Daß die Ansicht, der religiöse Glaube bedeute „eine Sache für wahr halten“ (im Sinne von empirischer Tatsachenwahrheit) etymologisch unhaltbar ist, habe ich vorher schon versucht darzulegen. Genau diese Ansicht ist es aber, die Du mit dem Aberglauben teilst, den Du meines Erachtens zwar völlig zu recht bekämpfst, nicht aber ohne Weiteres allen, die mit Religion etwas anfangen können, unterstellen kannst.
Entschuldigung, das habe ich mir nicht selbst ausgedacht. Die doppelte Bedeutung des Wortes "glauben" als
- hoffen
- etwas für wahr halten
habe ich letztlich aus einem Buch von Prof. Uta Ranke-Heinemann, die gerade im Bereich der Etymologie, also der Wortherkunft, von vielen Ernst genommen wird. Diese Quelle kannst Du nicht mit einem Aberglauben gleichsetzen. Es steht ganz im Gegenteil das Bemühen um Wahrheit dahinter.
Davon abgesehen, ist die Bedeutung des Wortes "glauben" nicht nur in der genauen Form maßgeblich, wie Jesus das Wort benutzt hat. Jesus sprach aramäisch, und in dieser Sprache hatte das Wort "glauben" diese beiden Bedeutungen. Jesus ist aber nicht der Einzige, der in der Bibel vom Glauben spricht. Daher ist auch nicht nur der aramäische Wortstamm relevant.
Glauben hat in den Köpfen wie im Verhalten der Gläubigen ganz klar die Bedeutung, eine Sache für wahr zu halten. Vielleicht nicht in einer deutschen oder österreichischen Universität. Geh aber mal auf die Straße, in die Kirchen Europas, oder irgendwohin in den Vereinigten Staaten. Dort interessiert man sich wenig für die Frage, ob es sich beim Glauben um ein logisch geschlossenes System handelt. Sondern ob er wahr ist. Gegen Nichtgläubige verteidigen sie die Wahrheit ihres Glaubens und nicht dessen widerspruchsfreie Definitionen. Wenn Du sie heute davon überzeugst, dass Jesus nicht wirklich der Sohn Gottes war, kommen sie morgen nicht mehr in die Kirche.
...
Glauben hat in den Köpfen wie im Verhalten der Gläubigen ganz klar die Bedeutung, eine Sache für wahr zu halten....
Gut, das sei Dir alles zugestanden. Mit einem Wort kommen wir nicht weit.
Ich bin der Ansicht, daß die Religion (damals und heute) eine eigene Sprache spricht, insofern sie philosophische Begriffe wie Wahrheit, Glauben, Wissen, Wirklichkeit, usw. systematisch anders verwendet, als wir es heute außerhalb der Religion tun. Man kann diese Sprache auch unabhängig vom spezifisch Religiösen verstehen lernen, wenn man sich z.B. mit der antiken und/oder mittelalterlichen Philosophie befaßt. (Nicht umsonst spricht man von einer platonisch-christlichen Tradition.)
Wenn ich die Religion von außen beschreibe, verwende ich die Begriffe unserer gewöhnlichen außerreligiösen Sprache. Wenn wir auf Selbstbeschreibungen von innerhalb der Religion treffen, ist eine ständige Übersetzungsarbeit nötig.
Wenn ich die Religion von außen beschreibe, verwende ich die Begriffe unserer gewöhnlichen außerreligiösen Sprache. Wenn wir auf Selbstbeschreibungen von innerhalb der Religion treffen, ist eine ständige Übersetzungsarbeit nötig.
Nein, denn Religion benutzt die gleiche Sprache wie sie im Alltag zur Zeit der Autoren üblich war. Genauso wie Märchen und Legenden aus dieser Zeit die damals übliche Alltagssprache verwendeten.
Der Versuch, der Religion eine eigene Sprache zuzuschreiben, ergibt sich nur aus dem Wunsch, sie von Widersprüchen freizusprechen.
"Gott ist der Schöpfer der Welt" ist genauso konkret und unkronkret, wie es den Autoren erwünscht war. Es beschreibt, was sie beschreiben wollten; und lässt offen, was sie offen lassen wollten. Die Menschen jeder Epoche haben gut verstanden, was damit gemeint war, und vor allem, welche Auswirkungen sich dadurch auf ihr Leben ergab (etwa Gebote oder Opfer).
Gerade die unzähligen Gebote in den Moses-Büchern waren Gesetzestexte, zu einer Zeit, als religiöse und gesellschaftliche Macht noch vereint sein sollte und sich gegenseitig legitimierte. Es war überhaupt nicht das Interesse der Autoren, einen unverständlichen Text zu verfassen, den man hätte "übersetzen" müssen, sondern sie wollten im Gegenteil so klar wie möglich verstanden werden.
Im 3. Buch Mose (das wichtigste der jüdischen Tradition) steht wörtlich drin (mit Namen), wer der Anführer ist, wer welchen Teil der Opfergaben bekommt, welche Familie (mit Namen) welche Ämter bekleidet, wer Priester sein soll (mit Namen), wer die Steuern erhebt (mit Namen). Das muss nicht (und soll nicht) "übersetzt" werden.
Der Priester lasse das Fett auf dem Altar in Rauch aufgehen, die Brust aber gehört Aaron und seinen Söhnen.
Dem Henoch wurde Irad geboren; Irad zeugte Mehujaël, Mehujaël zeugte Metuschaël und Metuschaël zeugte Lamech. 19 Lamech nahm sich zwei Frauen; die eine hieß Ada, die andere Zilla. 20 Ada gebar Jabal. 21 Sein Bruder hieß Jubal. 22 Auch Zilla gebar, und zwar Tubal-Kajin. Die Schwester Tubal-Kajins war Naama.
Wer Banknoten nachmacht oder verfälscht, oder nachgemachte oder verfälschte sich verschafft und in Verkehr bringt, wird mit Zuchthaus nicht unter zwei Jahren bestraft.
Nein, denn Religion benutzt die gleiche Sprache ...
Da sind wir unterschiedlicher Meinung. Ich sprach von philosophischen Begriffen wie Wahrheit, Glauben, Wissen, Wirklichkeit, usw. Was wissen wir überhaupt darüber, wie diese damals im Alltag gebraucht wurden?
Das Problem mit der unterschiedlichen Verwendung philosophischer Begriffe besteht auch heute z.B. zwischen Alltag und Wissenschaft.
Das ergibt sich aus dem Adressaten (dem Volk) und dem Zweck (der Durchsetzung von Regeln). Es würde dem Zweck der Bibel zuwider laufen, wenn das Volk nicht imstande wäre, die Regeln zu verstehen. Deswegen musste die Bibel verständlich abgefasst werden.
Dazu gehören auch Fabeln und eine bildhafte Sprache, eben DAMIT die Dinge verständlich wurden. Beispielsweise wurden Plagen und Krankheiten plastisch dargestellt, mit Feuer und Schwefel. Akademiker hätten das nicht gebraucht. Aber weil man es verständlich machen wollte für den einfachen Ziegenbauern, wurde die Bibel auf diese Weise formuliert.
Natürlich kann Philosophie usw. eigene Begrifflichkeiten und Deutungen verwenden. Ich sehe nur keinen Beweis dafür, dass es bei der Bibel der Fall ist. Ich würde der Bibel auch nicht den Rang einer "Philosophie" zugestehen. Das ist womöglich beim später entstandenen Katholizismus der Fall, aber nicht zu der Zeit, als die Bibel geschrieben wurde.
Die Bibel hat auch nicht das Niveau der antiken griechischen Philosophie, mit deren komplizierten, abstrakten Definitionen und Konstrukten. Bei dieser Art von Philosophie unterstütze ich Deine Sichtweise. Ich finde dieses Niveau aber nicht in der Bibel (außer vielleicht im Buch "Hiob", welches aber kaum eine Rolle spielt).
Ich sehe auch keine Logik oder "in sich geschlossene logische Bezugsräume" in der Bibel. Sondern es sind krude Prophezeiungen, Chroniken (Stammbäume), Mythen und Opfergebote. Alles mehr oder weniger zusammenhanglos. Von "Logik" keine Spur.
Ich vermute, Du überträgst Kriterien für z.B. die griechische Philosophie usw. auf die Bibel oder generell alle Religionen. Es ist dieser Punkt, in dem ich Dir nicht folgen kann.
Ich glaube, wir reden hier aneinander vorbei. Es kommt darauf an, was die Verfasser und die Adressaten unter Wahrheit, Glauben, Wissen, Wirklichkeit, usw. verstanden haben, ob sie dies unreflektiert oder reflektiert taten ist nicht wichtig.
Ich glaube, wir reden hier aneinander vorbei. Es kommt darauf an, was die Verfasser und die Adressaten unter Wahrheit, Glauben, Wissen, Wirklichkeit, usw. verstanden haben, ob sie dies unreflektiert oder reflektiert taten ist nicht wichtig.
Die Verfasser verstanden unter "Wahrheit, Glauben, Wissen, Wirklichkeit" das gleiche wie die Adressaten. Es musste also nicht zwischen Verfasser und Adressat übersetzt werden.
Bleibt noch die Frage, ob es sich die Bedeutungen seitdem rein zeitbedingt gewandelt haben und deswegen eine Übersetzung für uns heute nötig ist. Das ist der Fall, und wir verstehen diesen Wandel, weil wir seit 2.000 Jahren die Schriften aus jedem einzelnen Jahr haben und deswegen diesen Wandel nachvollziehen können.
Wir wissen sehr genau, wie die ersten Christen sich das "Himmelreich" vorgestellt haben (nämlich ganz anders, als wir es heute tun). In diesem Fall muss übersetzt werden; aber wir wissen exakt, wie die Übersetzung aussieht und welche Konsequenzen sich daraus ergeben.
Genau diese Bedeutungs-Unterschiede, die sich einfach durch die Zeit ergeben haben, sind bestens bekannt. Es gibt einen Haufen Bücher dazu. Es ist kein Geheimnis.
Wir wissen es beim Christentum sogar ganz besonders gut, denn das Christentum entstand durch Synkretismus, also durch Einflüsse aus den umliegenden Völkern und deren Religionen, Schritt für Schritt, Jahr um Jahr, sodass wir im Detail nachvollziehen können, welche Bedeutung sich hinter welchen Worten verbarg. Man kann das sogar aufmalen wie einen Stammbaum. Man weiß daher, was mit "Himmel" und "Hölle" und "Gottesreich" und "Sünde" gemeint war.
Nicht der Fall ist, dass die Bibel eine Art "Begriffswelt" definiert hat, wie etwa die Griechen, wenn diese vom "Wesen" eines Gegenstands sprachen oder vom "Atom". Diese intellektuelle Höhe ist in der Bibel nicht zu finden.
Das ergibt sich aus dem Adressaten (dem Volk) und dem Zweck (der Durchsetzung von Regeln). Es würde dem Zweck der Bibel zuwider laufen, wenn das Volk nicht imstande wäre, die Regeln zu verstehen. Deswegen musste die Bibel verständlich abgefasst werden.
...
Ich dachte, es war ein Missverständnis, dass es (auch) um Durchsetzung von (System-) Regeln geht?