Ich mag die 70er Jahre. Neulich habe ich zwei Hippie-Blusen gekauft, weil ich die Polohemden aus Funktionsfaser einfach nicht mehr sehen konnte. Praktisch und bügelfrei sind sie, aber nichts fürs Herz. „Du hast immer so altmodische Sachen“, meint mein Sohn zu den neuen Oberteilen. Was soll ich sagen und Hand aufs Herz: Ich bin einfach altmodisch. Noch dazu original, nicht retro.
Der freundliche Auszubildende im Möbelgeschäft teilt meinen Geschmack. Er mag ja diesen Style der Stühle, die mir gefallen. In den 70ern hätte er auch gern schon gelebt, meint er ganz verträumt. „Ach“, antworte ich tröstend, „die Gnade der späten Geburt ist auch nicht schlecht.“ Und dann trage ich den Stuhl wieder zurück zu dem Ausstellungstisch, von dem ich ihn geholt habe, während er vor sich hinguckt und wahrscheinlich an seine Oma denkt. Als er wieder aufwacht, fällt ihm ein, er könne mir noch schnell seine Karte holen. Ich bin drauf und dran mit einem: „Tu das, mein Junge, aber lasss Dir Zeit“ zu kontern.
Als er mit der Visitenkarte zurück kommt, hat er den eingedruckten Namen seines Chefs mit blauem Kuli durchgestrichen und seinen drüber geschrieben. Wir hatten uns ein bisschen über Fußball, Handball und Yoga unterhalten. Von der Statur her Handballer, kräftiger Oberkörper. Tatsächlich macht er Yoga und kann Spagat. Vormachen wollte er nicht. Wieso, frage ich mich einmal mehr, erzählen mir eigentlich Leute immer alles? Wahrscheinlich, weil sie spüren, dass ich in Wahrheit Sherlock heiße und Geschichten suche.
Eine lange Geschichte hatte ich diese Woche ja in zwei kurzen Sätzen zum Besten gegeben. In der großen Pause war die erste Klassenlehrerin meines Sohnes zu Besuch gekommen. Im Lehrerzimmer hatte ich mich neben ihren Stuhl gehockt, da ihre neun Monate alte Tochter auf dem Arm der Mama mit jedem fremdelte, der so vorbei kam. „Pantone,“ meinte sie, „Du bist ja noch total braun gebrannt, Du siehst super aus.“ Klar, denke ich, dich hat jemand vor dem Lehrerzimmer abgefangen, und dir gesteckt: „Sag Pantone bloß nicht, wie schlecht sie aussieht. Das kann die gerade gar nicht gebrauchen.“
Und dann plaudern wir ein wenig und sie schüttelt leicht den Kopf und meint strahlend: „Also, Pantone, Du siehst fan-tas-tisch aus.“ „Jetzt hör aber mal auf“, lache ich und denke, „meine Herren, was die mich hier veräppeln!“ Sie fragt, was der Dicke so macht und wie es bei ihm in der Schule so läuft. Und sonst so? Schnell erzählt in zwei Sätzen. Mehr brauche ich mittlerweile nicht mehr. Ihre Augen weiten sich, die Kinnlade klappt ganz langsam nach unten und sie macht ihr typisches leichtes Kopfschütteln. „Mach Dir keine Sorgen“, sage ich, „das krieg ich hin.“ „Ich seh´s“, meint sie verdutzt, „ich seh´s.“ Dann schwirre ich ab in den Unterricht. Mal gucken, ob mein Kollege in Kunst heute wieder AC/DC auflegt und sich dieses Mal niemand beim Headbanging die Nase an der Tischplatte haut. Aber das lernen die auch noch, sind ja erst in der zweiten Klasse.
Ich selber bin 1972 eingeschult worden. So viele Menschen habe ich seitdem kennen gelernt. Und wenn ich ehrlich bin, habe ich viele Kontakte in den letzten Jahren bös schleifen lassen. Deswegen nehme ich meinen ganzen Mut zusammen und melde mich bei einigen ziemlich kleinlaut und zerknirscht zurück: „Hallo, ich bin´s.“ In Zeiten von Social Media ist das einfacher, als anzurufen und zu riskieren, dass ein Telefonhörer kommentarlos aufgeknallt wird. Mit ganz viel Glück lautet die Antwort in etwa so: „Pantone, Mensch, Deine Telefonnummer stimmt nicht mehr und auf meine letzte Mail hast Du nicht geantwortet.“ "Ich weiß, es tut mir leid." „Pantone?“ „Ja?“ „Wir werden uns nicht mehr verlieren.“ „Nein, tun wir nicht.“ „You were always on my mind.“
Lucky me.
Aus dem Jahr 1972:
https://www.youtube.com/watch?v=u9sRJ-eOHnc