So sitze ich also auf dem Rad und Kilometer um Kilometer vergeht. Die einzige Abwechslung ist die Verpflegung (ich hab bestimmt zugenommen, soviel wie ich gegessen habe), die Verpflegungsstelle am Fühli (die macht richtig Spaß) und an der mich Bekannte anfeuern und natürlich die Alex, die mich nach wie vor anfeuert und der ich immer noch ein "Alles easy, alles gut." zurufen kann. So bei Kilometer 120 hab ich irgendwie an alles gedacht, was ich so denken hatte und denk dann einfach nix mehr. Rechte Hand am Auflieger, linker Ellenbogen auf'm Pad und mit der Hand den Kopf abstützend, radle ich so mit konstanter Geschwindigkeit um den Kurs.
Langdistanz auf so einer Strecke ist was für Autisten, hatte ich das schon gesagt? Ich freue mich zwischendurch sehr, als ich den Markus an der Verpflegung sehe, der extra aus Frankfurt gekommen ist. Auf der dritten Runde bin ich Mutterseelen allein auf weiter Flur, ein paar hundert Meter vor mir jemand, ein paar hundert Meter hinter mir jemand. Irgendwas fliegt mir
in den Helm und ich nutze die Gelegenheit, kurz anzuhalten. Als ich wieder anfahre hängt über ein paar Kilometer ein Kollege am Hinterrad. Wenn er meint, mir ist's egal, ich verlier beim Laufen sowieso alles, was ich jetzt gewinnen könnte. Was mir dann allerdings irgendwann auf den Nerv geht, ist das Klackern seines Freilaufs, wenn er die Füße hochnimmt. Zum Glück kommen zwei kleine Wellchen, über die ich kurz drüberdrücke, da ist er weg. Den Rest der Zeit verbringe ich damit, mich von den Helfern an der Strecke zu verabschieden und mich zu bedanken.
Die Blicke der nun entgegenkommenden schnellen MDler sind ob meiner Haltung ein bisschen irritiert, aber was soll's, ich bin eh schon deutlich schneller als mein Marschplan. Überhaupt die MDler. Ich bin ja das letzte Mal auf dem Weg
in die Stadt, habe meine restliche Verpflegung über Bord geworfen und nur noch eine Flasche Cola genommen und fahre
in Obenlenkerhaltung, damit ich mich ein bisschen lockern kann und Gelegenheit habe, die mir bekannten Gesichter rechtzeitig zu sehen und ihnen zuzurufen. Jesus,
in Fünfer-Reihe kommen sie mir im Peloton
in der Engstelle entgegen, voll mit sich selber beschäftigt. Pappnasen, das ist nicht wirklich witzig. Ich habe weder Lust, mich links
in ihren Lenker zu verfangen, noch rechts im Geländer hängenzubleiben. Lautes Brüllen schafft dann aber den entscheidenden Raum.
Nicht nur ich frage mich, ob ich auf den ersten drei Runden die Zieleinfahrt übersehen habe , denke mir aber dann, dass sie wohl nach den matten am Wendepunkt liegt. Und genau so ist es. Als ich die Deutzer Brücke hinuntergerollert komme, klatscht erst die allertollste Alex und ein paar Meter weiter
in der Kurve stehen meine Eltern. Haben sie es doch geschafft. Ich find die ja immer so süß begeistert: "Jung, Jung, prima!" *wildaufgeregtklatsch*.
Und tatsächlich steht hinter den Matten ein Helfer, der mich nach links
in die Wechselzone winkt. Ein paar Meter weiter nimmt mir ein anderer freundlicher junger Mann mein Rad ab und brüllt meine Nummer weiter. Ich dreh die also nach vorne und gehe weiter zur Beutelausgabe: Mir wird mein Beutel
in die Hand gedrückt und alles Gute gewünscht. Die Helfer machen heute wirklich einen großartigen Job.
Ab ins Wechselzelt. Eigentlich sind es zwei: Ein Frauen- und Männer-Zelt. Das Lustige ist, sie sind vorne offen und die Männer dürfen auf dem Weg zu ihrem am Frauen-Zelt vorbeilaufen. Ich weiß nicht, was die Mädelz gedacht haben, abe der ein oder andere Mann war ob dieser Anordnung sicherlich begeistert...
Auf die bereitstehende Bank gesetzt, die angebotenen Hilfe dankend abgelehnt, Radschuhe, Radhose und Helm aus, Laufschuhe an, restlichen Kram wieder
in den Beutel, und ab auf die Laufstrecke. Hier herrscht ein bisschen Trubel, so wie es aussieht, alles Freunde und Verwandte der Athleten.
Gaaaanz locker gehe ich auf die Laufstrecke und sehe schon nach ein paar hundert Metern die ersten bekannten Gesichter. Prima, dass auch sie es geschafft haben. Das freut mich besonders. Ich habe mein pinkfarbenes SSC Hochdahl Trikot für die erste Laufrunde erst mal angelassen, auch wenn es ein wenig am Hals scheuert. Mein Outfit sorgt für Begeisterung. Bei Frauen und Kindern. Die Männer scheinen da eher zwiegespalten zu sein. Wahrscheinlich halten sie mich für einen Kölner... :D
Dann bin ich schon auf dem Rheindeich und laufe zwischen den Bäumen Richtung Süden. Die Alex rollert auf ihren Rad neben mir her und fragt, wie's mir geht. Was soll ich sagen? Nach wie vor "Alles locker, alles easy." Nach und nach tröpfeln immer mehr Läufer an mir vorbei, die ersten bekannten Mitläufer tauchen auf, fragen, wie's mir geht, ermutigen mich. An den Verpflegungsstellen entscheide ich mich für Cola, Salzbrezel, Wasser Mix.
In ziemlich genau der Reihenfolge. Ich bin langsam genug , um im Laufen knabbern zu können.
Nach und nach kommen dann mehr Athleten, dann kommt die MD und es wird richtig voll. Ich werde abgeklatscht, ermuntert, angefeuert und mache genau das Gleiche mit den anderen. Das macht Spaß. Die Stimmung an den Verpflegungsständen ist prima, auch hier ganz großen Dank an die Helfer.
Die schnellen Leute fliegen förmlich an mir vorbei. Am hinteren Wendepunkt kommt es zu leichten Irritationen, weil der Wendepunkt der MD gleich an der Matte liegt und der der LD 20m dahinter. Da sind einige ganz schön sauer drüber. Aber die Mika Jungs organisieren irgendwo her eine Pappe und schreiben's drauf. Insgesamt ist's eine sehr nette Atmosphäre. Für den einzigen weiteren Verdruss sorgen Passanten, die nicht verstehen wollen, das sie irgendwie gerade mitten auf dem Weg ein bisschen fehl am Platze sind, egal ob zu Fuß, auf dem Rad oder Roller, mit dem Auto oder im 10m Wohnmobil.
Mein Trikot hab ich der Alex
in die Hand gedrückt, die Sonne scheint, auf den Rheinwiesen wird Fußball gespielt, ich trabe locker über den Kurs und bin dem lieben Gott einmal mehr dankbar, das ich morgens einfach so aufstehen kann und
in der Lage bin eine Langdistanz zu machen.
Dann stellen sich erste Verluste ein: Da wird gehumpelt, da wird gedehnt, da wird erbrochen, da wird aufgegeben. Ich habe fast ein schlechtes Gewissen, bei mir ist immer noch "Alles locker, alles easy." Mittlerweile sind auch meine anderen Vereinskollegen eingetroffen und feuern mich an. Klasse! Unterwegs höre ich meinen Spitznamen murmeln, rufen brüllen, höre, wie über mich geredet wird. Anscheinend beobachten mich mehr Leute, als ich denke.
Ab dem zweiten Drittel der dritten Runde wollen die Salzbrezeln nicht mehr. Mir schwant Böses, aber es hilft nichts, alleine bei dem Gedanken, sie zu schlucken, wird mir mulmig. Also lutsche ich drauf rum und spucke sie anschließend wieder aus. Von nun an gibt's dann nur noch Wasser und Eistee. Pfirsich! Igitt, ich hasse Pfirsich-Eistee, aber es hilft ja nix. Das muss jetzt runter.
Mittlerweile herrscht auf den weiter entfernten Laben akuter Becher-Notstand. Die Cleveren waschen die guten Gebrauchten aus und befüllen sie wieder, die anderen sind mit der Situation ein bisschen überfordert. Mal gucken, ob sie das Problem innerhalb der nächsten anderthalb Stunden gelöst bekommen.