Klugschnacker und Jörn haben sogar mir den Gott gebracht. Ich kannte Gott kürzlich auch noch nicht. Jetzt bildet sich Gott aber immer präziser ab.
Immerhin verstehe ich nun die Menschen, die Gott an ihrer Seite schätzen.
Wenn man sich den vielen bohrenden Fragen hingibt, kommt man vielleicht dahinter. Sofern der Balken davor überwunden werden kann.
Ich bin im übrigen sicher, ein anderes Bild von Gott zu haben, wie es beispielsweise Keko hat. Kann mir aber vorstellen, das wir beide der Ansicht sind, denselben Gott zu erkennen.
Ich hatte Dich gefragt: "Was genau ist es, was Dich dazu veranlasst, der Kirche in bestimmten Dingen zu folgen, in anderen jedoch nicht?"
Du antwortest darauf: "Ich glaube an eine "höhere Instanz" in einer Form, die mir wahrscheinlich nicht zugänglich ist. Ich nenne sie/es einfach Gott."
Deine Antwort hat nichts mit den Kirchen zu tun, denn die Kirchen lehnen Deinen Gottesbegriff ausdrücklich ab. Dein Gottesbegriff ist das Gegenteil dessen, was die Kirchen verkünden.
Warum ist es das Gegenteil? Du sagst: Dieser Gott ist nicht zugänglich. Die Kirche sagt: Dieser Gott ist so zugänglich, dass er sogar in Menschengestalt in Palästina herumlief und sich mit den Leuten unterhielt.
Es leuchtet mir daher nicht ein, warum Du den Kirchen folgst.
Aber meine Frage war noch etwas präziser gestellt. Ich wollte gerne wissen, warum Du der Kirche in manchen Dingen folgst, in anderen Dingen jedoch nicht? Was ist das Kriterium?
Ich versuch's mal mit etwas Küchenpsychologie. Vorab gebe ich gerne zu, dass meine Expertise auf diesem Gebiet gering ist und ich vermutlich falsch liege. Es ist auch nicht persönlich gemeint; von mir aus können wir den folgenden Text gerne auf eine allgemeine Ebene heben. Aber ich dachte mir, vielleicht ist es netter, wenn ich Dich direkt anspreche. (Wie man's macht ist es verkehrt.)
Nach meiner Ansicht haben wir es hier mit einer kognitiven Dissonanz zu tun, bzw. dem Versuch des Gehirns, diese zu vermeiden. Die Dissonanz besteht darin, dass Du der Verkündigung der Kirchen offensichtlich nicht folgst (weder in Deinem Leben, noch in Deinen Gedanken); andererseits kannst Du die Kirchen aber nicht einfach abschütteln, denn dafür sitzen die Kindheitserfahrungen mit dem Rotwein-Pfarrer zu tief.
Die Kirche hat in dieser Kindheitsphase bestimmte Begriffe und Werte monopolisiert. Freude, Trauer, Mitgefühl, Barmherzigkeit, Gerechtigkeit: All dies sind Werte, die dem Menschen von Gott und durch die Verkündigung gegeben werden. Nicht umsonst werden Atheisten als kalt und gefühllos angenommen, weil sich die Gläubigen das gar nicht anders vorstellen können.
Auch ethische Grundwerte ("vertrag' Dich mit Deinen Mitmenschen und sei kein Idiot") wurden als göttlich glorifiziert, obwohl sie völlig banal sind und in jedem Urwald-Dorf anzutreffen sind.
Nun kommt man als Erwachsener nicht umhin, sich eigene Gedanken über das Leben zu machen. Diese Gedanken stellen einen Konflikt mit der zuvor beschriebenen Verkündigung dar: Entweder, weil sie sich inhaltlich widersprechen (denn glaubst etwas anderes als die Kirchen), oder weil sich sich beim Ursprung widersprechen (denn Du bist nicht Gott).
Um diese Dissonanz aufzulösen, bringt das Gehirn nun beides zur Deckung: Deine ureigenen Gedanken sind plötzlich eine göttliche Eingebung (angeblich durch Beten, Meditation oder sonstige Einsichten). Und Deinen erfundenen Quanten-Gott nennst Du einfach Gott. Zitat von Dir: "Ich nenne sie/es einfach Gott."
Es geht noch einen Schritt weiter. Es muss noch eine Abgrenzung zu den bösen Atheisten her. Denn Dein Gehirn ahnt, dass inhaltlich überhaupt kein Unterschied besteht: Du hast den Glauben der Kirchen nämlich ebenso verlassen wie die Atheisten. Aber zusätzlich hast Du die Lehre der Kirche und das Vertrauen Deines Rotwein-Pfarrers verraten. Und das lastet als schwere Schuld auf Dir. Denn keine Schuld ist größer als der Abfall vom Glauben, und zudem wäre der Rotwein-Pfarrer persönlich enttäuscht von Dir.
Das Gehirn löst dieses Dilemma, indem es die Atheisten kurzerhand als (Zitat) "fremd und akademisch-leer" einordnet. Es ist wichtig, dass es Dir "fremd" ist. Du suchst den Abstand. Dein theoretischer Quanten-Gott ist zwar der Gipfel des Fremden und des "Akademisch-Leeren". Aber Du brauchst einen großen Abstand zu den Ungläubigen. Deswegen redest Du Dir ein, Du seist nach wie vor gläubig. Das tilgt Deine Schuld, vom Glauben abgefallen zu sein, und das schafft den nötigen Abstand zu den bösen Atheisten. Es ist Dir egal, was geglaubt wird; Hauptsache, es wird geglaubt. Den Inhalt Deines Glaubens gestaltest Du absichtlich so nebulös und unerreichbar, dass er Dir nicht in die Quere kommt und stets unangreifbar bleibt. Das ist die sichere Bank.
Dieses Zur-Deckung-Bringen geht noch weiter. Deine natürlichen Gefühle (Liebe, Mitleid, Freude, Barmherzigkeit) schiebst Du Gott zu. Deine moralischen Grundsätze, die jeder vernünftiger Mensch sowieso entdeckt, kommen ebenfalls von Gott. Du hast als Kind gelernt, dass alles Gute und Menschliche von Gott kommt, und so rekonstruierst Du Deine vernünftigen Überzeugungen, als kämen sie nicht von Deiner Vernunft, sondern von Gott. Das stellt die verloren gegangene Verbindung zu Gott wieder her.
Es korrigiert die Dissonanz in Deinen widersprüchlichen Auffassungen, und Du kannst Dich weiterhin als "Kind Gottes" fühlen, denn Gott spricht mit Dir in Deinen Gedanken und Auffassungen. Der Widerspruch löst sich auf. Du spürst Frieden. Was Du wiederum als Beweis wertest, dass alles in Ordnung ist.
Wenn nun jemand in einer Debatte an dieser heikeln Balance rüttelt, wird Deine Antwort am Ende immer sein: "Ach, so genau will ich das gar nicht wissen" oder "Ach, das ist mir eigentlich egal". Du beschützt die sichere Bank, den geschlossenen Tresor.
Es leuchtet mir daher nicht ein, warum Du den Kirchen folgst.
Aber meine Frage war noch etwas präziser gestellt. Ich wollte gerne wissen, warum Du der Kirche in manchen Dingen folgst, in anderen Dingen jedoch nicht? Was ist das Kriterium?
Hätte ich einen besseren spirituellen Zugang würde ich mir das rausnehmen, was mir gut passt, und den Rest im Regal liegen lassen. So mache ich es ja auch im Supermarkt - ok, ist schon eine verwerflich oberflächliche Konsumentenhaltung.
Wenn ich mich bei der Vielfalt der Angebote für den Apfel X entscheide, dann hab ich ja auch kein klares Kriterium für Dich parat, außer halt: Auf genau diesen Apfel habe ich jetzt Bock!
Nun wirst du wieder argumentieren, so geht das nicht. Es gibt nur diesen einen Apfel, den die Kirche / die Bibel / der Dorfpfarrer / der Glaube uns anbietet. Und den kann man nehmen, oder es sein lassen. Flow ist auf dieses simple Denkmuster von Dir ja bereits eingegangen.....