Wenn es Dir so gleichgültig ist, dass jemand zum Islamisten wird, dann bist Du vielleicht nicht der beste Ratgeber (bitte beachte, dass wir auf den letzten paar Postings nur hypothetisch ein Spielchen mitmachen und ich nicht Dich persönlich meine). Du solltest ihm doch einen guten Rat geben und nicht einfach mit den Schultern zucken.
Ich bin in diesem Fall ein neutraler Ratgeber, der ihm sagt, das Religion nichts für mich ist, aber er sich verschiedene Religionen ansehen könnte, wenn er das tun möchte.
Für was er sich entscheidet überlasse ich ihm. Ich gehe davon aus, das der Schritt sich zu interessieren, ihn in die für ihn geeigneten Bahnen lenkt.
Gäbe ich ihm eine Rat würde ich ihn versuchen zu beeinflussen. Und Religion hat auf mein Leben kaum Auswirkungen* - von daher sehe ich ihn nicht ins Unglück rennen, wenn er sich für Religionen interessiert und entscheidet.
* fahr vorsichtig an Sonntagen, wenn Du an einer Kirche vorbei kommst
* lautes Gebimmel der Glocken
Da ihm gerade nichts Besseres einfällt, fragt er, wie wir denn unsere Religion ausgewählt haben.
Wie habe ich meine Weltanschauung gewählt (bzw. sie mich):
Ich bin sicherlich auch das Produkt meiner unmittelbaren Umgebung. Meine Eltern haben mich nicht religiös erzogen; es war eigentlich kein Thema. Mein Vater war Ingenieur (später Geschäftsleiter) und konnte die Welt auch ohne Wunder erklären. Als kleine Jungs wollten wir sowieso wissen, wie die Dinge wirklich funktionieren und hätten uns nicht mit Wundergeschichten zufrieden gegeben.
Später habe ich kritische Bücher im Bücherschrank unseres Wohnzimmers entdeckt (schon während meiner Grundschulzeit war ich ein fleißiger Leser). Eins davon war eine berühmte Mitschrift einer Rede von Bertrand Russel, einem Mathematiker und Religionskritiker. Er beschrieb in wissenschaftlicher Klarheit die Unzulänglichkeit der christlichen Religion. Das fand ich überzeugend.
Es hat mir vor allem auch gezeigt, dass das christliche Brimborium aus Weihrauch und Orgelklängen gar nicht so unangreifbar war, wie es zuerst aussah. Man konnte es auf den Prüfstand stellen und kritisieren. Es stand nicht außerhalb jeder Prüfung. Es hatte Schwächen. Hier war ein kluger Mann, der in freundlicher Sprache, mit nachvollziehbaren Argumenten eine Großmacht zu Fall brachte. Das war mir eine gute Lehre.
Ich würde ihm dem Paleo-Thread zeigen.
Da kann es viel darüber lernen, was es mit dem Begriff Wahrheit im Internet und in der Wissenschaft auf sich hat.
Anschließend würde ich ihm wahrscheinlich raten, auf sein Bauchgefühl zu achten.
Da unser neuer Freund in seiner Kindheit nichts mit Religion zu tun hatte, ist es äußerst unwahrscheinlich, dass er sich als Erwachsener für eine der christlichen Kirchen entscheiden wird. Das sagt die Statistik. Aber wir wollen hier ja etwas rumspinnen, darum würde ich ihm sagen:
"Achte genau auf den Unterschied zwischen fromm tun und fromm sein. Fromm tun gibt es überall kostenlos. Es ist daher äußerst beliebt und weit verbreitet. Für das fromm Sein hingegen zahlst Du einen Preis: Du opferst Zeit sowie innere und äußere Freiheit. Du wirst Dich Regeln des Denkens und des Handelns unterwerfen, die Dir und anderen möglicherweise schaden können. Frage deshalb stets nach der Wahrheit dessen, was Du für richtig annimmst."
Unser Freund ist schon ein wenig verwundert, warum bisher niemand einen Grund genannt hat, warum er sich einer Religion anschließen sollte - geschweige denn eine Begründung für die Richtigkeit einer bestimmten Religion.
Immerhin hat er nun schon nach Jörg von einem 2. gehört, warum er Atheist geworden ist.
Ich habe ihm nämlich erzählt, dass ich zunächst mal unfreiwillig Christ war, weil das hier nun mal so üblich ist. Ganz ohne schlaue Bücher bin ich aber mit schätzungsweise 10 Jahren selbst darauf gekommen, dass das Ganze (für mich) nicht sehr überzeugend ist.
Ein Kerngedanke dabei war die Vielzahl widersprüchlicher Religionen, von denen zwangsläufig fast alle falsch sein müssen. Warum nicht auch meine?
Speziell das Christentum fand ich auch nicht überzeugend, denn das "heilige" Buch, auf dem es basiert, enthält jede Menge grobe Unwahrheiten und Unplausibilitäten. Ist daran überhaupt etwas Wesentliches richtig?
Interessantes Gedankenspiel - schade, daß mich selten jemand sowas fragt.
Ich würde den jungen Mann wohl erst fragen, was er für sich von einer Religion erwartet, weil davon abhängt, was er mit dem Thema anfängt.
Vielen Menschen gibt ihre Religion einen Rahmen von Werten vor und gibt ein Gefühl, zu einer Gemeinschaft zu gehören, und sie befriedigt das Bedürfnis nach einer Autorität, die einem sagt, was richtig oder falsch ist. Wenn der junge Mann nicht ausreichend selbstsicher ist, um aus sich selbst die Orientierung im Leben zu finden, wenn er nach einer Richtschnur sucht, einer Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft, kann eine Religion ihm helfen. In diesem Fall ist m.M.n. egal, für welche Religion er sich entscheidet - solange es seine Erwartungen erfüllt (subjektiv sinnstiftend, seelisch befriedigend, richtungsweisend für sein Handeln), und er sie so ausübt, daß keine anderen Menschen verachtet, diskriminiert oder schädigt. Dabei kommt es mir nicht auf die "reine Lehre" der jeweiligen Religion, sondern allein auf die praktische Ausübung an. Die reinen Lehren sind praktisch immer gegen den gesunden Menschenverstand.
Wenn er hingegen ein neugieriger, forschender Geist ist, der nach Inhalten und Wahrheiten, nach objektiven Kriterien eine Religion aussuchen will - dann rate ich dazu, es zu vergessen. Religion ist nichts für Leute, die vergleichen und Inhalte hinterfragen; es geht um glauben, um nicht wissen zu müssen, nicht selber Antworten überlegen zu müssen.
Ich bin mir schon als Jugendlicher bewußt geworden, daß mir die Religionen und ihre faszinierenden Legenden und Geschichten als kulturhistorische Kuriositäten gefallen, ohne mich in den Bann zu ziehen, ohne mich zum Glauben zu motivieren (zum Leidwesen meiner tief gläubigen Großtante, die für mich trotzdem das Musterbeispiel einer überzeugend christlichen, zu tiefst menschlichen Lebenseinstellung bleibt). Ich bin mir bewußt, daß mein Wertesystem und Menschenbild irgendwo auf dem christlichen (neutestamentarischen) Bild der Nächstenliebe basiert, aber nicht allein davon bestimmt wird. Der Konfirmation habe ich mich bereits verweigert, da ich es nicht mit Überzeugung hätte machen können; aus der Kirche trat ich aus, weil es mir nicht richtig vorkommt, zu einem Verein zu gehören, dessen Inhalte ich nur begrenzt teile, auch wenn ich auch manches zu schätzen weiß, was die Kirchen bzw. einzelne Vertreter in unserem Jahrhundert leisten.
Fazit: er soll sich so entscheiden, daß er sich mit seinem Gewissen im reinen ist, und nur dann eine Religion wählen, wenn er bereit ist, daran zu glauben ohne zu hinterfragen, bzw. wenn die Religion ihm persönlich Antworten auf Fragen gibt, die er für sich anders nicht findet. Wenn er Fragen stellt und bewertet, braucht er keine Religion, da er mit Vernunft und Argumenten sein Weg im Leben finden kann.
__________________
“If everything's under control, you're going too slow.” (Mario Andretti)