Szenekenner
Registriert seit: 08.05.2008
Beiträge: 1.805
|
Unverhofft kommt oft
Sonntag Morgen, 7.30 Uhr. Heute denke sogar ich, dass wir spät dran sind. Während ich meine letzten Sachen zusammen packe, höre ich, wie Mann und Kind alles andere Wichtige zusammen suchen. „Ja,“ höre ich meinen Mann sagen, „heute gibt´s zwar Regen, aber deinen Regenschirm nehmen wir trotzdem nicht mit.“ Pause. Ich höre eine helle Kinderstimme irgendwas im Wohnzimmer plappern, dann die Antwort meines Mannes, der im Flur steht, klar und deutlich: „Ja, deine kurzen Fahrradhandschuhe kannst du meinetwegen mitnehmen, aber die dicken Torwarthandschuhe brauchen wir heute nicht.“ Ich stürze noch schnell in die Küche und mische mir eine Apfelschorle. Im Vorbeigehen fragt meine Mann mich, ob er wohl das Preisschild an meinem Tri Top ab machen soll. Ach, ja, bitte, sei so gut. „Und“, fügt er hinzu, „du brauchst nachher gar nicht mit „Kannst du ein bisschen schneller fahren?“ kommen. Das kannst du sowas von vergessen.“
Als wir endlich im Auto sitzen, entspannen sich alle ein bisschen. Am Sonntag Morgen ist ja auch nichts los. Im Frankfurter Stadtteil Bornheim stehen ein junger Mann und eine junge Frau an einer Straßenbahn-Haltestelle. Er hält mit einer Hand sein Rennrad liebevoll fest, auf dem Lenker liegt ein Zeitfahrhelm. „Du,“ sage ich zu meinem Mann, „die wollen bestimmt auch nach Bruchköbel. Wollen wir die mitnehmen?“ „Musst du wissen, geht von deiner Zeit ab,“ meint er nur knapp, und ich entscheide: „Komm, fahr zurück.“ Gewagter U-Turn, kurzer Stop, ja, sie wollen zum Quarterman und fahren gern mit. Zack, das Rad hinten drauf, Passagiere auf die Rückbank und weiter geht´s. Das Pärchen stellt sich überraschender Weise als Mutter und Sohn heraus. Überraschend für uns, aber nicht für die beiden. Die kennen das nämlich schon, dass man sie immer für ein Paar hält.
Wie sich herausstellt heißt der junge Athlet David, ist 22 Jahre alt und hat im letzten Jahr die Hawaii-Quali nur knapp verpasst. Das Auffälligste an ihm ist sein Strahlen. Man spürt, wie sehr er sich auf den Wettkampf freut. Keine Spur von Verbissenheit. Er freut sich diebisch, dass er jetzt noch ein bisschen früher am Wettkampf-Ort ist. Wir schließen ihn sofort ins Herz und wünschen ihm, dass er ein super Rennen macht.
Bevor David bei der Elite startet, bin allerdings ich dran. Bei der Durchsage „Noch 5 Sekunden bis zum Start“ hüpfe ich ins Wasser, Brille lässt kein Wasser durch, und schon geht´s los. Mein zuschauender Mann soll dazu leicht genervt ein „Das gibt´s doch nicht. Jetzt schwimmt die schon wieder als Letzte los.“ vom Stapel gelassen haben. Ich mach´s kurz: Hauen und Stechen, sinnlose Überholmanöver, Leute, die Brust schwimmen so lange man hinter ihnen ist und die anfangen zu kraulen, so bald man sie überholt. Irgendwann habe ich die Faxen dicke und treibe in irgendwessen Wasserschatten so vor mich hin. Ich mache mich hier nicht mit sinnlosen Attacken kaputt. Trotz gemächlichen Schwimmens ist es schneller als im letzten Jahr. Na, kleiner Trost, will ich meinen. Auch David und seine Mutter hatten ihren Spaß. Die haben sich mächtig amüsiert, weil mein Schwimmen immer so nach Zeitlupe aussieht. Hatten die mir ja nicht glauben wollen, aber siehste, dann doch.
Auf dem Rad geht mir ein bisschen die Muffe. Für dieses Jahr stehen 300 (in Worten: dreihundert) Trainingskilometer zu Buche. Das ist vermutlich das, was David an einem Wochenende fährt. Unter den Trainings-Weltmeisterinnen dürfte ich damit einen der allerletzten Plätze innehaben. Aber wo ich jetzt schon da bin, schauen wir doch mal, was geht. Ich versuche kräftesparend viel auf dem Auflieger zu fahren und drehe so meine Runden. Schöne Übung, bergab und bei Windböen zu versuchen, nicht die Nerven zu verlieren. Ob man das ausgerechnet im Wettkampf ausprobieren sollte, ist eine andere Frage. Auf dem Zubringer zurück in die Wechselzone darf dann leider nicht mehr überholt werden. Wir bilden ein Trio: vorneweg ein Mann, dann eine Frau und am Ende ich. Der Mann an der Spitze nutzt die Zeit, um sich tüchtig auszuruhen. Nach einiger Zeit verliert die Frau vor mir aber sowas von die Nerven, dass ich nicht in der Haut des Genussradlers stecken möchte. Was sie ihm zuruft, weiß ich nicht, aber da der Ton die Musik macht, wird das nichts allzu Nettes gewesen sein. Die Wartezeit überbrücke ich damit, aus meinen Schuhen zu steigen und den Reißverschluss der Jacke auf zu machen.
Gut gewechselt. Ich glaube, das ist ein wahres Hausfrauen-Talent. Als ich auf die Laufstrecke gehe, höre ich Mann und Kind hinter mir her rufen. Die sind wieder spät dran. Laufen läuft nicht. Das Einzige, worauf ich für heute gebaut habe. Schade. Ich will, aber ich kann nicht. Spaß macht´s noch immer. Ich kann mich an genügend Rennen erinnern, bei denen ich dachte, ich lass das einfach künftig mit den Wettkämpfen. Heute ist das nicht so. Vielleicht schlägt das Mental-Taining an. Wer weiß das schon. Im Ziel bin ich enttäuscht. Zwei Minuten langsamer als im letzten Jahr. Dafür keine Kopfschmerzen. Ist auch was Wert.
Später stehe ich mit meinem Sohn an einem Kinder-Trampolin. Ein Neunjähriger geht ´rauf und macht ohne Anlauf erst einen Salto rückwärts, dann zwei. Ich unterhalte mich mit dem Vater. Er selbst war Boxer in der DDR. Er war in der Parallelklasse von Jan Ullrich. Sie hatten beide denselben Konditionstrainer. Er erzählt, dass er mit 27 Jahren einen Herzinfarkt hatte. Zum ersten Mal sei ihm richtig klar geworden, was da damals so abgegangen sei. „Trotzdem“, sagt er und seine Augen strahlen, „auf die Zeit lass ich nichts kommen.“ Wir schwadronieren noch ein bisschen über das Leben, den Sport und die Kinder und verabschieden uns.
Bevor wir fahren, werfe ich mutig einen Blick auf die Ergebnisliste. Als ich zu Mann und Kind zurück gehe, recke ich den Daumen in die Luft. „Hängt erst eine Seite?“, fragt mein Mann. „Nein“, antworte ich lachend, „ich bin erste in meiner Altersklasse“. Dann schicke ich ihn zwecks Überprüfung zur Liste. Nicht dass mir da etwas durcheinander gegangen ist. Stimmt aber. Das ist ja ein Ding. David hat ebenfalls seine Altersklasse gewonnen und ist Gesamtvierter geworden. Den verpassten Podestplatz nimmt er gelassen. „Na, dann nächstes Jahr“, sagt er und strahlt schon wieder. Es habe ihm so viel Spaß gemacht und der Regen wäre eine super Abkühlung gewesen. Man guckt ihn an und kann immer nur denken: „Ja, du liebst, was du tust. Ich glaube, du wirst ein ganz Großer. Ich wünsche es dir.“
Wir nehmen David und seine Mutter mit zurück. Am Ende wollen sie dem Zwerg noch was für´s Sparschwein zustecken. Der Junior schläft zum Glück in seinem Kindersitz auf der Rückbank. Das Geld soll David lieber in sein Sparschwein stecken. „Nimm´s für Hawaii“, sagen wir noch und wünschen ihm zum Abschied alles Gute.
Geändert von Pantone (20.06.2011 um 13:00 Uhr).
Grund: Tippfehler. Wie immer.
|