Es wird immer wieder eingewendet, dass die Religionskritik sich an einem Glauben abarbeiten würde, den niemand mehr glaubt. keko argumentiert häufig in diese Richtung.
Das Schema funktioniert wie folgt: Formuliert man eine
generelle Kritik, wird eingewendet, man müsse sich auf den
spezifischen Glauben des Einzelnen beziehen, ansonsten sei die Kritik nicht legitim. Bezieht man sich dann auf den spezifischen Glauben des Einzelnen, wird eingewendet, diese Einzelfälle könne man nicht generalisieren.
Ich möchte nun darlegen, warum sowohl der
spezifische Glaube des Einzelnen, als auch eine
generelle Glaubensrichtung falsch sind, weil der Glaube
per se falsch ist (also unabhängig vom Inhalt).
Meine Argumentation folgt diesem zweigeteilten Schema: Zuerst werde ich einen
spezifischen Glauben untersuchen, um ihn anschließend zu
generalisieren. Ich werde darlegen, warum beide Ansätze falsch sein müssen, und zwar aus Prinzip.
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Hier ist also die spezifische Definition von keko:
Zitat:
Zitat von keko#
"Religion definiere ich als »Den Glauben an eine übermenschliche Ordnung, die keinen menschlichen Launen entspringt und nicht auf menschliche Vereinbarungen zurückgeht«".
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Diese Definition unterscheidet zwischen der
Herkunft ("die keinen menschlichen Launen entspringt und nicht auf menschliche Vereinbarungen zurückgeht") und dem eigentlichen
Inhalt ("Ordnung").
Bei näherer Betrachtung ist die "Herkunft" nur insoweit interessant, als dass sie eine nicht hinterfragbare
Autorität garantiert. Der entscheidende Punkt ist also die Autorität, und weiter, dass sie nicht mehr hinterfragt oder überboten werden kann. Sie hat jedenfalls eine höhere Autorität als (Zitat) "menschliche Vereinbarungen". Am Ende geht es also um die
höchste Autorität, die eine Ordnung schafft, die verbindlich ist.
Aber was bedeutet "Ordnung"? Man kann
Dinge ordnen (z.B. könnte könnte man die Kreisbahnen der Planeten festlegen), oder man kann
Gebote verordnen (z.B. "Du solltest nicht töten"). Wenn es unsere Lebensführung betreffen soll, geht es also um "Verordnungen", d.h. es geht um verbindliche Regeln, nach denen wir Menschen unser Handeln ausrichten (müssen). Diese Unterscheidung ist wichtig, weil uns diese Ordnung ansonsten völlig egal sein könnte. Niemand schert sich um die Kreisbahn von Pluto.
kekos Definition würde also lauten:
Eine höchste Autorität, die eine verbindliche Ordnung vorgibt, die unser Handeln betrifft.
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Nachdem nun die Definition des persönlichen Glaubens erfolgt ist, bieten sich ein paar Überprüfungen an.
Nehmen wir an, ich verstoße testweise gegen die verbindliche Ordnung. Ich handle also entgegen der Ordnung. Was würde mir passieren?
Wenn
nichts passiert...
- Wäre es dann verbindlich? Die Verbindlichkeit erfordert eine Sanktion. Ansonsten könnte ich ja tun, wozu ich lustig bin.
- Was bindet mich an die Vorschrift? Wenn mich nichts bindet, dann ist es keine Vorschrift, sondern ein netter Rat.
- Wie erweist sich hier eine überlegene Autorität? Wenn ich mich über die Autorität einfach hinwegsetzen kann, dann ist diese Autorität damit nivelliert. Ich selbst bin dann die höchste Autorität meines Handelns. Ich könnte auch einfach zum Islam konvertieren, und nach einer Woche zum Hinduismus. Oder ich rufe mich selbst als Gott aus. Oder (das wäre allerdings extrem albern) zu seinem Stellvertreter.
Man sieht: Die Definition macht keinen praktischen Sinn für unseren Alltag, sofern sie nicht auch Sanktionen androht.
Verbindlichkeit impliziert Sanktionen.
Die Definition wird also zu:
Eine höchste Autorität, die eine verbindliche Ordnung vorgibt, die unser Handeln betrifft, und die Abweichungen bestraft.
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Testen wir weiter. Erneut verstoße ich aus Neugier gegen die Gebote und werde diesmal bestraft. Verbindlichkeit, Ordnung und Autorität bleiben dadurch intakt. Man beachte, dass hier zum ersten Mal eine Art von "Gerechtigkeit" auftaucht, wenn auch nur in Form von "gerechter Strafe".
Aber was wäre, wenn ich zu meiner Verteidigung eine Begründung vortragen würde? Nehmen wir an, ich hätte für alles einen guten Grund. Oder ich hätte eine App, die per Knopfdruck eine Ausrede erzeugt. Oder ich würde einer Religion anhängen, die mir konträre Gebote auferlegt. Oder ich würde allgemein jede Religion rundweg ablehnen. Würde das die Bestrafung verhindern?
Nein, denn ansonsten würde erneut jeder tun, was ihm gefällt. Ausreden sind billig. Wieder wären Verbindlichkeit, Ordnung und Autorität untergraben. Das bedeutet, dass eine Verteidigung ausgeschlossen ist; denn eine Verteidigung macht nur dann Sinn, wenn sie zumindest im Prinzip erfolgreich sein könnte; und das kann sie nicht sein, wenn der Ankläger die höchste Autorität besitzt. Denn welcher Richter sollte die Autorität haben, über "Gott" zu urteilen? Wäre der Richter dann nicht selbst die höchste Autorität? Wäre es dann nicht folgerichtig, gleich den Richter anzubeten?
Wer eine "höchste Autorität" postuliert, sagt damit automatisch, dass eine Verteidigung oder das Vortragen von Ausreden ausgeschlossen ist.
Nun könnte man einwenden: Ein sehr gerechter Gott könnte Ankläger und Richter zugleich sein und dennoch stets gerecht bleiben. Aber was wäre, wenn ich testweise sage:
"Ich erkenne die Autorität des Gerichts nicht an". Hätte ich hier eine Chance? Nein. Nehmen wir an, ich würde sagen:
"Ich bin selbst das Gericht". Hätte ich eine Chance? Nein. Gott hätte mich am Schlafittchen, so oder so. Ich bin ausgeliefert.
Die Definition wird also zu:
Eine höchste Autorität, die eine verbindliche Ordnung vorgibt, die unser Handeln betrifft, und die Abweichungen bestraft, und gegen die keine Einwände vorgebracht werden können.
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Man beachte, dass damit auch die höfliche Frage nach einer
Begründung für die Gebote sinnlos wird. Wenn Abweichungen sowieso unmöglich sind, ist es auch einerlei, ob jemandem die Begründung einleuchtet; er muss sich ja so oder so an die Gebote halten.
Außerdem kann "Gott" nicht darauf warten, bis dem letzten Depp irgendwas einleuchtet. Stattdessen werden die Gebote
verkündet, und allein die göttliche Autorität ist Garant dafür, dass die Begründung schon irgendwie sinnvoll sein würde, sofern man sie wüsste. Man muss sie aber gar nicht wissen.
Die Definition wird also zu:
Eine höchste Autorität, die eine verbindliche Ordnung vorgibt, die unser Handeln betrifft, und die Abweichungen bestraft, und gegen die keine Einwände vorgebracht werden können, und die nicht begründet wird.
Ist meine schrittweise Erweiterung der Definition ein Trick? Im Grunde habe ich lediglich den Aspekt der Verbindlichkeit etwas ausformuliert. Die nach und nach vorgenommenen Erweiterungen waren jedoch schon von Anfang an im Wort "verbindlich" enthalten. Es soll dadurch etwas greifbarer werden, was eine "verbindliche Ordnung" in der Praxis bedeutet. Wer sich also mit meinen Erweiterungen nicht anfreunden kann, kann diese einfach weglassen; solange das Wort "verbindlich" enthalten bleibt, ist der Sinn identisch. Und wenn das Wort "verbindlich" rausfliegt, ist die Debatte sowieso sinnlos.
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Was bedeutet das alles?
Schrittweise wurde eine harmlose, eher esoterisch wirkende Formel immer präziser, und dadurch auch bösartiger, bis sie am Schluss eine völlige Unterwerfung verlangte: Abweichungen wurden bestraft, Einwände erwiesen sich als unmöglich, und sogar Begründungen wurden überflüssig. Es ist die vollkommene Diktatur.
Wie war diese Verwandlung möglich? Möglich wurde sie allein durch das Ausrufen einer "höchsten Autorität" und dem Verlangen nach "Ordnung" -- dies führte zur Verbindlichkeit, denn Ordnung braucht Verbindlichkeit. Verbindlichkeit jedoch erfordert Strafen.
Sobald eine Definition die Zutaten "höchste Autorität" und "Ordnung" hat, wird das Gebräu irgendwann explodieren. Diese Zutaten sind das Gift aller Religionen. Es sind Instrumente zur Unterwerfung, die den Vorzug haben, dass sie nicht begründet werden müssen.
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Wo ist nun das Problem?
Eine solche Religion (oder "Idee") ist unmoralisch. Wer bereit ist, Ordnungen festzuschreiben oder gar Strafen zu verhängen, hat die moralische Pflicht, die zugrunde liegenden Regeln nachvollziehbar und plausibel zu begründen -- und diese Begründung darf kein Märchen sein, ansonsten wäre sie nicht plausibel.
Wenn man keine Begründung vorlegt, dann ist das vergleichbar mit einem Herrn, der aus heiterem Himmel seinen Hund prügelt, ohne dass der Hund begreifen könnte, warum das geschieht.
Daher lautet mein Fazit, dass eine Religion, die eine "höchste Autorität" und eine "Ordnung" behauptet, ohne dass sie jedermann sehen könnte,
aus Prinzip nicht moralisch sein kann.
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Wo bleibt die versprochene Verallgemeinerung?
Die vorgebrachte Kritik lässt sich auf den
individuellen Glauben ebenso anwenden wie auf jede
allgemeine Definition. Egal, wie die Religion aussehen mag, treffen stets zwei Dinge zu:
Erstens: Sobald eine höchste Autorität und deren angeblich gewollte Ordnung behauptet wird, handelt es sich um eine Diktatur. Es ist zwangsläufig.
Zweitens: Ein solches Konstrukt, egal wie die Details aussehen mögen, und egal wie viele Engel und Scheinheilige präsentiert werden, kann niemals moralisch sein. Moral braucht Begründung, und Begründung erfordert Überprüfung.
Anstelle einer echten Moral wird in den einschlägigen Religionen eine Schein-Moral behauptet, die genauso willkürlich an den Haaren herbeigezogen wurde wie der ganze Rest, und die ebenfalls unbegründet ist. Diese Schein-Moral dient letztlich nur dazu, die angebliche Gottheit und ihre Priesterkaste mit Macht auszustatten und unangreifbar zu machen. Beispielsweise gilt es als
unmoralisch, eine prüfbare Begründung für diese Moral zu verlangen.
Wieso kann es unmoralisch sein, die Legitimität einer Moral zu prüfen? Das macht überhaupt keinen Sinn.
Wie kann überhaupt etwas legitim sein, wenn Legitimität nicht geprüft werden kann?
Gläubige Leser sind womöglich versucht, den letzten Satz einfach zu überlesen und schnell zum nächsten Punkt zu gehen. Aber im Grunde ist das nicht redlich. Redlich wäre, so lange bei dieser Frage zu verharren, bis sie plausibel und prüfbar beantwortet wurde. Bevor dieses Fundament nicht abgesichert ist, kann man keine Religion darauf aufbauen. Zwar will nicht jeder Gläubige eine Religion gründen, und insofern gilt diese Kritik den Institutionen und nicht den Privatpersonen. Aber in diesem letzten Abschnitt meines Postings geht es allgemein um jede Form von Religion, und daher auch um Institutionen. Eine Institution ist ihren Mitglieder eine gewisse Rechenschaft schuldig, zumindest betreffs ihrer eigenen Redlichkeit. Redlichkeit muss nachgewiesen werden können, wenn sie infrage gestellt wird.
Wer jedoch weder seine Moral noch seine Redlichkeit plausibel begründen kann, der muss sich leider die Frage gefallen lassen, welche
Relevanz er seinen Thesen überhaupt geben kann. Ein Vertreter einer Religion müsste zuerst diese Fragen nach Moral und Redlichkeit klären, bevor er sinnvoll an einer Debatte teilnehmen könnte. Wer auf alle diese Fragen die Antwort schuldig bleibt, hat jedenfalls nicht das Recht, sich als Vordenker der westlichen Welt und als moralisch-geistige Instanz auszurufen.
Danke fürs Lesen (falls es überhaupt jemand bis hierhin geschafft hat)!
