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Zitat von merz
Die Frage ist mit Sicherheit so dumm wie obskur....
m.
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Hallo Merz,
weder dumm noch obskur ... mich beschäftigt die Frage schon seit Jahren und du hast das schon richtig erkannt.
Wenn ein Unternehmen Geld braucht, hat es die Möglichkeit Aktien auszugeben (IPO). Das geschieht über/nennt man Primärmarkt.
Wenn wir als Retail-Investoren heute Aktien des Unternehmens kaufen - über die Börse - dann geschieht das auf dem Sekundärmarkt. Durch deinen heutigen Kauf hat das U unmittelbar tatsächlich nichts davon.
Dein Verkäufer hat hoffentlich etwas davon (weil er mit Gewinn verkauft) und du wirst hoffentlich in der Zukunft etwas davon haben, weil du zukünftige Gewinne und damit Dividenden und eine hohe Nachfrage nach der Aktie (also Kurssteigerung) erwartest.
Jetzt könnte man aus U.sicht denken, warum tut sich das U den ganzen Stress mit dem Sekundärmarkt (organisierter Kapitalmarkt - Aktienmarkt - Sekundärmarkt (Börsen)) überhaupt an, wenn es einfach nur das Kapital für Wachstum braucht. Also warum wagt ein U eigentlich ein IPO und regelt das ganze nicht hinter verschlossenen Türen, indem es interessierten Investoren Aktien zuteilt. Das nennt man Privatplatzierung auf dem Primärmarkt (Privatplatzierung an Banken und Hedgefonds z. B. ohne die Aktien öffentlich zugänglich zu machen).
Als risikoscheuer, konservativer deutscher Mittelständler, der langsam und organisch wachsen will und dazu Kapital braucht, würde ich wahrscheinlich genau so vorsichtig agieren und mir die "richtigen" Investoren suchen, die an mein Produkt und mein Unternehmen glauben.
Und genau diesen Zustand haben wir zum Teil in Deutschland - in viele gute Unternehmen kann man als Retail-Investor nicht investieren. Ein Beispiel ist die Komsa AG in Hartmannsdorf bei Chemnitz. Die Aktien gehören zum Großteil den Gründern (Gunnar Grosse) und werde auch an Mitarbeiter als Optionen ausgegeben. Sollten diese ihre Aktien wieder verkaufen wollen, müssen sie das OTC over the counter machen, also sich wahrscheinlich über das Kleinanzeigen-Intranet oder in der Kantine einen Käufer suchen ;-) (keine Ahnung wie genau das funktioniert, wahrscheinlich gibt es Möglichkeiten über die Buchhaltung).
In den USA gibt es eine völlig andere Aktienkultur - man kann einfach in alles und jeden via Börsen investieren und viele Neugründungen suchen sofort den Weg aufs Parkett (IPO).
Lange Rede, kurzer Sinn: als konservativer Deutscher gefällt mir der Primärmarkt oder die reine Privatplatzierung besser, warum kann es sich aber trotzdem für das U lohnen, den Weg an die Börse zu gehen?
Beispiel Techsektor: die Börse ist eine Art Weltformel, wenn es um die komplette Sammlung von Stimmungen, Trends, Moden, Fear of missing out, Zukunftserwartungen usw. geht.
Wenn ich ein Start-up mit einem fancy Produkt bin, was gerade über die Maßen trendet (Nicola im SPAC-Mantel ist komplett gefloppt, gibt ja schon Tesla. Nicola Tesla würde sich im Grabe umdrehen
Ironie aus), dann lohnt sich das IPO mit nachgelagertem Sekundärmarkt für den U, weil durch die enorme Nachfrage der Ausgabepreis steigt und die Ausgabe oft mehrfach überzeichnet ist.
Was hat nun das Unternehmen langfristig von Käufen auf dem Sekundärmarkt? Nehmen wir mal das Beispiel Tesla - rational mit einem KGV von über 200 völlig überbewertet:
Der über Jahre steigende Kurs hat Tesla immer in unserer Wahrnehmung gelassen, es gab immer neue FOMO-Käufer, die bereit waren, immer höhere Preise für die Aktie zu zahlen. Der damit einhergehende steigende Börsenwert stärkt das Narrativ, dass von Tesla weiterhin Gewinne zu erwarten sind. Der gute Börsenwert hilft ebenfalls beim Rating und der zukünftigen Fremdmittelaufnahme (Kredite). Ganz wichtig: der Sekundärmarkt hält die Aktie liquide und Liquididät ist der mit Abstand größte Vertrauensbeweis - ich vertraue in Geld bemessenen Dingen nur, wenn ich sie in Echtzeit wieder losbekomme und Cash zurück erhalte.
Wenn es mit dem Markt/der Börse/dem Sekundärmarkt also gut für das U läuft, dann hilft dieses Sammelbecken an Meinungen, Stimmungen und rationalen Bewertungen, eine positive Nachrichtenlage für das U aufrecht zu erhalten und damit wird das U immer neue Investoren finden, selbst wenn es wie Tesla keine Dividenden zahlt.
Ein U wie Tesla, was keine Gewinnbeteiligung (Dividenden) ausschüttet, hat nur die Chance neue Investoren zu finden, wenn es den Eindruck vermittelt (das Narrativ nährt), dass weiterhin mit hohen Gewinnen zu rechnen ist. Nur dann ist ein Investor heute bereit, dass jetzt schon teure Papier zu kaufen.
Und Elon Musk spielt dieses Spiel bravourös: er ist (leider) in der Lage den Kurs seines U und ganzer Kryptowährungen (Shitcoin Dogecoin) allein durch Twitter-tweets zu beeinflussen.
Warum ist der Sekundärmarkt für das U noch wichtig: durch die Liquidität (bedingt durch die sehr große Anzahl an Marktteilnehmern), wird es mir immer gelingen, Verkäufer zu finden, wenn ich als U Aktien zurückkaufen möchte. Das stelle ich mir OTC hinter verschlossenen Türen eher kompliziert vor. Mit dem Aktienrückkauf verknappe ich mein Gut U.beteiligung, was es für die verbleibenden Aktionäre wieder wertvoller macht, weil sie sich den Gewinn mit weniger anderen teilen müssen, was höhere Dividenden bedeutet, was wieder mehr zukünftige Investoren bedeutet (die Angst haben, etwas zu verpassen) UND damit fällt es dem U leichter, mittels Kapitalerhöhung neue frische Aktien im Markt zu platzieren, ohne dass der Kurs crasht.
U. wie Tesla, die keine Dividende zahlen, betreiben Kurspflege über Aktienrückkäufe (und sparen enorme Steuern damit!), ergo es gibt weniger Aktien und Neuaktionäre greifen zu (FOMO), solange das Narrativ läuft.
Jetzt bin ich bestimmt ganz schön vom Kontextweg abgekommen. Schlussfolgerung und nur meine eigene Meinung: ich denke, der Sekundärmarkt ist aufgrund seiner schieren Größe auch für U mittelbar lohnend und wichtig, weil es aufgrund seiner Liquidität leicht möglich ist, Stimmung und Trends einerseits als Controllinginstrument zu erfassen (in Echtzeit) und andererseits in Richtung Markt zu übermitteln (siehe Musk via Twitter).
Ich hoffe, das war jetzt nicht zu durcheinander und hilft - sollte jemand mit Bank- oder beruflicher Börsenerfahrung kritische Anmerkungen haben, bin ich sehr daran interessiert, weil mich die Ausgangsfrage auch seit Jahren umtreibt.
PS: als normaler Retail-Investor/Kleinanleger habe ich gar keine andere Chance mich an einem Unternehmen zu beteiligen, als den Sekundärmarkt. Und umso mehr das machen, um so mehr wird das Narrativ gestärkt (und wir können dann für unsere Rente nur hoffen, dass das U keine Luftnummer ist). Ein gut laufendes U. bekommt durch den Börsenhandel eine fast tägliche gute Berichterstattung von den Medien und damit viel Aufmerksamkeit, was den Geschäften insgesamt zuträglich sein sollte (siehe Tesla)