Mir sind die Schwierigkeiten dieses Begriffes bewusst. Vielleicht kann man eine genauere Definition zunächst weglassen, da lediglich zwei Religionen miteinander verglichen werden sollen. Es genügt also ein sehr weit gefasster Wahrheitsbegriff, sofern wir ihn auf beide Religionen gleichermaßen anwenden.
Ich suche ein Kriterium, das es gestattet, Glaube A für wahr zu halten und Glaube B für unwahr, oder zumindest für weniger wahr.
1. Ist der christliche Glaube glaubwürdiger als der anderer Religionen?
Ich interessiere mich dabei vor allem für religiöse Argumente, weniger für wissenschaftliche. Gibt es beispielsweise Argumente dafür, warum Moses und Jesus mit ihren Aussagen näher an der Wahrheit seien als Mohammed? Mit welchem Kriterium ließe sich das entscheiden?
Er nimmt eine Positionsbestimmung des Christentums in der Neuzeit vor. Am Anfang bringt er ein Bild, wonach die verschiedenen monotheistischen Religionen unterschiedliche Teile einen götttlichen Ganzen reflektieren:
"Der Streit der Religionen erscheint den Menschen von heute wie dieser Streit der Blindgeborenen. Denn blind geboren sind wir den Geheimnissen des Göttlichen gegenüber, so scheint es. Das Christentum befindet sich für das heutige Denken keineswegs in einer positiveren Perspektive als die anderen – Gegenteil: Mit seinem Wahrheitsanspruch scheint besonders blind zu sein gegenüber der Grenze all unserer Erkenntnis des Göttlichen, durch einen besonders törichten Fanatismus gekennzeichnet, der das in eigener Erfahrung betastete Stück unbelehrbar für das Ganze erklärt."
Er setzt sich dann unter anderem kenntnisreich mit der historischen Entwicklung der Wahrheit der Wissenschaften auseinander und bestimmt ihnen gegenüber die Wahrheit ("religio vera") und den Ethos des Christentums. Er schliesst mit:
"Tatsächlich muß jede Erklärung des Wirklichen ungenügend bleiben, die nicht auch ein Ethos sinnvoll und einsichtig begründen kann. Nun hat in der Tat die Evolutionstheorie, wo sie sich zur philosophia universalis auszuweiten anschickt, auch das Ethos evolutionär neu zu begründen versucht. Aber dieses evolutionäre Ethos, das seinen Schlüsselbegriff unausweichlich im Modell der Selektion, also im Kampf ums Überleben, im Sieg des Stärkeren, in der erfolgreichen Anpassung findet, hat wenig Tröstliches zu bieten. Auch wo man es auf mancherlei Weise zu verschönern strebt, bleibt es letztlich ein grausames Ethos. Das Bemühen, aus dem an sich Vernunftlosen das Vernünftige zu destillieren, scheitert hier recht augenfällig. Zu einer Ethik des universalen Friedens, der praktischen Nächstenliebe und der nötigen Überwindung des Eigenen, die wir brauchen, ist dies alles wenig tauglich.
Der Versuch, in dieser Krise der Menschheit dem Begriff des Christentums als religio vera wieder einen einsichtigen Sinn zu geben, muß sozusagen auf Orthopraxie und Orthodoxie gleichermaßen setzen. Sein Inhalt wird heute – letztlich wie damals – im Tiefsten darin bestehen müssen, daß Liebe und Vernunft als die eigentlichen Grundpfeiler des Wirklichen zusammenfallen: Die wahre Vernunft ist die Liebe, und die Liebe ist die wahre Vernunft. In ihrer Einheit sind sie der wahre Grund und das Ziel alles Wirklichen."
Er stellt damit einer darwinistisch verstandenen Gesellschaftsauffassung (IMHO kritikwürdige Ausdehnung der biologischen Evolutionstheorie auf die soziale Evolution des Menschen), welche die Menschheit in die Krise geführt habe, die Liebe und die wahre Vernunft als Grundpfeiler des Christentums gegenüber. Ausserhalb des Glaubens (der Spiritualität) an die Liebe und Vernunft scheint es kein Kriterium für ein "religio vera" zu geben.
Er nimmt eine Positionsbestimmung des Christentums in der Neuzeit vor. Am Anfang bringt er ein Bild, wonach die verschiedenen monotheistischen Religionen unterschiedliche Teile einen götttlichen Ganzen reflektieren...
Dass hier Papst Benedikt tatsächlich von dem ein oder anderen User gelesen wird, überrascht mich wirklich positiv.
Vielleicht ein Hinweis noch zu der Bezeichnung "ehemaliger Papst": Papst Benedikt ist emeritiert. Ist aber net wirklich ausschlaggebend.
Aus meiner laienhaften Sicht stellt sich die Frage: Warum nicht?
Dabei will ich weder für den Mono-, noch für den Polytheismus Partei ergreifen. Ich interessiere mich für das Kriterium, nach dem Du das entscheidest.
Ich bin in einer Welt großgeworden ,in dem das System geglaubt hat, die einzige Wahrheit zu kennen. Dadurch habe ich von klein auf gelernt, daß jeder Versuch, DIE WAHRHEIT für alle festzulegen, zu autoritären, diktatorischen, dogmatischen und im Endeffekt nicht lebenswerten Systemen führt. Ob es dabei um Islam, Kommunismus oder Vegetariertum geht - es mag für einen oder anderen die richtige Wahl sein, aber nie für alle und für immer gültig. Religionen lassen sich nicht wie Physik, die Gravitationsgesetze oder der erste Satz der Thermodynamik betrachten, ihre Aussagen sind nicht wissenschaftlich überprüfbar oder widerlegbar.
Trithos, Dein Zitat drückt mein Verständnis perfekt aus:
Zitat:
Zitat von trithos
...Vertraue denen, die die Wahrheit suchen. Aber hüte Dich vor denen, die sie gefunden haben!
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“If everything's under control, you're going too slow.” (Mario Andretti)
... Ausserhalb des Glaubens (der Spiritualität) an die Liebe und Vernunft scheint es kein Kriterium für ein "religio vera" zu geben.
Ähnliche Texte von Ratzinger habe ich auch mal gelesen; der Tenor lief für mich damals darauf hinaus, daß ohne religiösen Glauben gar keine Moral oder moralisches Verhalten möglich sein soll. Als vollkommen nicht-religiöser Mensch fühle ich mich dadurch schon etwas angegriffen: implizit unterstellt mir diese Behauptung, daß ich gar nicht in der Lage bin, moralisch richtige Entscheidungen zu treffen. Dabei bin ich sicher, daß es auch andere Wege als Religion gibt, Moral, Anstand, positive Werte zu lernen und zu erhalten.
Damit ist Ratzinger für mich ein Beispiel für Einen, der die Wahrheit gefunden zu haben glaubt, statt danach zu suchen (s. oben).
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“If everything's under control, you're going too slow.” (Mario Andretti)
Ähnliche Texte von Ratzinger habe ich auch mal gelesen; ...
Damit ist Ratzinger für mich ein Beispiel für Einen, der die Wahrheit gefunden zu haben glaubt, statt danach zu suchen (s. oben).
Darf ich Dich fragen, welche seiner Schriften Du gelesen hast, die Dich zu diesem finalen Entschluss gebracht haben?
"Tatsächlich muß jede Erklärung des Wirklichen ungenügend bleiben, die nicht auch ein Ethos sinnvoll und einsichtig begründen kann. Nun hat in der Tat die Evolutionstheorie, wo sie sich zur philosophia universalis auszuweiten anschickt, auch das Ethos evolutionär neu zu begründen versucht. Aber dieses evolutionäre Ethos, das seinen Schlüsselbegriff unausweichlich im Modell der Selektion, also im Kampf ums Überleben, im Sieg des Stärkeren, in der erfolgreichen Anpassung findet, hat wenig Tröstliches zu bieten. Auch wo man es auf mancherlei Weise zu verschönern strebt, bleibt es letztlich ein grausames Ethos. Das Bemühen, aus dem an sich Vernunftlosen das Vernünftige zu destillieren, scheitert hier recht augenfällig."
Danke qbz für Deine Erläuterungen. Ich habe sie jetzt mehrfach gelesen, und auch in dem Link gestöbert. Ich hatte ja um eine religiöse Antwort gebeten. Der Papst hat seine Antwort aus realen Tatsachen abgeleitet, nämlich aus dem Mechanismus der Evolution. Daher ist sie nur zum Teil religiös.
Wenn ich ganz ehrlich sein darf, ohne jemanden verletzen zu wollen: Ich bin wirklich erschüttert über den laienhaften Unsinn, den er da verzapft. So oder schlimmer muss es für ihn klingen, wenn ich laut über Religion und Glauben nachdenke. Ratzingers Verständnis vom Wirken der Evolution reicht nicht an ein naturwissenschaftliches Abitur heran. Hat er keine Berater, die ihm da in den Arm fallen, bevor so etwas veröffentlicht?
Ich kann gerne die drei wichtigsten Irrtümer des zitierten Absatzes erläutern. Allerdings sind wird dann auf der Ebene der Wissenschaft. Eigentlich wollte ich etwas über eine rein religiöse Antwort erfahren auf die Frage, wie eine Religion ihren Wahrheitsanspruch gegenüber anderen Religionen rechtfertigt.