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Dafür braucht man nach meiner Ansicht keine Materialismus-Debatte zu führen, weil es sich beim Evolutionmodell um ein fachwissenschaftliches und kein philosophisches oder gar religiöses handelt. ...
Weder der Papst (soweit ich das aus Deinem Zitat entnehmen konnte), noch ich selbst hatten oder haben die Absicht in die rein fachwissenschaftliche Diskussion einzugreifen. Es geht um die philosophische Interpetation derselben...
Zitat:
Zitat von qbz
... Zumal die meisten heutigen Forscher sowieso von den weltanschaulichen Grundlagen her gesehen eher dem kritischen Rationalismus (Popper) nahestehen als dem Materialismus...
Ist das so, daß heutige Forscher den kritischen Rationalismus bevorzugen? Wußte ich nicht. Und wie steht es mit Poppers Drei-Welten-Lehre?
... Wenn Du Argumente dafür vorträgst, warum dem Geist eine von der Materie unabhängige Existenz zukommt, werde ich sie anhören und abwägen. ...
Nun, die Philosophiegeschichte ist voll von (weiterhin aktuellen) Argumenten gegen den Materialismus. Für den Einstieg würde ich den Vortrag von Franz von Kutschera empfehlen: Fünf Gründe kein Materialist zu sein.
In der neueren Diskussion halte ich auch das Argument von Noam Chomsky für beachtenswert, demzufolge dem Problem bereits kurz nach seinem Aufkommen noch im siebzehnten Jahrhundert die Grundlage entzogen wurde, nicht etwa weil das Geistige wegerklärt werden könnte, sondern im Gegenteil weil dem Begriff der Materie die Bestimmtheit genommen wurde.
Zitat:
Zitat von Klugschnacker
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Eine materialistische Erklärung für den Geist hältst Du von vornherein für falsch. Das empfinde ich als dogmatisch und unwissenschaftlich, da es jede Überprüfung Deines Arguments ausschließt....
Wieso von vornherein? Ich habe materialistische Erklärungsansatze durchaus zur Kenntnis genommen und geprüft, nur leider alle mir bisher bekannten für unzureichend befunden.
Nun, die Philosophiegeschichte ist voll von (weiterhin aktuellen) Argumenten gegen den Materialismus.
Die Philosophiegeschichte ist eine Geschichte von Gedankenkonstrukten. Diese können in sich stimmig sein oder nicht, haben aber mit der Realität nicht zwingend etwas zu tun.
Ebenso könntest Du mit der Religionsgeschichte argumentieren. Auch sie ist voll von (weiterhin aktuellen) Argumenten gegen alles mögliche (und dessen Gegenteil).
Für mich wäre zu prüfen, ob die Philosophie als Versteck und Ausrede benutzt wird, um den eigenen Wunderglauben etwas intellektueller wirken zu lassen. Es scheint mir manchmal wie ein Wollknäuel zu sein, in dem man sich mehr und mehr verheddert. Dieses Verheddern kann allerdings auch als positiv empfunden werden. Ich finde, man müsste für sich selbst versuchen, diese Art von Selbsttäuschung zu verhindern. Dazu kommt man nicht umhin, sich mit der Realität zu befassen, und nicht nur mit Ideen und Ideenwelten.
Nocheinmal zum Problem des Bösen und Schlechten in der Welt:
Das Argument geht ungefähr so:
P1: Gott ist vollkommen...
P1a: weise,
P1b: mächtig,
P1c: gut.
P2: Wenn es Böses/Schlechtes in der Welt gibt, dann...
P2a: weiß er davon,
P2b: kann er es anders machen,
P2c: muß er es anders machen wollen.
P3: Es gibt Böses/Schlechtes in der Welt.
Also:
K: Es gibt keinen Gott der alle drei Vollkommenheiten aus P1 aufweist.
__________
Was kann man dazu sagen? Zunächst einmal, daß der Schluß formal gültig ist.
Desweiteren kann man mit Kant der Ansicht sein, daß uns einige der Einsichten, die in den Prämissen behauptet werden aufgrund der Grenzen unserer Vernunft und unseres Verstandes prinzipiell verwehrt bleiben müssen (Danke an Helmut S für den Hinweis!). Damit wäre der Schluß zwar gültig, aber wertlos.
Dessen ungeachtet würde ich P2c bestreiten, die auf dem Fehler zu beruhen scheint, daß Gott als ein moralischer Akteur nach menschlichem Maßstab angesehen, daß 'gut' in 'Gott ist gut' also als 'moralisch gut' verstanden wird. Ich würde dagegen behaupten dem guten Gott muß die Verminderung des Leids sowenig das höchste Anliegen sein, wie es dem guten Löwen die Verschonung der Antilopen ist. Damit beruhte der Schluß auf der Annahme einer falschen Prämisse, ohne die er ungültig wäre.
Dessen ungeachtet würde ich P2c bestreiten, die auf dem Fehler zu beruhen scheint, daß Gott als ein moralischer Akteur nach menschlichem Maßstab angesehen, daß 'gut' in 'Gott ist gut' also als 'moralisch gut' verstanden wird. Ich würde dagegen behaupten dem guten Gott muß die Verminderung des Leids sowenig das höchste Anliegen sein, wie es dem guten Löwen die Verschonung der Antilopen ist. Damit beruhte der Schluß auf der Annahme einer falschen Prämisse, ohne die er ungültig wäre.
Wieso sollte allerdings für Gott ein andere Wertemasstab gelten als für uns?
Experimentiert der Gott mit uns? Probiert er anderes aus?
Und wenn was sollte es uns dann scheren, wenn Gott mit uns spielt. Wieso sollte er uns dann überhaupt interessieren?
Auch um in deinem Bild zu bleiben die Antilope interessiert es nicht, was der Löwe über sie denkt, bzw. die Antilope versucht nicht ihr Leben auszurichten um den Löwen gnädig zu stimmen. Sie versucht ihm höchsten zu entkommen.
Also auch in dem Bild bleibt Gott für mich komplett irrelevant.
Ich kann aus so einem Gott nichts ableiten, für mein Leben auf der Erde. Ich würde nicht anders leben wenn es Gott gäbe, als wenn es ihn nicht gäbe.
Würdest du dein Leben ändern, wenn es einen Beweis gäbe, dass es Gott nicht gibt?
Weder der Papst (soweit ich das aus Deinem Zitat entnehmen konnte), noch ich selbst hatten oder haben die Absicht in die rein fachwissenschaftliche Diskussion einzugreifen. Es geht um die philosophische Interpetation derselben...
Ich nehme gerne zur Kenntnis: Es geht um kein Eingreifen in fachwissenschaftliche Evolutionstheorien, wenn der Papst darüber so urteilt: "Folglich sind diejenigen Evolutionstheorien nicht mit der Wahrheit über den Menschen vereinbar, die - angeleitet von der dahinter stehenden Weltanschauung – den Geist für eine Ausformung der Kräfte der belebten Materie oder für ein bloßes Epiphänomen dieser Materie halten."
Wo unterscheiden sich religiöse von philosophischen Beurteilungen von Evolutionstheorien? Ich würde in diesem Zusammenhang von einem religiösen Ex-Kathedra Urteil des Papstes sprechen, das mit einer wissenschaftlich betriebenen Philosophie nichts zu schaffen hat.
Zitat:
Zitat von Zarathustra
Ist das so, daß heutige Forscher den kritischen Rationalismus bevorzugen? Wußte ich nicht. Und wie steht es mit Poppers Drei-Welten-Lehre?
Ich äusserte nur meinen subjektiven Eindruck, weil als bekannte Gegenspieler zu den Materialisten in den Hochschuldebatten in DE jeweils besonders die "kritischen Rationalisten" in Erscheinung traten (natürlich neben Stegmüller etc.). Unter denen befinden sich bekanntlich ebenfalls Religionskritiker wie z.B. der Kritische Rationalist Hans Albert. https://de.wikipedia.org/wiki/Hans_A...eligionskritik
Ich habe mich beim Lesen der Papstrede zur "Evolution und dem christlichen Menschenbild" halt gefragt, weshalb sich der Papst mit solchen philiosophischen Strömungen nicht auch auseinandersetzte.
Dass Biologen, Psychologen, Fachwissenschaftler bisher kein Eingreifen Gottes bei der Entwicklung des Psychischen entdeckten, bedeutet eben nicht, dass diese Forscher alle von ihrer Weltanschauung her Materialisten sind oder zwangsläufig sein müssen.
Wer keinen Unterschied zwischen Weihwasser und Wasser feststellt, muss von seiner Weltanschauung her kein Materialist sein.
daß uns einige der Einsichten, die in den Prämissen behauptet werden aufgrund der Grenzen unserer Vernunft und unseres Verstandes prinzipiell verwehrt bleiben müssen
Ist das nicht eine Immunisierungsstrategie? Egal, was jemand vorträgt, man kann am Ende sagen: "Tja, vielleicht ist es doch ganz anders, wir sehen es nur nicht".
Zitat:
Zitat von Zarathustra
daß 'gut' in 'Gott ist gut' also als 'moralisch gut' verstanden wird. Ich würde dagegen behaupten dem guten Gott muß die Verminderung des Leids sowenig das höchste Anliegen sein, wie es dem guten Löwen die Verschonung der Antilopen ist.
Auch dies ist eine Immunisierung. Egal, wie schlecht Gott oder sein Schaffen auch sein mögen: dann sind eben unsere Maßstäbe falsch, und Gott ist dennoch gut, ätsch!
Was ist die Motivation Deiner Argumentation? Mir scheint, hier geht es darum, Gott reinzuwaschen. Es ist nicht Dein Anliegen, Leid zu erklären, sondern es zu rechtfertigen. Dein Ziel ist, dass Dein Gott strahlend und glänzend bleibt. Das ist Deine Sorge.
Aber Leid ist empfundenes Leid. Du kannst jemandem, der Leid empfindet, nicht einfach einreden, dass seine Maßstäbe falsch wären und es sich eigentlich um ein riesiges Glück handeln würde. Leid ist Leid. Deswegen ist auch klar, was der Maßstab ist. Der Maßstab ist die Empfindung desjenigen, der Leid empfindet.
Wenn die Empfindung kein Maßstab dafür wäre, ob es sich um Leid handelt, dann wäre das ganze Argument absurd.
Du versuchst nach meinem Verständnis, die Bedeutung von "Leid" so lange umzudefinieren und zu verwirren, bis es gar kein Leid mehr ist. Aber Menschen und Tiere leiden ja trotzdem. Ich sehe daher einen gewissen Zynismus in Deiner Argumentation.
In der neueren Diskussion halte ich auch das Argument von Noam Chomsky für beachtenswert, demzufolge dem Problem bereits kurz nach seinem Aufkommen noch im siebzehnten Jahrhundert die Grundlage entzogen wurde, nicht etwa weil das Geistige wegerklärt werden könnte, sondern im Gegenteil weil dem Begriff der Materie die Bestimmtheit genommen wurde.
Das war in der Tat einer der coolsten Bemerkungen, die mir in den letzten Jahren untergekommen ist, mir stand der Mund offen, der Standardlehrbuchauffassung in Philosophie entspricht es nicht, aber es ist knackig-trocken dargestellt
„Newton exorcised the machine, leaving the ghost intact“.