Ich habe bei dem Interview gemischte Gefühle.
Als Coach habe ich ständig mit Personen zu tun, die äußerst diszipliniert an ihren Zielen arbeiten, seien es sportliche oder berufliche Ziele.
Manche davon sind Getriebene: Dieser Typ Mensch kann am Sonntag seine AK in einem Triathlon gewinnen, was das Selbstwertgefühl verständlicherweise stark anhebt. Jedoch, bereits am Montag verblasst dieses Gefühl und am Dienstag überwiegt wieder die Angst, beim nächsten Rennen nicht zu genügen. Hauptmotivation an praktisch allen Trainingstagen ist nicht die Freude am möglichen Sieg, sondern die Angst vor der Niederlage. Vergangene Leistungen sind nichts wert, für das Selbstwertgefühl zählt allein der nächste Wettkampf.
Je höher das sportliche Niveau, desto häufiger findet man diesen Motivationstyp. Nach und nach werden alle Lebensbereiche diesem Leistungsantrieb untergeordnet.
In einer extremen Ausprägung stelle ich mir einen Athleten oder eine Athletin vor, die auf einer kleinen Insel praktisch im Trainingsraum lebt, von morgens bis abends trainiert, für den oder die nur der Sieg zählt und der Sport abseits von Siegen keinen persönlichen Sinn hat. Die der zurückliegenden Karriere wenig Wert beimisst, weil sie diesen nicht fühlen kann, und es überflüssig findet, das Geschaffte zusammen mit den Fans zu feiern und zu würdigen.
Ich kenne Anne nicht persönlich. Es ist gut möglich, dass ich sie falsch einschätze. Falls das Gesagte jedoch einen wahren Kern hat, wünsche ich Anne, dass sie ihre jetzt beendete Triathlonkarriere wertschätzen kann, und Selbstzufriedenheit oder Selbstliebe daraus zieht.
Falls das alles Quark ist: Nichts für ungut und alles Gute!
