Hier ein aktuelles Bild der Kirche der deutschen Stadt Münster. Wer genauer hinschaut, erkennt oberhalb der Uhr drei Käfige aus Eisen. Was hat es damit auf sich?
In diesen Körben wurden im 16. Jahrhundert die Leichen von Jan van Leiden, Bernd Krechting und Bernd Knipperdolling ausgestellt, um sie vor aller Augen verrotten zu lassen. Für die Verstorbenen war der Tod zweifellos eine Erlösung. Wikipedia schreibt:
"Am 6. Januar 1536 wurden sie in Wolbeck zum Tode verurteilt und am 22. Januar zu Füßen der Lambertikirche, auf dem Prinzipalmarkt, zu Tode gefoltert. Jan van Leiden, Bernd Krechting und Bernd Knipperdolling wurden mit glühenden Zangen die Zungen ausgerissen, ihre Körper zerfetzt und nach vier Stunden erdolcht." Quelle
Die Körbe wurden in ihrer Geschichte mehrmals abgehängt. Heute "zieren" sie wieder den Kirchturm.
Wikipedia:
"Die Originale der Körbe hängen auch am heutigen Turmbau als Mahnmal „gegen den Abfall von der allein selig machenden Kirche“ und als touristisches Spektakel."
Was hatten sich die drei zuschulden kommen lassen? Sie vertraten die Ansicht, man müsse als Erwachsener erneut getauft werden, denn die Taufe eines Neugeborenen sei kein echtes, eigenes Bekenntnis zu Gott. Hinzu kamen Forderungen nach Glaubensfreiheit, nach Trennung von Kirche und Staat und nach Gütergemeinschaft.
Damit stießen sie auf erbitterten Widerstand der katholischen und protestantischen Kirchen. Die Täufer, wie sie genannt wurden, lehnten jedoch auch jede weltliche Obrigkeit ab und verweigerten weltlichen Machthabern, zum Beispiel Lehensherren, den
Eid auf Gehorsam. Deshalb wurden die Täufer sowohl von kirchlichen als auch weltlichen Machthabern verfolgt.
Jan van Leiden, Bernd Krechting und Bernd Knipperdolling waren die Anführer einer Gruppe von Täufern, die sich radikalisiert hatten. Während die meisten Täufer zurückgezogen und friedlich lebten, trachteten die Anführer dieses radikalen Zweigs nach der Errichtung eines "Täuferreichs". Und zwar mit Gewalt. Sie waren ihrerseits Mörder, ebenso wie ihre späteren Henker.
Die heutigen Nachfahren der friedlichen Täufer sind die Amish-People in Amerika, sowie die weniger bekannten Mennoniten in Deutschland und Europa, die einen völligen Gewaltverzicht als (unterstelltes) Gebot Gottes leben. Mein Vater und sein Vater gehörten diesem Bekenntnis an, ersterer jedoch nur noch taufscheinmäßig.
Da hängen die drei Körbe also wieder am Kirchturm. Waren die drei Verurteilten schlechte Menschen, waren sie vielleicht wahnsinnig? Nein, sie waren sogar sehr intelligent und wollten die Welt aufrichtig besser machen. Dasselbe gilt für ihre Richter, die ihnen mit glühenden Zangen bei lebendigem Leibe die Zungen herausreißen ließen. Auch sie waren nicht wahnsinnig und kämpften ihrer Ansicht nach für das Gute. Wahnsinnig war das System, innerhalb dessen sie dachten und agierten. Denn ob eine Taufe als Säugling oder als Erwachsener gottgefälliger sei, und dafür Menschenleben zu opfern, ist ein Fall von Wahnsinn.
Die drei Körbe sind für mich ein Symbol für diesen Wahnsinn. Ein makabres, geschmackloses, respektloses und menschenverachtendes Symbol, sofern man es als "touristisches Spektakel" betrachtet. Aber für den Fall, dass sich die Kirche hier einen Spiegel vorhält, durchaus bemerkenswert.
Ich kannte diese Geschichte nicht, deshalb habe ich sie hier kurz wiedergegeben, falls Ihr sie ebenfalls nicht kanntet.