Ich seid ja süß

. Da will ich denn man auch einen Teil der neuesten Erlebnisse los werden:
Hetzjagd
Natürlich glaube ich nicht mehr an den Nikolaus. Der Zwerg sicherlich auch nicht mehr lange, denn beim Frankfurter Nikolaus-Duathlon laufen nicht nur Leute mit roten Mützen, sondern auch mit weißen Bärten rum. Und da die Gesichtsbehaarung zuweilen eher auf Brusthöhe herumbaumelt, kann man da schon mal stutzig werden. Aber immer strahlen verkleidete Menschen doch eine gewisse Gemütlichkeit aus.
In der Umkleide ist es auch gemütlich, warm und trocken. Die Frau, die ich dort antreffe, ist mit einem leichten Langarmshirt und einer dreiviertel langen Hose für draußen doch eher dünn bekleidet, habe ich den Eindruck. Meine Frage, ob sie denn wohl sooo starten wolle, bejaht sie höflich, wenn auch ein wenig hektisch. Na, denke ich, da ist aber einer zappelig, und vermute sofort, dass die blonde Frau bestimmt ehrgeizig ist. Nachdem auch ich die Kleiderfrage abschließend geklärt habe, das übliche Procedere bis zum Start. Zweieinhalb Minuten vor Rennbeginn begebe ich mich Richtung Startlinie. Unterwegs finde ich eine Brille und apportiere sie artig zu fünf Eintracht-Helfern, die im Halbkreis stehen. „Die habe ich gerade gefunden“, sage ich und halte die Brille in die Mitte der Männerrunde. Alle gucken, keiner sagt was. Dann erbarmt sich einer: „Die muss ins Race-Office“, meint er. Und so stehe ich dann noch einen Moment dumm rum mit einer fremden Brille in der Hand, die keiner haben will. Während in meinem Rücken der gefühlte Countdown läuft, fange ich an zu lachen und sage nur – die Brille immer noch fest in der Hand: „Also, ganz ehrlich, das schaffe ich jetzt nicht mehr.“ und deute mit dem Kopf Richtung Digitalanzeige, die irgendwo kurz hinter und über mir die verbleibende Zeit bis zum Start anzeigt. Und hopps wachen sie auf, nehmen mir die Brille ab und ich mache mich auf den Weg. Eins muss man sagen: nett sind die hier alle!
Die erste Laufrunde sind 2,5 Kilometer. Immer locker bleiben, denke ich und jogge so vor mich hin. Nach einem Kilometer läuft die Blonde vor mir: schwer keuchend und immer auf den Zehenspitzen. Die Waden lassen vermuten, dass sie noch nie mit Dehnungsübungen belästigt worden sind. Aber die scheinen was auszuhalten. Meine sind ja tendenziell etwas verweichlicht, mucken bei Vorderfußlauf und scheinen so gar nicht zu meinen Oberschenkeln zu passen, denn bei Letzteren muss es schon ganz schön dicke kommen bis sie sich mal melden. Möglicher Weise sind meine Unter- und Oberschenke einfach inkompatibel. Da kann man nur noch versuchen, Schadensbegrenzung zu betreiben.
Die erste Radrunde zieht sich. Das tut sie immer. Warum ist das so? Auf der zweiten Runde bin ich innovativ und fahre mal ein Stück im Windschatten. Das ist gemütlich und kommunikativ, denn der Pacemaker ist nett und stört sich nicht, dass ich an seinem Hinterrad zecke. Wir unterhalten uns ein bisschen. Dann taucht die Blonde auf. Immer wieder im Wiegetritt, selbst auf topfebener Strecke. In einer Kurve überholt der Pacemaker sie und sie hängt sich sofort und kommentarlos in seinen Windschatten. Ich lasse mal ein bisschen abreißen und gucke mir das an. Der bis eben noch so freundliche Mann tut das nicht, sondern meint ganz trocken: „Nee, nee, fahr mal schön daneben.“, deutet mit der Hand an, dass sie vorbei fahren soll und lässt sich zurück fallen. Warum, frage ich mich, fahre ich eigentlich fast nie im Wiegetritt? Falscher Stolz, vermute ich, und ändere das umgehend. Beim Einlauf in die Wechselzone dürfte ich ziemlich genau eine Sekunde Vorsprung haben. Schräg hinter mir Keuchen und Pfeifen. Verdammt, denke ich, warum habe ich denn nicht so ein verdammtes Killer-Gen?
Einmal macht es noch zisch und dann sehe ich eine dünn-bekleidete Frau am Horizont verschwinden. Mein abschließender Lauf gestaltet sich eher mühsam, und ich frage mich, ob es wohl Nahrungsergänzungsmittel gibt, die einen angeborenen Killer-Mangel ein wenig ausgleichen können. Vielleicht hilft ja auch Paleo. Mit diesen hoffnungsvollen Gedanken hüpfe ich ins Ziel und erhalte zur Belohnung eine Medaille in Form eines Schokoladen-Weihnachtsmannes am Bande. Paleo hat sich damit für´s Erste direkt erledigt.
Als ich bereits geduscht habe und mich anziehe, betritt die Blonde die Umkleide – immer noch sparsam angezogen. Sie friert und freut sich auf die Dusche, denn sie haben eben schon schnell die Räder sauber gemacht und aufs Auto gepackt. „Schlau“, sage ich, „nachher ist es bestimmt voll.“ Zum Haare fönen gehe ich auf den Flur, da es aus irgendeinem mir unbekannten Grund nur hier Steckdosen gibt. Plötzlich schießt ein Mann in kompletter Sportbekleidung um die Ecke und brüllt: „ANKE!“ Ich strecke meinen Zeigfinger Richtung Umkleide und meine nur „Da!“. Er verharrt bewegungslos an der Ecke, guckt mit großen Augen den Flur entlang und ich sage nur besänftigend: „Geh doch einfach rein.“ Doch da wird auch schon die Tür von innen aufgerissen, sie kommt raus geschossen und ruft laut: „Jaja, ich mach ja schon“. Puuh, denke ich, wenn die mal einen besinnlichen Abend wollen, machen die wahrscheinlich Wett-Fondue oder so und suche das Weite.
Acht Tage später. Im strömenden Regen bringe ich das Kind zu Fuß in den Kindergarten. Dort schwanken die Ansprachen zwischen „Oh, so schick heute!“ und „Ich habe dich gar nicht erkannt.“ Schnell ziehe ich mir meine High-heels-Stiefeletten an und rausche zum Vorstellungsgespräch, das in zehn Minuten in ein paar hundert Metern Entfernung statt finden soll. Autsch, der umgeknickte Fuß von neulich möchte das jetzt eigentlich gar nicht so gern. Ich schaffe es pünktlich an die Bewerber-Startlinie. Nach dem Gespräch stakse ich zum nächsten Bushaltehäuschen außer Sichtweite: High-heels off, Recovery-shoes on. Ah, wie herrlich. Mein Fuß freut sich auch. Kaum habe ich wieder festen Boden unter den Füßen, geht das Handy. Ein potentieller Arbeitgeber meldet sich. Da ich ja bereits verkleidet bin, schlage ich einen Termin in einer halben Stunde vor. Die Dame freut sich und ich bin ganz angetan von meiner gnadenlosen Flexibilität. Ich spaziere zur Stadtbücherei im Kurpark. In den Waschräumen geht´s zack-zack: Turnschuhe aus, Hohe-Hacken-Schuhe an. Von da sind´s dann zweihundert Meter bis zum nächsten Vorstellungsgespräch. Wie der Rückweg war? Zack- zack in Turnschuhen natürlich.
Also, wenn ich jemals etwas Tendenziöses zum Thema Hetze im Allgemeinen und hektische Betriebsamkeit im Besonderen habe verlauten lassen, dann nehme ich das hier ganz offiziell und vor Publikum zurück. Nichts für ungut, Anke.
Nur von dem Killer-Gen, da hätte ich gern was.