Szenekenner
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Zeitreisen...
Wahnsinn! Ich habe mich heute beim Aufräumen/Entrümpeln auf Zeitreisen begeben. Es ging immer tiefer zurück in meine Vergangenheit, bis hinein in meine Jugend, als ich zarte 16 Jahre alt war.
Angefangen hatte es mit neueren Tagebüchern und Kopien von Briefen von vor ca. 5 Jahren. Ich habe nie regelmäßig Tagebuch geführt, aber immer wieder mal phasenweise. Heute habe ich vieles davon weg geworfen. Aus zwei Gründen. Zum einen, weil ich mich von vielen Dingen, die ich besitze trennen möchte. Zum anderen weil es eine Horrorvorstellung ist, dass ich einen Unfall hätte, plötzlich sterbe und dann womöglich andere Menschen diese intimen Dinge von mir lesen. Jetzt, wo ich dies tippe, denke ich schon wieder, ob es richtig war, die Sachen wegzuwerfen, weil ich sie bisher immer mal alle paar Jahre gelesen und darüber gestaunt habe. Aber auch wenn es eine Faszination hat, in seinem eigenen Leben herumzustöbern, zumal ich so ein unglaublich schlechtes Gedächtnis habe, dass ich vieles davon immer wieder vergesse (oder vielleicht eher verdränge?), sind vieles auch unschöne Erinnerungen. Mit Schrecken habe ich eben mal wieder gelesen, wie unglücklich und verzweifelt ich über Jahre hinweg immer wieder mal war, auch wenn das nicht durchgängig so war. Auch heute noch bin ich alles andere als ein stets unbeschwerter Mensch, aber in meiner Jugend und als junge Erwachsene war ich ständig auf der Suche, habe ewig gezweifelt und habe so unglücklich geliebt, dass es nicht schön ist, diese Gefühle durch das Lesen des Niedergeschriebenen wachzurufen.
Gut ist, dass ich heute keinen Hund mehr habe, wenn ich lese, welch eine große Belastung es 11 Jahre lang für mich war, meinen heiß geliebten Dobermann Erik zu haben. OK, ich hatte keine Kohle, war im Studium und hatte ein und später zwei Pferde. Heute wären die Bedingungen besser, aber ich spare mir das mit dem Hund für die Zeit auf, wenn ich nicht mehr arbeiten muss oder nur teilzeit und sonst kein Hobby mehr habe.
Amüsant war die Zeitreise immer weiter zurück, denn die ältesten Tagebücher waren weniger bedrückend. Das erste, das ich noch habe ist von 1987, da bin ich 16 Jahre alt und schreibe von Klassenkameraden, in die ich verknallt war, von meinem Pflegepony Silva, das verkauft wurde, dann von meinem ersten Freund S. Zwei der Tagebücher habe ich aufgehoben und noch ein paar Seiten aus einem späteren und eine Kopie eines Briefes, weil ich in all dem über den Tod meines Bruders schrieb und über meine Gefühle damals. Es gibt aber leider keine Briefe oder Tagebucheinträge, die damals, 1986, von mir geschrieben wurden, sondern nur Erinnerungen, die ich viel später aufschrieb.
Krass ist, wie vieles doch in meinem Leben immer noch aktuell ist von dem, was schon vor 20 Jahren meine Tage, meine Nächte und meine Gedanken dominiert hat. Vermutlich habe ich mich viel weniger verändert als ich es mir einbilde oder erhoffe oder befürchte.
Demnächst will ich mich an einen Schatz machen, den ich seit vielen Jahren hüte und vor Jahren in den Keller verbannt habe: Kistenweise Briefe, die ich erhalten habe, denn ich habe früher intensive Brieffreundschaften gepflegt und habe darüber hinaus von ein paar Männern viele Liebes- /Beziehungsbriefe bekommen. In den Kisten vereinigen sich Briefe von Ponyhof-Mädchenfreundschaften, Liebesbriefe und Zeugnisse meines intensiven, teilweise jahrelangen Austausches mit Brieffreunden und Brieffreundinnen. Ich habe vor vielen Jahren schon mal einen Versuch gemacht, da auszusortieren, aber am Ende habe ich alles wieder in die Kisten gestopft, weil ich nicht wusste, wo ich die Trennlinie ziehen sollte.
Heute ist mein Gefühl, dass ich mich von den meisten trennen will, kann, werde.
Dafür muss ich aber mindestens ein paar Tage Zeit haben, um wieder auf Zeitreise zu gehen.
Gestern und heute war ich krank geschrieben, weil es mir die ganze Woche nicht gut ging, ich hatte eine fette Erkältung, die mich schon seit insgesamt zwei Wochen nervt, mal mehr, mal weniger. Mittwoch bin ich in die Klinik, obwohl es mir kacke ging, weil am Abend die Angehörigengruppe war und es unser letztes Treffen war.
Kurz vor Beginn der Gruppe rief eine Teilnehmerin an, dass sie nicht käme. Ich hörte gleich, dass was Schlimmes war und sie sagte mir auf Nachfrage, dass sie an dem Mittwoch morgens ihre Tochter tot in der Wohnung gefunden habe. Wie schrecklich! Ihre sehr, sehr kranke Tochter kannten wir seit ca. 2 Jahren, seit sie heroinabhängig geworden war. Zuvor war sie schon ihr ganzes, kurzes Leben lang psychisch krank gewesen, war auch mal 1,5 Jahre am Stück in der Kinder- und Jugendpsychiatrie gewesen. Seit sie aber mit dem Heroin angefangen hatte, schien es keine Hoffnung mehr zu geben. Sie schien zur Abstinenz weder willens noch in der Lage zu sein. Dass sie sterben wird, damit haben wir gerechnet. Und auch wenn sowohl bei uns als auch bei den Eltern der Gedanke da ist, dass es vielleicht gut so ist, dass ihre unglückliche, gequältes
Seele jetzt zur Ruhe gekommen ist, bleibt doch die Tatsache furchtbar, dass es mit 21 Jahren unfassbar kurz war. So kurz wie das meines Bruders, der auch 21 war als er starb.
Heute geht es mir, wie gesagt, deutlich besser. Ich werde morgen Früh im Altenheim arbeiten gehen und wenn das gut klappt und ich mich fit fühle, werde ich am späten Abend nach Wuppertal fahren, um dort beim 24 h Schwimmen ein paar Meter zu schwimmen. Eigentlich wollte ich eine fette Monstereinheit dort abreißen, jetzt muss ich aber mal gucken, wie es so geht.
Euch wünsche ich jedenfalls ein sehr schönes Wochenende, seid herzlich gegrüßt!
J.
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