Interessante Einstellung.
Würdest du dann auch behaupten, dass ein Salafist, welcher auf Einhaltung der Scharia aus Überzeugung besteht, moralischer handelt als ein gemäßigter Moslem?
Ja, wenn sie beide die Gesetze der Scharia tolerieren, handelt der eine aus Überzeugung und der andere aus Gleichgültigkeit. Wer als gläubiger Muslim nach der Scharia handelt, tut aus seiner Sicht etwas Gutes und handelt zweifellos in guter Absicht. Das kann der gemäßigte Muslim, der ohne diese Überzeugung ebenfalls die Scharia unterstützt, nicht im gleichen Maß für sich in Anspruch nehmen.
Bei einer moralischen Bewertung geht es meiner Meinung nach weniger um die Tat und ihr Ergebnis, als um das Motiv. Beispiel: Zwei Menschen töten jeweils einen Menschen. Der eine handelt aus Habgier, der andere um sein Kind vor einem Angreifer zu schützen. Die Tat und ihr Ergebnis sind gleich, aber ihre Motive sind verschieden. Unsere moralische Bewertung richtet sich nach den Motiven.
Wer aus tiefer religiöser Überzeugung fordert, einem Menschen müsse zur Strafe die Hand amputiert werden, kann durchaus gute Motive haben, zum Beispiel die Welt nach dem Willen Gottes besser zu machen. Ein anderer hält diese Strafen zwar keineswegs für von Gott legitimiert, findet aber am Glauben hin und wieder etwas Tröstliches. Darum unterlässt er es, religiöse Praktiken anderer zu kritisieren. Vielmehr verteidigt er sie möglicherweise gegenüber humanistisch eingestellten Menschen. Aus meiner Sicht, die freilich falsch sein kann, handelt der stark Gläubige in diesem fiktiven Beispiel moralischer als der "Halbgläubige".
Zitat:
Zitat von Rälph
Aktuelles Beispiel aus meinem Bekanntenkreis: Ein befreundetes Paar hat vor wenigen Tagen einen der beiden neugeborenen Zwillinge verloren. Sie sind schwer getroffen und in tiefer Trauer.
Man kann diese Leute sicherlich als gemäßigte Christen ansehen. Nun suchen sie Trost und Erklärung im Glauben. Wer will das ihnen zum Vorwurf machen? Handeln sie jetzt unmoralisch?
Nein, das sagt doch niemand. Es liegt ja gar keine Handlung gegenüber Dritten vor.
Ob der Glaube an bestimmte Götter für manche Menschen oder Gruppen angenehm und nützlich ist, interessiert mich nicht sonderlich. Mir geht es darum, ob er wahr ist. Das ist für mich die entscheidende Frage.
Da es sich beim Gott-/Götterglauben um Glaubens- und keine Wissensmodelle handelt, lassen sie sich meinen Augen auch nicht auf ihre Wahrheit / Falschheit überprüfen.
Zitat:
Zitat von Klugschnacker
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Mir erscheint damit die Haltung vieler "gemäßigter" Christen unmoralischer zu sein, als die eines Menschen, der felsenfest von der Wahrheit biblischer Aussagen und der Deutungshoheit der Kirchen überzeugt ist. Denn Erstere tolerieren letztlich ohne inneren Grund die Diskriminierung vieler Menschen.
.....
Bei den Grünen, der SPD und Linke im Bundestag und in diesen Parteien finden sich "gemäßigte" Christen, welche alle das Lebenspartnerschaftsgesetz befürworteten. Christliche Fundis sind wohl eher bei der CDU/CSU zu hause, welche das Gesetz ablehnten. Ähnliches trifft in meinen Augen auf die Wähler zu. Christliche Fundis wählen eher eine Partei in den Bundestag, welche die "Homoehe" ablehnt, gemäßigte eine, welche diese Diskriminierung beendet.
So dauerte es in der Schweiz mit seiner föderalen Struktur in den mehrheitlich katholischen Kantonen jeweils länger, bis die Frauen auch dort ein Stimmrecht bekamen, bei den Reformierten (mehrheitlich gemäßigten) ging es etwas :-) schneller.
Ps: Nach Deinem Moralmaßstab würde folgen: Wer als absoluter Monarch einer Organisation, eines Staates die Diskriminierung anordnet (wie z.B. der Papst, König Salman), handelt moralischer wie ein Mitglied der Organisation, das die Diskriminierung geschehen lässt, weil es sonst von der Organisation und dem Seelenheil ausgeschlossen würde.
Da es sich beim Gott-/Götterglauben um Glaubens- und keine Wissensmodelle handelt, lassen sie sich meinen Augen auch nicht auf ihre Wahrheit / Falschheit überprüfen.
qbz, Du schreibst, dass sich Glaubensinhalte nicht auf ihre Wahrheit hin überprüfen lassen.
Aber worin besteht nun der Unterschied zur (fiktiven) Behauptung, dass man gegen jedes vernünftige Argument völlig immun sei? Führt das obige Zitat nicht zum selben Ergebnis?
Was wäre, wenn sich Glaube und Wissen/Beobachtung widersprechen würden? Könnte man dann immer noch auf seinem Glauben bestehen, mit der Begründung, Glaube und Wissen hätten nichts miteinander zu tun?
Irgendwo steckt da doch ein Fehler, oder etwa nicht?
Wer aus tiefer religiöser Überzeugung fordert, einem Menschen müsse zur Strafe die Hand amputiert werden, kann durchaus gute Motive haben, zum Beispiel die Welt nach dem Willen Gottes besser zu machen. Ein anderer hält diese Strafen zwar keineswegs für von Gott legitimiert, findet aber am Glauben hin und wieder etwas Tröstliches. Darum unterlässt er es, religiöse Praktiken anderer zu kritisieren. Vielmehr verteidigt er sie möglicherweise gegenüber humanistisch eingestellten Menschen. Aus meiner Sicht, die freilich falsch sein kann, handelt der stark Gläubige in diesem fiktiven Beispiel moralischer als der "Halbgläubige".
Ein Überzeugungstäter ist moralischer als ein Pragmatiker? Der Massenmörder Breivig hat besonders moralisch gehandelt, weil er überzeugt war von seinem eigenen unsinnigen Gedankengebäude. Die Attentäter von 9-11 müssen wir uns auch als besonders moralische Menschen vorstellen?
"Gesinnungsethik" so viel höher zu bewerten als "Verantwortungsethik" halte ich für falsch. Und mit dieser Bewertung befindest Du Dich meiner Meinung nach auch nicht auf der Höhe der Zeit, was ethische Diskussionen angeht.
qbz, Du schreibst, dass sich Glaubensinhalte nicht auf ihre Wahrheit hin überprüfen lassen.
Man stellt an Modelle, Konstrukte doch bestimmte Anforderungen, damit daraus abgeleitete Aussagen / Hypothesen auf Wahrheit / Falschheit überprüfbar sind. Die religiösen Systeme wie ein Gott/Götterglaube erfüllen solche Kriterien nicht, in meinen Augen.
Zitat:
Zitat von Jörn
Aber worin besteht nun der Unterschied zur (fiktiven) Behauptung, dass man gegen jedes vernünftige Argument völlig immun sei? Führt das obige Zitat nicht zum selben Ergebnis?
Welches "Zitat" meinst Du und wer stellt die Behauptung auf? Ich verstehe Deine Frage nicht.
Zitat:
Zitat von Jörn
Was wäre, wenn sich Glaube und Wissen/Beobachtung widersprechen würden? Könnte man dann immer noch auf seinem Glauben bestehen, mit der Begründung, Glaube und Wissen hätten nichts miteinander zu tun?
Ja. Die Widersprüche führen entweder bei Teilen der Glaubensinhalte zu einer Anpassung, Modernisierung (Stichwort: Bibelinterpretation ) oder zur Aufteilung in eine naturwissenschaftliche und spirituelle Welt, die unterschiedliche Aspekte des Daseins behandeln. Soweit ich mich entsinne, unterschied der frühere Papst Benedikt sehr deutlich zwischen dem durch die Naturwissenschaften gewonnenen Wissen und dem durch das Gebet und den Glauben erfahrene Wissen der Kirche.
Zitat:
Zitat von Jörn
Irgendwo steckt da doch ein Fehler, oder etwa nicht?
Die Philosophien der Weltgeschichte lassen sich doch auch nicht auf Wahrheit / Falschheit im naturwissenschaftlichen Sinne überprüfen.
Man stellt an Modelle, Konstrukte doch bestimmte Anforderungen, damit daraus abgeleitete Aussagen / Hypothesen auf Wahrheit / Falschheit überprüfbar sind. Die religiösen Systeme wie ein Gott/Götterglaube erfüllen solche Kriterien nicht, in meinen Augen.
Dann sind diese Systeme ungeeignet, Aussagen über den Wahrheitsgehalt irgendeiner Sache zu treffen -- auch nicht über Sachen des Glaubens.
Ein System, in dem es keine Möglichkeit zur Falsifizierung gibt, ist ein System, in dem jeder Unsinn die gleiche Wahrscheinlichkeit hat. Der Begriff "Wahrheit" wird dann bedeutungslos.
Religion ist aber in seinen Schilderungen, Geboten und Begründungen sehr präzise. Wie kann das sein, wenn es keine Falsifizierung und keine Wahrheit gibt?
Wie könnte man den Verdacht entkräften, dass der Grund für diese Winkelzüge darin besteht, dass die Kirche sagt: "Wir wollen nicht, dass uns die Wissenschaft oder irgendeine Kritik in die Suppe spuckt. Wir erklären uns einfach unabhängig davon. Allerdings, wir selbst sagen sehr präzise, was wahr und falsch ist."
Ein Überzeugungstäter ist moralischer als ein Pragmatiker? Der Massenmörder Breivig hat besonders moralisch gehandelt, weil er überzeugt war von seinem eigenen unsinnigen Gedankengebäude. Die Attentäter von 9-11 müssen wir uns auch als besonders moralische Menschen vorstellen?
"Gesinnungsethik" so viel höher zu bewerten als "Verantwortungsethik" halte ich für falsch. Und mit dieser Bewertung befindest Du Dich meiner Meinung nach auch nicht auf der Höhe der Zeit, was ethische Diskussionen angeht.
Ich teile diese Ansicht.
Max Weber: "Wir müssen uns klarmachen, daß alles ethisch orientierte Handeln unter zwei voneinander grundverschiedenen, unaustragbar gegensätzlichen Maximen stehen kann: es kann ‚gesinnungsethisch‘ oder ‚verantwortungsethisch‘ orientiert sein. Nicht daß Gesinnungsethik mit Verantwortungslosigkeit und Verantwortungsethik mit Gesinnungslosigkeit identisch wäre. Davon ist natürlich keine Rede. Aber es ist ein abgrundtiefer Gegensatz, ob man unter der gesinnungsethischen Maxime handelt - religiös geredet: ‚Der Christ tut recht und stellt den Erfolg Gott anheim‘ - oder unter der verantwortungsethischen: daß man für die (voraussehbaren) Folgen seines Handelns aufzukommen hat."
Dann sind diese Systeme ungeeignet, Aussagen über den Wahrheitsgehalt irgendeiner Sache zu treffen -- auch nicht über Sachen des Glaubens.
Ein System, in dem es keine Möglichkeit zur Falsifizierung gibt, ist ein System, in dem jeder Unsinn die gleiche Wahrscheinlichkeit hat. Der Begriff "Wahrheit" wird dann bedeutungslos.
Religion ist aber in seinen Schilderungen, Geboten und Begründungen sehr präzise. Wie kann das sein, wenn es keine Falsifizierung und keine Wahrheit gibt?
Über einen zentralen "Baustein" der christlichen Lehre, die Dreifaltigkeit Gottes, stritten sich X-Gelehrte jahrhundertelang, bis irgendwann einfach eine einzige Beschreibung zum Dogma erklärt wurde. Alles Metaphysik pur. Oder wie sollte man die Lehre von der Dreifaltigkeit auf Wahrheit / Falschheit heute experimentell oder in Modellen überprüfen?
Zitat:
Zitat von Jörn
Wie könnte man den Verdacht entkräften, dass der Grund für diese Winkelzüge darin besteht, dass die Kirche sagt: "Wir wollen nicht, dass uns die Wissenschaft oder irgendeine Kritik in die Suppe spuckt. Wir erklären uns einfach unabhängig davon. Allerdings, wir selbst sagen sehr präzise, was wahr und falsch ist."
Verhält es sich nicht so ähnlich arbeitsteilig wie Du schreibst? Der Arzt kümmert sich um die Behandlung des Körpers, der Pfarrer um die Seele (heute in Konkurrenz zu den Psychologen ). Ob und wie Gott bei der tödlichen Erkrankung beteiligt ist, wird niemand Aussenstehender je erkennen und nachweisen, auch wenn Pfarrer und Patient an eine Gottesbeteiligung zu 100 % glauben.