Hallo Mikala,
ich möchte noch auf Deinen Beitrag antworten. Leider komme ich erst jetzt dazu, sorry.
Zitat:
Zitat von Mikala
Es werden die Tatsachen einer Kriminalstatistik ausgeblendet und lieber gesagt, "aber die Frauen"... Warum ist das so ?
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Ich blende keine Kriminalstatistik aus. Sexuelle Übergriffe in vielfältiger Form gegenüber Frauen sind eine Tatsache. Sie geschehen in vielfältiger Form, verbal, körperlich, strukturell. Mir ist das bewusst. Das darf nicht verharmlost, sondern muss geändert werden.
Ich komme auf den letzten Satz gleich zurück. Zuvor möchte ich sagen, dass diese Statistik für mich nicht wesentlich ist. Ernsthafte sexuelle Übergriffe sind jeder einzeln nicht in Ordnung. Es braucht keine große Vielzahl davon, damit dagegen vorzugehen ist, sondern jeder einzelne Übergriff ist Anlass genug, zurückgewiesen zu werden. Eine Vergewaltigung ist auch als einzelne Tat konsequent zu verfolgen, ohne sich zunächst statistisch über absolute Häufigkeit zu informieren.
Es spielt außerdem aus meiner Sicht keine Rolle, welches Geschlecht bei der Anzahl der verübten Übergriffe die Nase vorn hat. Selbst wenn die Frauen hier die Mehrheit der Übergriffe verüben würden, wären die Übergriffe, welche sie als Opfer erleiden, exakt auf dieselbe Weise zurückzuweisen, wie das mit umgekehrten Mehrheiten der Fall ist. Es gibt in Deutschland keine Sippenhaft, jede Tat wird einzeln verfolgt, ohne dass wir zunächst irgendwelche Mehrheiten abzählen würden.
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Wie könnte man die Zustände verbessern? Mir scheint, dass man zu Beantwortung dieser Frage zu den Ursachen gehen muss. Wenn man diese ändert, kann man etwas erreichen. Das führt mich zu einem meiner wesentlichen Kritikpunkte an dem Video: Es setzt Täter und Ursachen gleich, als wären beide identisch. Tatsächlich sind Täter und Ursachen jedoch zweierlei. Wenn man das nicht versteht oder unterschlägt, kann man an den Zuständen meiner Meinung nach nichts verändern.
Ich will nochmals versuchen, ein Beispiel zu finden. Wie alle Beispiele wird es vermutlich irgendwo hinken. Deshalb bitte ich darum, es wohlwollend zu lesen, um mein Argument zu verstehen.
Es ist eine statistisch erwiesene Tatsache, dass Menschen aus ärmlichen Verhältnissen eher zu Straftaten neigen als Menschen mit höherem Einkommen. Wir könnten nun ein Video machen, das den prekär lebenden Menschen entgegenruft: "Hallo, könntet Ihr Euch bitte an die Gesetze halten? Ist ja wohl nicht zu viel verlangt. Danke".
Wir sind uns wahrscheinlich einig, dass das wenig schlau ist und wenig bewirken dürfte. Denn es verwechselt und vermischt Täter und Ursachen. Der
Täter ist natürlich der Jugendliche ohne Lehrstelle, der ein geklautes Fahrrad bei ebay vertickt. Die
Ursache ist jedoch etwas komplexer, denn Armut ist ein Problem, dass die ganze Gesellschaft verursacht und verantwortet. Täter und Ursache sind zweierlei.
Bei den sexuellen Übergriffen kann man sich im ersten Schritt auf die Täter konzentrieren. Etwa bei sexuell übergriffiger Sprache in sozialen Medien ("Du gehörst mal richtig gebumst!"). Es ist richtig, Missstände zu benennen und sie gesellschaftlich anzuklagen. Es ist aber ebenso wichtig, nach den Ursachen zu schauen. Sonst bleibt man auf der Ebene der Stigmatisierung einer gesellschaftlichen Gruppe stehen. Man betreibt Aufregungsjournalismus oder schlicht Klick-Bait.
Die Ursachen betreffen – wie auch in meinem Beispiel oben – die ganze Gesellschaft. Wir weisen uns gegenseitig bestimmte Rollen zu. Das hat kulturelle, wirtschaftliche, religiöse und biologische Gründe. Halb erleiden wir diese Rollenzuweisungen ungewollt, halb betreiben wir sie aktiv. Wenn wir etwas daran ändern wollen, müssen wir das gemeinsam angehen. Das bedeutet: Männer
und Frauen gemeinsam.
Das ist sehr schwer, wie man sich leicht an der Rolle der Frauen vergegenwärtigen kann. Sie betreiben im Vergleich zu den Männern einen erheblichen Aufwand, attraktiv auszusehen, und zwar explizit sexuell attraktiv. In keiner Kultur der Welt malen sie sich die Nase und die Ohren rot und feuchtglänzend an, sondern die Lippen. Die Kleidung ist meistens sehr bewusst ausgewählt, und allein die Höhe des Reißverschlusses am Dekollete ist eine komplexe Sache, in die viele Faktoren einfließen. Frauenzeitschriften beschäftigen sich fast ausschließlich mit Diät, Kleidung, Frisur, Make up, Bodyshaping und Sextipps.
Damit möchte ich ausdrücken: Frauen begeben sich teils selbst in die Rolle, über ihre äußere Erscheinung bewertet zu werden. Teils werden sie aber auch dazu gedrängt, denn sie haben es schwer, wenn sie nicht diesem Bild entsprechen. Natürlich gilt das ebenso für die Männer, die ebenso ihre Rollen teils aufgedrückt bekommen, teils diese aktiv herbeiführen. Sie werden stark über ihren sozialen Status bewertet.
Beiden Geschlechtern wird es in den Schubladen ihrer Geschlechterklischees mitunter zu eng. Das führt zu Frust und Unzufriedenheit. Beides entlädt sich auf vielfältige Weise. Es ist vermutlich nicht nötig, das weiter auszuführen.
Diese Überlegungen sind alle nicht neu, sondern viele Jahrzehnte alt. Weg von der bloßen Stigmatisierung und einseitigen Schuldzuweisung, hin zu den gesellschaftlichen Ursachen und gemeinsam verursachten Rollenklischees. Der hier diskutierte Film bleibt weit hinter dem bereits erreichten Niveau der Debatte zurück. Das erlaube ich mir zu kritisieren.
