oder besser der Zustand bei Kilometer 35 beim Ironman-Marathon
Wer kennt auch dieses Gefühl? Ich bin müde, alles schmerzt, das Ziel ist gefühlt ewig weit entfernt, ich möchte aufhören, mich in den Schatten setzen, ausruhen.
Früher vielleicht ein Bier trinken Doch dies ist keine Option. Nein, ich muss weiter ins Ziel. Nur dort kann ich feiern, wirklich und auch langfristig entspannen. Ich schleppe mich weiter.
Tragisch? Unmenschlich?
Nein, ein Luxus, ein Geschenk .
Ich darf selbstbestimmt entscheiden, ob mir mein Traum diese Strapazen wert ist und wenn ich wirklich will, habe ich eine Chance zu finishen. Nicht schnell, nicht schön, nicht leicht, egal. Ich könnte.
Falls ich allerdings aufgrund äußerer Einflüsse gar keine Möglichkeit hätte zu wählen, ist dies nicht wesentlich frustrierender?
Wer kann sich an einen Marathon in Karlruhe vor einigen Jahren erinnern, als plötzlich an einem sonst offenen Bahnübergang ein längerer Zug die Strecke blockte und sich nicht bewegte? Zum Glück war ich nicht dabei, doch das Gefühl kann ich mir sehr gut vorstellen. Die Ohnmacht, plötzlich ohne Hoffnung, ausgebremst zu werden. Die Verzweiflung, wie komme ich weiter? Über den Zug steigen? Gefährlich und verboten. Einen Umweg nehmen? Über einen weit entfernten, aber möglichen Bahnübergang? Dann geht mir die scheinbar wertvolle Zeit flöten. Ich verbrauche Energie, erreiche vielleicht das Ziel, bekomme aber keine Medaille, weil ich die Strecke verlassen habe.
Und doch könnte ich im Leben nicht vor diesem Hindernis warten, ich würde den Umweg in Kauf nehmen, würde mir einen Ausweg überlegen, anderen anbieten mitzukommen, würde loslaufen.
Es ist momentan eine extrem vertrackte Situation. Im Großen mit Corona, im Nahen noch viel spürbarer. Viele Menschen sind arg frustriert und antriebslos. Auch ich komme nahezu täglich an meinen Zug. In vielerlei Hinsicht, mal richtig tragisch, besonders wenn ich an den heutigen Feiertag denke, mal ärgerlich, mal frustrierend.
Es gibt dann Momente, an denen die Hoffnung schwindet, die Energie sich verflüchtigt. So fühlte ich mich in den letzten Wochen öfters, ganz besonders niedergeschlagen am Mittwoch
Und doch gibt es auch viele Argumente, dass es mir super gut geht. Herzblatt, Familie, Freunde, Ziele, Träume.
Ich begebe mich am nächsten Tag doch wieder auf die Strecke, erwarte das tägliche Murmeltiergrollen . Aktiv sein hilft, wie nahezu immer, ungemein. Ich regele Mißverständnisse, versuche einen tauglichen Lokführer zu finden.
Nach besonders nervigen Tagen konnte ich am Wochenende immerhin gut entspannen, gestern 120 und heute 80 km radeln, mentale Energie tanken.
Großer Frust birgt große Kraft - 44 Stunden Ironman, auch 2021 machbar?
Nun, momentan ist nichts mehr normal. Verrückte Zeiten erfordern verrückte Ziele. Und wenn dann noch unglückliche Entscheidungen und Wendungen dazu kommen...
Am Mittwochabend startete ich um 16.30 mit 10 km Rudern. Eigentlich unspektakulär, wenn nicht die monatelange Traingspause aufgrund diverser Sehnenrupturen in der Schulter gewesen wäre. So empfand ich es als ein Geschenk wieder sportlich tätig sein zu dürfen. Es klappte überraschend gut. 52.50 min, vermutlich teils Urlaubseuphorie, da morgen in BW Feiertag und ich am Freitag einen Tag Urlaub habe. Dringend nötig nach erschlagend viel Hektik, Stress und nervenaufreibenden Disputen in den letzten Wochen .
Am Donnerstag schwang ich mich um 5.40 auf mein Cube-Fitnessrad. Unten kurz, oben lang angezogen. Es ist noch frisch, aber immerhin nicht arktisch kalt. Es läuft. Und ich lasse es laufen. Feuer frei . Heute zählt, nicht morgen oder gestern. Beste Zwischenzeiten, keine Wartezeiten an den Straßenübergängen oder Ampeln, fast keine Fußgänger oder andere Radler. Ich wechsle vom Neckartalradweg auf den Kocherabschnitt. Schön einsam. Wind günstig, überraschend auch zurück. Es werden doch nicht die Beine sein? Endlich mal flotter.
Nach 49 km Wechsel zur Jagst. Die Beine kurbeln weiter, die Zeiten beflügeln, Stimmung gigantisch. In Möckmühl merke ich zu spät, dass versteckt Scherben auf dem Weg liegen. Mist. Ich steige ab, kontrolliere die Reifen, sehe und fühle nichts. Also weiter. Mit Bedenken, ich habe nichts zum Flicken oder Wechseln dabei. Bewusstes Risiko, meine letzte Panne liegt einige Jahre zurück und heute habe ich nicht viel Platz übrig, schließlich transportiere ich auch noch meine ganze Verpflegung für die geplanten 180 km.
Keine Schäden merkbar, ich genieße die flotten Beine, die stimmungsvolle Landschaft, das Sein.
Wendepunkt bei km 104 in Marlach. Falls ich durchhalte, bewältige ich die 180 km unter 7.30 Std., objektiv nicht schnell, aber das wäre für mich mit Fitnessrad auf Radwegen mit Abstand absoluter Streckenrekord. Ich träume. Endlich ein Hoffnungsschimmer, ein Licht, nach all den Nackenschlägen zuletzt.
Ich wackle. Nein, nicht ich. Das Rad läuft aus der Spur.
Ich stoppe. Hinterrad ok. Vorderrad platt
So ein Mist. Ich schimpfe einmal laut. Es ist ja eh keiner sonst da.
Das hätte so schön sein können. Und schon wieder so ein unerwarteter Tiefschlag.
Frust. Nützt nichts. Risiko gespielt und verloren.
Ich greife zur Notfallvariante, rufe Herzblatt an. Zum Glück bekomme ich eine Verbindung, in unseren ländlichen Gegenden keine Selbstverständlichkeit, erreiche Herzblatt.
Ja, sie würde mich abholen, benötigt aber ungefähr eine Stunde Fahrzeit. Wir vereinbaren das Kloster Schöntal als Treffpunkt.
Kaum besprochen, realisiere ich, dass ich bis dahin ja noch einige Kilometer, geschätzt 8, zurücklegen muss. Nur wandern reicht dann nicht. Ich fange an zu joggen und dabei das Rad zu schieben.
Zum Glück kommen mir nur vereinzelte Passanten entgegen. Eine Frau meint: Wer sein Rad liebt, der schiebt. Danke, Andere ignorieren mich, 2 fragen, ob alles klar wäre.
Schon, dies ist meine Suppe, die ich auslöffeln muss. Zwischendurch lasse ich das Rad vorsíchtig rollen, versuche mein Gewicht auf das Hinterrad zu verlagern. Klappt mit den dicken Reifen sogar einigermassen. Zuviel will ich dem Vorderrad aber doch nicht zumuten. Ich trabe und schiebe wieder. Eine Stunde und 8 Km später bin ich beim Treffpunkt. Bald sehe ich Herzblatt nahen. Ich verpacke das Rad. Wir fahren heim. Super, wenn man Hilfe in der Not erwarten kann
Wenn ich eines in den letzten Jahren gelernt habe, dann, dass man zwar nicht alles erreichen kann, aber man auch keinesfalls zu früh aufgeben sollte.
Sofort nach dem Urschrei im einsamen Tal, ticken meine Gehirnzellen, suchen nach Lösungen. Quasi den Zug zu umgehen .
Mir fehlen noch 67 km. Für 14 Uhr sind zwar Regenschauer angesagt, doch vielleicht auf die Rolle?
Lust dazu habe ich zwar überhaupt keine, nicht im Geringsten, doch was bleibt mir übrig, wenn ich nicht aufgeben will. Zeit habe ich dank dem frühen Start immer noch.
Daheim angekommen, ziehe ich mich um, steige auf die Rolle, starte euphorisch, Ü35er Schnitt Also megadämlich.
5 Minuten, dann bin ich wieder in der Realität. Die Beine megaschwer, die Lust vollkommen verflogen, nicht besser, dass draußen immer noch schönster Sonnenschein herrscht.
Ich erinnere mich, warum ich längeres Rollenfahren hasse. Locker rollen, ok, aber wenn ich Distanz machen will, muss ich treten. Mit Kraft und permanent.
Jetzt bekomme ich richtig den Frust. Ich komme kaum voran, kann aber auch nicht, wie draußen, es zwischendurch einfach einmal rollen lassen.
Ganz langsam erhöht sich die Distanz um je 100m. Und so viel noch. Ich habe noch nicht einmal 10 km gepackt, schwitze trotz offenem Fenster wie blöd. Genau so fühlte ich mich in letzter Zeit. Erschlagen von den Umständen, niedergedrückt. Ich will und kann doch nicht.
Mir wird es zu viel. ich packe es nicht mehr. Ich gebe auf. Mein Kopf resigniert.
Schluß aus. Nur die Beine wollen nicht hören. Sie ächzen, murren, meckern, aber sie treten weiter. Der Rest muss mit. Ich wechsle von meinen Laufschuhen in echte Radschuhe mit Klickpedalen, macht aber auch keinen Unterschied mehr. Platter als platt geht nicht .
Auf einmal überkommt mich der ganze Frust, der Ärger, der Druck. Ich sauge ganz tief die Luft, den Frust in meinen Bauch, spanne meinen Oberkörper und Arme bewusst kräftig an, zornig. Nein, ich gebe nicht auf. Dann lasse ich druckvoll den Frust aus meinen Lungen entweichen. Mehrmals besonders kräftig, selbstbestimmt.
Der Frust wandelt sich in neue Energie. Nicht für meine Beine, die sind platt, aber für meinen Willen. Ich ziehe es jetzt durch. Aus und basta
Nach 2.20 Stunden sind die 67 km gepackt. Ohne die Pausenzeiten komme ich sogar doch noch auf 180 km in 7.33 Stunden. Den morgigen Tag blende ich aus. Für heute reicht es mir.
Um 12.30 ist Deadline, dann wären die 44 Stunden überschritten. Normalerweise schon machbar, aber mit Matschbeinen und als ob ein einfacher Marathon nicht reichen würde, heute will ich eine Wendepunktstrecke laufen, als Symbol.
21,1 km am Neckar entlang nach Norden, dann umdrehen und wieder zurück. Hört sich einfach an, aber ohne Auto als Zwischendepot oder fremde Hilfe, muss ich meine Verpflegung selbst transportieren. 4 Gels und ein Trinkbecher müssen reichen, mehr Ballast vertrage ich heute nicht. Bei km 14 und 28 hätte ich an einem Friedhof eine Möglichkeit zum Wasser trinken.
Um 5.20 Uhr starte ich, sonst könnte es knapp werden mit dem Zeitziel, da ich irgendwann mit einem längeren Wandertag rechne. Die Laufform ist im Gegensatz zu den anderen Disziplinen noch arg bescheiden und vernachlässigt. Ich kann hier nur mit meiner Erfahrung punkten.
Ich trabe schwer, aber die Landschaft ist einfach phantatisch, die Burgen romantisch, die Gefühle voller positiver Gedanken.
Natürlich bin ich extrem langsam, doch ich komme voran.
Die Wende mitten im Wald naht. Einerseits erleichtert, doch seltsamerweise würde ich sogar gerne noch weiter traben. Die Probleme hinter mir lassen. Sie können mich beim Laufen nicht einholen . Und doch freue ich mich auch auf die Wende, auf Herzblatt, eine warme Dusche, ein gutes Essen, ein Bett zum Ruhen und Träumen. Mental neu gestärkt, kann ich den alten Problemen dann wieder die Stirn bieten
Kurz nach dem Wendepunkt überholt mich eine junge Läuferin. Wir grüßen uns freundlich. Ich stelle mir vor, was sie über mich denkt. Ein älterer Läufer, nicht schnell, wohl nicht so fit und durchtrainiert, vielleicht ein Anfänger? Ich muss schmunzeln und trabe weiter. Immer wieder 2 km weiter, überliste meinen inneren Schweinehund.
Bei km 28 habe ich ein richtiges Tief, platt
Letzte Chance, ich schalte mein Smartphone an, lasse Musik laufen. Um mich herum ist eh keiner. Es motiviert, ebenso die Gels und das Wasser.
Ich beschleunige, sogar deutlich . Jetzt könnte man es fast laufen nennen.
Ich ziehe es durch, deutlich schnellere zweite Hälfte, gesamt 5.11 Std. für den Marathon.
Ich bin doch wieder im Ziel, nicht fehlerfrei, gar nicht, mit vielen Holpereien und doch wieder gefinisht
It`s not the end until the end.
Bei km 28 habe ich ein richtiges Tief, platt
Letzte Chance, ich schalte mein Smartphone an, lasse Musik laufen. Um mich herum ist eh keiner.
Das ist es, was Dich so liebenswert macht. Mir wäre es nach 28 km Quälerei vermutlich herzlich egal, wer um mich rum ist. Der empirische Nachweis wurde, soweit ich mich erinnern kann, bereits erbracht.
Für Dich aber hat selbst im Tal der Tränen die Rücksicht auf Deine Mitmenschen höchste Priorität. In meinem nächsten Leben schneide ich mir davon eine dicke Scheibe ab.