Guten Morgen!
Nein, es muss heißen:
Was für ein unglaublicher, wunderschöner guter Morgen!
Wo fang' ich nur an?
Vielleicht gehe ich einfach chronologisch vor:
Als ich heute Morgen auf dem Weg zum Schwimmen mit der Vespa beim Liebsten los fuhr, sah ich wieder den alten Mann mit den Dackeln Gassi gehen. Ich kenne den schon ewig. Mein Dobermann Erik ist schon seit Jahren tot. Er wurde 11 Jahre alt. Als er ein Welpe war, traf ich immer schon diesen Mann, der damals auch schon ein älterer Herr war, also längst im Rentenalter. Um ihn herum tobte immer eine ganze Meute Rauhaardackel, ich glaube anfangs waren es acht kleine Hunde oder so. Er war einer der wenigen Hunde-Leute in der Gegend bei meinem Freund, der nie Schiss vor Erik hatte, auch als der ein prolliger Junghund oder dann erwachsen war. Es wurden dann im Laufe der Jahre immer weniger Dackel, er sagte mal, er würde ja nicht jünger und könne sich ja vielleicht irgendwann nicht mehr um die Hunde kümmern. Er läuft stets in so einem Jäger-Dress herum und hatte immer so einen Spazierstock, den er aber nicht als Stütze benutzte.
Als ich ihn heute Morgen sah, waren es noch zwei Dackel und er lief an zwei Krücken, aber er kam noch gut voran und ich habe mich gefreut, dass ich ihn immer noch oft sehe und dass es ihm gut geht.
Dann zum ersten Mal seit Monaten im Rentnerbad. Und heute - welch ein Zufall - hat "die Qualle" Geburtstag! Leser der ersten Stunde dieses Blogs erinnern sich sicher an den alten Herrn, dessen Namen ich nicht kenne, der jeden Tag ins Schwimmbad gehumpelt kommt und dort 200 oder 250 m schwimmt (ich weiß nicht mehr, ob ich vier oder fünf Bahnen schwimme, in der Zeit, in der er eine schwimmt. Jedenfalls ist er fertig, wenn ich einen Kilometer geschwommen bin) und eigentlich nicht schwimmt, sondern durchs Wasser treibt und seine dürren Beine dabei tentakelartig ins Wasser stößt, senkrecht nach unten.
Im letzten oder vorletzten Jahr hatte er die Hüfte gebrochen (ich schrieb hier fälschlicherweise, dass es der Oberschenkelhals war und ich glaube, ich habe mich damals auch mit dem Alter vertan, er hat das heute alles richtig gestellt) und wir dachten alle, dass es das jetzt war für ihn mit der Schwimmerei. Er dachte das auch, aber es kam anders.
Ich habe ihm vorhin gratuliert und ein wenig mit ihm geplaudert. Er erzählte: "Heute vor 70 Jahren lag ich im Lazarett in Russland. Ich war zum dritten Mal im Krieg verletzt, zum ersten Mal nicht so schwer. Bei den ersten beiden Malen hatten mir die Russen beide Beine durchschossen." Ich fragte ihn, wann er denn aus dem Krieg zurück gekehrt sei: "Es ist eine komplizierte Geschichte. Jedenfalls kam ich irgendwann auch noch in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Ich war dann in einem Lager in Cherbourg, ein Lager für deutsche Kriegsgefangene, die keine Nazis waren. Ich war ja nie in der Hitlerjugend oder so! Das war eine richtige Akademie, da habe ich viel gelernt. Und dann, am 1. Oktober 1945 wurde ich entlassen. Ich kam dann mit dem Zug am Bahnhof in Altenessen an. Ich wusste nicht mal, ob mein Elternhaus noch steht, ob meine Eltern noch leben. Ich komme aus Gladbeck. Vor dem Bahnhof stand ein Pferdegepann. Ich hatte kein Geld, aber von den Amerikanern noch eine Packung Chesterfield Zigaretten. Die waren mehr wert als Geld und ich bin mit dem Pferdewagen nach Gladbeck gefahren worden. Mein Elternhaus stand noch. Mein Vater war während meiner Abwesenheit gestorben. Meine Mutter lebte noch."
Dann sprach er über heute: "Wer schwimmt schon noch mit 95 Jahren? Ich schwimme fünfmal in der Woche! Ich komme seit über 30 Jahren jeden Tag hierher. Im letzten Jahr hatte ich die Hüfte gebrochen. Aus dem Krankenhaus habe ich schon mit Altenheimen telefoniert. Aber der Chefarzt hat gesagt: 'Sie gehen nicht ins Altenheim, Sie gehen in Ihr Wohnung zurück!' Ich habe ja eine wunderschöne Wohnung mit einem tollen Blick über ganz Essen. Die ist im sechsten Stock. Fünf Etagen kann ich mit dem Fahrstuhl fahren, die letzte muss ich zu Fuß gehen."
Ob er heute noch feiert, fragte ich ihn: "Ja, ein wenig. Meine Schwester lebt ja auch noch. Sie ist 93 Jahre alt. Und ja, sie ist auch noch gesund. Sie kommt mich nachher besuchen."
Dann ging er: "Danke für Ihre guten Wünsche!"
Beim Rausgehen sah ich noch, dass viele andere Gäste ihm gratulierten. Alle wussten, dass er Geburtstag hat, bzw. sahen es, weil andere ihm gratulierten. Er hatte auch Geschenke bekommen. Nächstes Jahr werde ich ihm auf jeden Fal auch eines mitbringen. Mit der Bademeisterin Conny sprach ich darüber, dass er vielleicht nicht mehr schwimmen kommen kann, wenn in zwei Jahren das Hauptbad zu macht und das neue Bad an einer anderen Stelle gebaut wird. Das bestätigte sie, denn er mache auch jetzt schon nur noch zu Fuß seine Wege, er wohnt ja ganz in der Nähe des Bades. Vielleicht habe ich in zwei Jahren ja ein Auto und kann ihn dann morgens manchmal zum Schwimmen abholen und wieder nach Hause bringen... Wenn er dann noch schwimmt, was ich hoffe!
Wer von uns wird wohl mit 95 Jahren noch schwimmen? Und wird es dann überhaupt noch Schwimmbäder geben? Oder sind die Städte dann so pleite, dass es keine Bäder mehr gibt? Oder haben wir die Welt dann eh schon ganz zu Grunde gelebt und kennen ein Leben mit Schwimmbädern nur noch aus alten Erinnerungen?
Als ich dann in der Umkleide war, schaute ich gleich aufs Handy, denn gestern ist meine liebste Inga nach einer Untersuchung gleich im Klinikum geblieben, weil's mit der Geburt ihres zweiten Kindes los ging. Ich dachte, wie super es wäre, wenn ihr Sohn heute geboren würde, an so einem schönen Datum, dem 13.09.13 und am selben Tag wie "die Qualle". Ich schrieb eine SMS und als ich eben in der Klinik ankam, rief sie an: Nils ist heute Nacht um 0:23 Uhr geboren, hurra!
Ich freue mich so! Hoffentlich steht ihm ein glückliches Leben bevor und hoffentlich wird er ein guter Schwimmer, der mit 95 Jahren noch schwimmt. Möglichst ohne sich an Kriegsgefangenshaften erinnern zu müssen oder an den Tod eines Elternteiles während seiner Abwesenheit.
So, jetzt mal schnell arbeiten, damit ich früh weg kann, um Inga im Krankenhaus zu besuchen.
Euch einen schönen Tag und ein schönes Wochenende!
Viele Grüße
J.