Die Problematik gibt es natürlich genauso beim Schwimmen und Radfahren. Und da halte ich sie für relativ gut gelöst: beim Schwimmen ist der Auftrieb des Neoprenanzuges über eine maximale Materialdicke gut reglementiert und es ist ohne weiteres möglich mit einem 5 Jahre alten 400,-€ Neoprenanzug als erster aus dem Wasser zu kommen, was die Anschaffungskosten stark relativiert.
Ähnliches gilt auch beim Radfahren: Für wenig über 1000€ bekommt man ein gebrauchtes Zeitfahrrad, mit dem man ohne weiteres Hawaii gewinnen kann und das man bei guter Pflege weitere 5-10 Jahre fahren kann.
Die aktuell aufgerufenen Laufschuhpreise mögen im Vergleich zu einem Neoprenanzug oder einem Zeitfahrrad vergleichsweise moderat wirken, wenn man aber deren geringe Haltbarkeit mitberücksichtigt und die Kosten pro Stunde Sportausübung beim Schwimm- und Radequipment in direkte Beziehung zu den Laufschuhen setzt, wird man leicht zu dem Schluss kommen, dass das Laufen (langfristig betrachtet) signifikant und spürbar teurer wird.
Neue Produkte, egal ob Neo, Radzeugs, Laufschuhe (Energierückgewinnung ist ja jetzt kein neues Marketingwort) werden angeboten mit dem Versprechen, dass sie einen schneller machen. Das ist ein Hauptgrund, warum die Leute neues Material kaufen. Oft stellt sich dann heraus, dass dieses Versprechen, sagen wir mal optimistisch, marginal ausfällt.
Jetzt gibt es einen Schuh, der diese Behauptung anscheinend erfüllt, und das ist dann auch wieder nicht recht....
Normalerweise müßte man sich doch über die Produkte aufregen, die ihre Erwartungen nicht erfüllen...
Lass uns mal in zwei Jahren gucken, aber vll. haben wir hier die erste echte Innovation im Schuhbereich seit x Jahren, wäre doch schade, wenn das verboten würde (ich nehm einfach mal an dass sich Preis und Haltbarkeit normalisieren)
...Normalerweise müßte man sich doch über die Produkte aufregen, die ihre Erwartungen nicht erfüllen...
Rege ich mich auf?
Den Vaporfly bin ich dieses Jahr bei 4 Mitteldistanzen gelaufen und den Next% steht seit drei Wochen im Keller und wartet auf seinen ersten Einsatz. Als Triathlet ist man pragmatisch und anpassungsfähig.
Die Problematik der aktuellen Entwicklung liegt sicher nicht im Bereich der Amateure, die meist bereit sind, sich ihr Hobby auch ein wenig was kosten zu lassen, sondern vielmehr im Bereich der ambitionierten Nachwuchssportler im Jugend- und Juniorenbereich sowie auch bei den Nachwuchs-Profis, die in der Leichtahtletik und im Triathlon angewiesen sind auf Sponsoren, die ihnen einen Teil ihrer Spesen und auch Prämien zahlen. Die sind jetzt in der Zwickmühle ihre Laufschuhkontrakte aufzulösen (und damit die Arbeissituation noch prekärer als zuvor zu machen, denn Nike sponsort im Triathlon so gut wie gar nicht und in der Leichtathletik nur in überschaubaren Maße) oder vertragstreu zu bleiben und dafür 2 Minuten im Marathon bzw. 1 Minute im Halbmarathon langsamer zu laufen..
Es gibt dann noch den Graubereich der umgelabelten Schuhe bzw. der "Prototypen" (die eigentlich je nach Regelauslegung im IAAF-Bereich nicht erlaubt sind.
Und es gibt halt noch eine nicht unbeträchtliche Anzahl an Läufern/ Triathleten, für die der Sport (bzw. die für Erfolge optimale Ausrüstung) unerschwnglich wird, je nach persönlicher Einkommenssituation oder je nach Elternhaus.
Diese Entwicklung muss man nicht begrüßen und im Augenblick geht es ja nicht um Wettbewerb und den üblichen Kampf um marginal gains, wie bei der Wahl zwischen verschieden teuren Laufrädern oder Reifen, so wie im Radsport, sondern um einen hoch signifikanten Technikvorsprung und ein Monopol eines einzelnen Herstellers, das sich daraus entwickelt hat.
Monopole sind eigentlich immer für alle schlecht, bis auf den der das Monopol innehat.
Leider verrät der Autor des Spiegel-Artikels nicht, wie er zu dieser abschließenden Erkenntnis kommt:
Im Text zitiert er den bekannten Artikel der NY-Times mit einer statistischen Analyse von zigtausend Strava-Dateien (die sich im übrigen nur auf den vaporfly 4 % und nicht auf den Next% oder gar den neuen Kipchoge-Schuh, den niemand bisher wissenschaftlich untersuchen konnte, bezieht.
Zitat:
Zitat von spiegel
Eine große Datenanalyse von Rennergebnissen auf der Trainingsplattform "Strava" kam zu dem Schluss: Wer Vaporfly trägt, läuft den Marathon zwischen drei und vier Prozent schneller als andere Sportler in vergleichbaren Leistungsklassen. Der Zusatz Vaporfly 4%, mit dem Nike das Modell vermarktet, scheint also zu stimmen. Läufer sparen durch den Schuh einige Prozent an Energie, die Laufökonomie wird verbessert.
Laut der Datenanalyse (des alten Schuhs) profitieren Läufer sämtlicher Leistungsklassen bei Asphaltläufen ohne viele Kurven von dem Schuh.
Dann wird mal eben eine übertriebene Lobesjymne auf Kipchoge gesungen, als ob er der einzige wäre, der bisher mit dem Schuh Bestzeiten gelaufen ist (z.B. auch die Fabelzeit von Bekele von Berlin 2019 unterschlagen, der bis auf wenige Sekunden an Kipchoges Berlin-Weltrekord rangelaufen ist), was unterstreicht, dass Kipchoge vielleicht doch nicht ganz so einzigartig ist (auch wenn er natürlich derzeit zu recht als Bester gilt)
Am Ende des Textes nach ein paar altbekannten leicht per Google zusamenzutragenden alten Vaporfly-Anekdoten kommt dann plötzlich das unmotivierte Fazit:
Zitat:
Zitat von Spiegel
Die allermeisten Hobbyläufer können sich das Geld trotzdem sparen. Ihnen wird der Schuh nichts nützen. Es ist ein reiner Wettkampfschuh, konzipiert für sehr leichte und schnelle Läufer und gerade Strecken. Für schwerere Durchschnittsläufer ist er völlig instabil.
So ein Fazit ist nachvollziehbarer Bullshit einerseits, weil die Statistik beim Vaporfly klar eine andere Sprache spricht und andererseits weil das Thema des Textes ja der aktuelle Schuh von Kipchoge ist (=AlphaFly), den außer Kipchoge und evt. ein paar Nike-Ingenieuren und Produkttester mit Sicherheit noch kaum jemand gelaufen ist.