reizschwellengesetz gilt auch nicht mehr. Also bitteee...
Dieser Reiz ist halt sehr fordernd und man kann/muss ihn nicht extensiv setzen. Maximalkrafttraining machst du auch nicht den ganzen Tag, wirkt aber ganz gut, oder?
Zitat:
Zitat von Klugschnacker
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Die maximale Sauerstoffaufnahme ist eben kein entscheidendes Trainingsziel. Für einen Altersklassen-Langstreckler schon gar nicht. Was laufen wir denn im Wettkampf? Die besten hier schaffen annähernd einen 5er Schnitt, andere sind bei 6:30min/km und gehen ab der Halbmarathonmarke durch die Verpflegungsstellen. Wer das verbessern will und dafür auf die maximale Sauerstoffaufnahme setzt, verschwendet seine Zeit.
Sehe ich anders. Aber individuell kann beides funktioneren.
Geändert von Adept (30.12.2020 um 11:14 Uhr).
Grund: Sorry Arne, etwas Sarkasmus sei mir gegönnt. Ist nicht böswillig. :-)
Oha, dann sind Seiler, Ronnestand, und co, alles seit Jahren Experten auf dem Gebiet, alle einem Irrtum erlegen. Das Reizschwellengesetz gilt auch nicht mehr. Also bitte...
Das Reizschwellengesetz ist kein Gesetz. Es ist eine recht vage Daumenregel. Sie ist sehr nützlich zur Orientierung in einem komplexen Thema, ist aber auf den einzelnen Athleten nicht im Sinne eines Gesetzes anwendbar. Das weißt Du ja selbst. Gleichwohl wird es als Gesetz missverstanden.
Ronnestand und Seiler sind nicht einem Irrtum erlegen. Sondern einige der Trainer, die aus den Ergebnissen der beiden Wissenschaftler Trainingspläne für Amateur-Athleten ableiten. Das geht meistens nach diesem Muster:
1. Ein Wissenschaftler findet heraus, dass 3x pro Woche Intervalltraining die VO2max erhöht. Das ist richtig.
2. Ein Trainer denkt, dieses Ergebnis bedeutet, man solle 3x pro Woche Intervalltraining absolvieren. Das ist falsch.
Ein anschauliches Beispiel für diese Art Missverständnis findet man im Bereich der Ernährung:
1. Die Wissenschaft findet heraus, dass eine Ernährung aus Fett und Eiweiß die Fettverbrennung anteilig verbessert. Das ist richtig.
2. Ein Trainer denkt, das bedeutet, man solle auf Kohlenhydrate verzichten, um seine Leistung beim Ironman zu verbessern. Das ist falsch.
Das Reizschwellengesetz ist kein Gesetz. Es ist eine recht vage Daumenregel. Sie ist sehr nützlich zur Orientierung in einem komplexen Thema, ist aber auf den einzelnen Athleten nicht im Sinne eines Gesetzes anwendbar. Das weißt Du ja selbst. Gleichwohl wird es als Gesetz missverstanden.
Ronnestand und Seiler sind nicht einem Irrtum erlegen. Sondern einige der Trainer, die aus den Ergebnissen der beiden Wissenschaftler Trainingspläne für Amateur-Athleten ableiten. Das geht meistens nach diesem Muster:
1. Ein Wissenschaftler findet heraus, dass 3x pro Woche Intervalltraining die VO2max erhöht. Das ist richtig.
2. Ein Trainer denkt, dieses Ergebnis bedeutet, man solle 3x pro Woche Intervalltraining absolvieren. Das ist falsch.
Ein anschauliches Beispiel für diese Art Missverständnis findet man im Bereich der Ernährung:
1. Die Wissenschaft findet heraus, dass eine Ernährung aus Fett und Eiweiß die Fettverbrennung anteilig verbessert. Das ist richtig.
2. Ein Trainer denkt, das bedeutet, man solle auf Kohlenhydrate verzichten, um seine Leistung beim Ironman zu verbessern. Das ist falsch.
Ja Arne, ich verstehe, was du meinst.
Und du weisst, dass ich auch alles eher vorsichtig forumuliere, da so vieles noch unklar ist. Das Prinzip der Indivdualität ist bei mir auch eines der wichtigsten Kernpunkte, wenn ich jemandem Empfehlungen gebe. Ich sage, probiere es aus und verifiziere.
Man sollte aber auch nicht alles in Frage stellen. Die Trainingsprizipien sind ein einigermassen guter Leitfaden. Wobei die Periodisierung auch mittlerweile in Frage gestellt wird.
Oh mann, wir wissen immer besser, das wir ganz schön wenig wissen.
Ich verstehe auch, was Du meinst. Ich habe auch nichts gegen Intervalltraining. Meine Athleten machen im Winter in den meisten Fällen 3-4x pro Woche Intervalle. Die müssen aber nicht immer knallhart sein, damit sie etwas bringen. Es gibt ja noch andere Trainingsziele als die Leistung an der VO2max.
In der individuellen Betreuung geht es ohnehin nicht darum, ob man nun die wirksamsten Intervallformen der Welt in den Plan schreibt oder die zweitwirksamsten. So etwas hätte ich mit einem Copy&Paste-Plan schnell erledigt. 90% LIT, 10% HIT, und fertig ist der Plan. Im Sommer streue ich noch ein paar Streusel geheimnisvolle VLamax-Zaubereinheiten auf den Kuchen.
Die eigentliche Aufgabe besteht vielmehr darin, wie man den Athleten verletzungsfrei und ohne Burn-out an den Start bringt. Das ist Trainingsziel Nummer Eins. Das ist bei einem Mittel- und Langstreckler, der sein Hochleistungsalter seit 15 Jahren hinter sich hat und vor der Arbeit und nach Feierabend die notwendigen Umfänge stemmt, gar nicht so einfach.
In den Studien von Seiler und Co. tauchen jene Sportler, die es nicht an den Start (oder das Ende der Studie) geschafft haben, gar nicht auf. Es ist auch nicht erkennbar, wenn jemand durch Intervalltraining auf der Bahn zwar seine VO2max um 5% erhöht hat, aber später durch eine Verletzung und 3 Wochen Trainingsausfall wieder 8% verloren hat. Für einen Spitzensportler gehört das zum Berufsrisiko, für einen Amateursportler, der ein ganzes Jahr auf Roth hinarbeitet, ist es ein wichtiger Aspekt. Es nützt ihm nichts, wenn er im September in Form ist, aber im Juni verletzt war.