Szenekenner
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ganz klare Positionen von Arne in der SZ auch zum Thema Doping
30. Oktober 2015, 19:07 Uhr
Arne Gabius
"Eine neue Qualität von Schmerz"
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Der deutsche Rekordhalter im Marathonlauf erklärt, wie man einen Körper für die Langstrecke umbaut, kritisiert starres Verbandstraining - und das fragwürdige Anti-Doping-System.
Interview von Johannes Knuth
SZ: Herr Gabius, Sie haben am vergangenen Wochenende in Frankfurt einen Marathon in 2:08:33 Stunden zurückgelegt, so schnell wie kein Deutscher zuvor. Wie geht es Ihnen mit diesem schönen Rekord?
In den ersten Tagen danach bin ich etwas schwer ins Bett gekommen. Ich war irgendwie zu müde, um zu schlafen.
Zu müde, um zu schlafen?
Es geht einem doch eine Menge durch den Kopf. In der Nacht von Montag auf Dienstag war ich ziemlich lange wach. Ich habe mir dann auf Youtube einfach noch mal das Rennen angeschaut.
Den kompletten Marathon?
Ja. Waren ja nur zwei Stunden und ein bisschen (lacht). Manchmal kriegt man von seinen eigenen Läufen ja gar nicht alles mit - wie lange man in welcher Gruppe unterwegs war, solche Sachen. Wenn man dann die Bilder von außen sieht, geht man seinen Lauf noch einmal durch und vergleicht das mit den Bildern, die man selbst im Kopf hat.
Welche Bilder haben Sie denn im Kopf?
Die erste Rennhälfte war natürlich toll. Wir sind sehr schnell angegangen, manche Kilometer in 2:55, 2:56 Minuten. Da habe ich mir schon gedacht: Ui, was mache ich jetzt, wenn die das Tempo nicht nur einen, sondern fünf Kilometer so hoch halten? Ich habe auch eine Szene entdeckt, da war mein Bein etwas verdreht. Das muss ich vielleicht noch mal beim Arzt überprüfen lassen (lacht). Nach 25 Kilometern haben sie das Rennen vorne dann ganz, ganz schnell gemacht, da sind einige Alles-oder-nichts gelaufen. Da bin ich bewusst etwas zurückgefallen . . .
. . . eine von vielen kleinen Entscheidungen, die man im Rennen spontan treffen muss.
Du wägst ständig ab: Greife ich an, bleibe ich geduldig? Bei Kilometer 28 hatte ich Probleme mit den Oberschenkeln. Da musste ich realisieren: Beim Marathon gibt es Auf und Abs, und jetzt stecke ich in einer Krise. Zwei Kilometer später hatte ich bei der Zwischenzeit nur noch eine Minute Vorsprung auf den deutschen Rekord. Ich habe mir trotzdem gesagt: Arne, du musst jetzt 25, 30 Sekunden von deinem Vorsprung, den du dir auf 25 Kilometern hart erarbeitet hast, abgeben, also langsamer laufen. Viele haben mir später gesagt, dass ich in dem Moment gegen meinen Körper gearbeitet habe. Ich finde, dass ich mit ihm gearbeitet habe, dass ich ihm etwas Gutes getan habe. Weil er mich sonst nicht ins Ziel gebracht hätte.
Klingt so, als wäre aus dem Läufer Arne Gabius, dem neunmaligen deutschen Meister auf der Bahn und in der Halle, nun endgültig ein Marathonläufer geworden.
Ich hoffe schon. Entscheidend ist, wie du dich durch diese vielen, kleinen Krisen arbeitest. Im Vorjahr, bei meinem ersten Marathon, auch in Frankfurt, bin ich sehr euphorisiert gelaufen, da wusste ich gar nicht so richtig, was auf mich zukommt. Ich wollte einfach schauen, ob ich es schaffe. Diesmal bin ich viel schneller angelaufen. Die letzten drei Kilometer arbeitest du da komplett im roten Bereich, das ist eine ganz andere, neue Qualität von Schmerz. Bei Kilometer 41 musste ich einen Schrei loslassen, da war irgendwie Druck auf dem Oberkörper drauf. Ich glaube, es hat geholfen.
Marathon FrankfurtBild vergrößern
Vor einem Jahr lief Gabius in Frankfurt seinen ersten Marathon, vor einer Woche seinen zweiten - mit deutschem Rekord. (Foto: Fredrik Von Erichsen/dpa)
Wie baut man seinen Körper - seinen Motor sozusagen - so um, dass er in diesem roten Bereich auf den letzten Kilometern nicht auseinanderfällt?
Wenn wir unseren Körper mit einem Auto vergleichen, dann kann uns unser Tank nur Treibstoff für circa 35 Kilometer bereitstellen. Die Kohlenhydrate sind das Super-plus-Benzin, damit kann man Gas geben. Aber eben nur für 90 Minuten. Jetzt muss ich dem Körper beibringen, dass er auch die Fettreserven nutzt. Er muss quasi das Super plus verdünnen, damit es für die gesamte Marathondistanz reicht. Man führt dem Körper in der Vorbereitung, rund 16 Wochen lang, viel Energie in Form von Fetten und Proteinen zu. Die Kohlenhydrate tankt man in Form von Obst und Gemüsen, Brot oder Nudeln lässt man eher weg. Dadurch ist der Tank nie ganz voll, man kann ihn im Training also häufiger leeren. Und wenn man ihn oft leert, merkt der Körper irgendwann: Hey, die Kohlenhydrate sind etwas Besonderes. Er fängt an, weniger Kohlenhydrate, weniger Super plus also, zu verbrauchen. Dafür bezieht er seine Energie mehr aus den Fettreserven. Aus mehr Öl, wenn man so will. Das Super plus steht mir dafür später zur Verfügung, auch nach Kilometer 35. Das spart mir auch die Ernährung während des Wettkampfes.
Sie haben während des Rennens nichts gegessen? Also nicht nachgetankt?
Nein. Ich komme nur mit Wasser durch. Wir laufen rund 20 Stundenkilometer auf den ersten Kilometern, da könnte ich nicht mal einen Riegel essen. Ich wüsste gar nicht, ob der Körper das in dieser extremen Phase aufnehmen könnte. Für Freizeitsportler ist das aber nur bedingt kompatibel. Die sollten ihre Speicher nachfüllen.
Klingt alles sehr nach Askese.
Das ist halt mein Job.
Können Sie Essen auch mal genießen?
Ich mag es ja, mich gesund zu ernähren. Frisch zu kochen, neue Zutaten zu entdecken. Natürlich kann ich auch genießen. Ich mag sehr gerne Schokolade, so richtig deftige, mit 85 Prozent Kakao-Anteil.
Sie hatten sich schon vor Ihren beiden Marathons sehr ambitionierte Ziele gesetzt. Nach Frankfurt sprachen Sie nun vom europäischen Rekord und von einer Top-Ten-Platzierung bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio. Das hat man einem deutschen Marathonläufer lange nicht zugetraut.
Ich glaube, wir haben uns sehr lange selbst Grenzen gesetzt. Man bezeichnet Kenia ja gerne als Wunderläuferland - und wenn dann der beste Deutsche bei einem Stadtlauf neben ein paar Kenianern an der Startlinie steht, sagt der sich halt oft: Die sind sowieso besser. Ich weiß schon, dass viele Kenianer nur das Laufen haben und hier antreten, um das Schulgeld ihrer Kinder bezahlen zu können. Die geben wirklich alles. Viele Deutsche versuchen es deshalb erst gar nicht, ein, zwei Läufer aus Afrika mal zu schnappen. Aber wenn wir uns als deutsche Spitze einfach nur aufs Laufen konzentrieren, können wir sie schlagen. Deshalb bin ich in Frankfurt auch so schnell angegangen. Und nebenbei habe ich die Erkenntnis gewonnen, dass ich dieses Tempo nicht nur durchstehen kann, sondern dass mein deutscher Rekord noch ausbaufähig ist.
Steckbrief
Arne Gabius, 34, geboren in Hamburg, wurde zwischen 2007 und 2013 siebenmal deutscher Meister über 5000 Meter; 2012 gewann er EM- Silber. Gabius hat in Tübingen Medizin studiert und lebt in Stuttgart.
Manche deutschen Läufer sind zuletzt ja durchaus durch Mut und Risiko aufgefallen. Gleichzeitig arbeiten viele Heim- und auch Bundestrainer im Laufbereich noch immer in ihren eigenen Zellen, anstatt ihr Wissen zu teilen.
Es hat sich schon gebessert. Aber es ist noch immer schwierig. Ich habe vor ein paar Monaten einen Vortrag in der Trainerakademie des Deutschen Leichtathletik- Verbands in Mainz gehalten, vor der Elite der deutschen Lauftrainer. Ich habe mein Läuferleben vorgestellt, habe über meinen Neun-Wochen-Plan referiert und auch darüber gesprochen, welche Ideen von Renato Canova dahinterstecken (renommierter italienischer Trainer; Anm. d. Red.). Ich habe meine Telefonnummer und E-Mail-Adresse hinterlassen. Ich habe auch vorgeschlagen, dass man Renato mal einlädt. Der trainiert fast jeden Spitzenathleten, der ihn fragt, ist weltoffen und kommuniziert auch sein Training offen. Weil er nur so seine Methoden verbessern konnte, im Austausch mit anderen Trainern.
Und?
Leider kam noch keine Resonanz. Wir haben in Deutschland im Laufbereich oft nur ein Zwei-Augen-Prinzip. Ich habe das Gefühl, dass sich der Rahmentrainingsplan in den letzten 30 Jahren fast nicht verändert hat. In anderen Disziplinen gab es im DLV Innovationen. Im Zehnkampf. Oder im Sprint: Da ist Julian Reus zuletzt ja auch deutschen Rekord über 100 Meter gelaufen. Auf der Mittel- und Langstrecke stecken wir noch zu sehr in unseren eingefahrenen Strukturen fest. Das ist schade. Es kommen ja immer wieder Talente nach.
Zum Beispiel Ihre Marathon-Kollegen Julian Flügel und Philipp Pflieger. Beide haben kürzlich in Berlin die Norm des Weltverbands für die Olympischen Spiele geschafft. Die Norm des DLV ist aber deutlich strenger - und die haben beide knapp verfehlt. Deutsche Sportler sollen ja grundsätzlich nur zu den Spielen, wenn sie eine "erweiterte Finalchance" haben. Hilft das denn dem deutschen Marathon, dass man die Hürde für Olympische Spiele derart hochschraubt?
Ich glaube, wir haben jetzt eine neue Situation. In den vergangenen Jahren sind viele Läufer mit ihrer Leistung bei 2:13, 2:14 Stunden stehen geblieben. Jetzt haben wir in meiner Person einen Läufer, der 2:10 Stunden unterbietet, und der Läufern wie Philipp oder Julian zeigt, dass man schnell laufen kann. Und beide haben sich zuletzt immer wieder verbessert. Deswegen fände ich es gut, wenn man beide nach Rio mitnähme, als Motivation. Wir standardisieren und strukturieren alles durch, im Alltag, im Sport. Aber das Tolle am Sport ist doch, dass man überraschen kann! Wenn man 1985 vor Wimbledon zu Boris Becker gesagt hätte, komm, du hast eh keine Chance aufs Achtelfinale, aufs erweiterte Finale sozusagen - dann hätte es die Geschichte vom 17-jährigen Jungen aus Leimen nie gegeben. Wir nehmen den Athleten die Chance zu überraschen.
Marathon in Zahlen – 2:02:57
Stunden benötigte der Kenianer Dennis Kimetto 2014 in Berlin für die 42,195 Kilometer - Weltrekord. Seitdem immer mehr Athleten eine Karriere im Straßenlauf anpeilen, wurde der Rekord oft verbessert - in den vergangenen zwölf Jahren allein sechsmal.
Marathon in Zahlen – 2:08:33
Stunden: Auf diese Marke drückte Arne Gabius am vergangenen Sonntag beim Stadtlauf in Frankfurt am Main den deutschen Marathon-Rekord. Der war zuvor im Besitz des Dresdeners Jörg Peter (2:08:47) - gelaufen im Februar 1988 in Tokio.
Marathon in Zahlen – 50 530
Läufer erreichten vor einem Jahr das Ziel des New-York-Marathons - neuer Teilnehmerrekord. Der Lauf ist damit der größte Stadtmarathon der Welt. Bei der ersten Auflage, am 13. September 1970, hatten sich 127 Starter angemeldet. Die Route führte sie vier Runden durch den Central Park. 55 kamen ins Ziel.
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Sie orientieren sich bewusst an schnellen Zeiten, auch aus der Weltspitze. Gleichzeitig sind manche Läufer aus Afrika zuletzt durch Enthüllungen und positive Tests in Verruf gekommen. Wie geht man damit als Läufer um?
Generell gefällt mir das Verhalten vieler Deutschen nicht, auch mancher Athleten. Wir sollten nicht mit dem Finger auf andere zeigen, wenn wir unsere eigenen Hausaufgaben selbst nicht erledigen.
Inwiefern?
Die Anti-Doping-Agentur Nada ist in Deutschland zum Beispiel nicht unabhängig. Da sitzen Politiker im Aufsichtsrat, ehemalige Sportler arbeiten dort. Und wenn ehemalige Sportler Dopingtests oder Fälle aktueller Sportler bearbeiten - da besteht zumindest die Möglichkeit, dass die Unabhängigkeit der Behörde gefährdet ist. Das darf nicht sein. Hinzu kamen lange chronische Geldprobleme. Mir hat ein Dopingkontrolleur mal erzählt, dass er sich oft gewundert hat, wie wenige Aufträge er zum Jahresende hin erhielt. Da war ab Oktober oft kein mehr Geld da. Zum Glück ist das nicht mehr so extrem. Wir sollten also erst einmal unsere Aufgaben erledigen, und dann sollten wir Ländern wie Kenia unsere Hilfe anbieten. Die brauchen mehr Dopingtests, mehr Anti-Doping-Labore mit möglichst unabhängigen Personal, das kostet alles immens viel Geld. Derzeit helfen da vor allem auch die Organisatoren der großen Stadtmarathons mit.
Man bräuchte also einen Art Anti-Doping-Finanzausgleich, an dem sich alle Verbände und nationalen Agenturen beteiligen?
Ich glaube, Geld ist im organisierten Sport genügend da. Es fehlt nur oft an der Akzeptanz, dieses Geld in den Anti-Doping-Kampf zu stecken. Dabei würde das vielleicht auch den Generalverdacht etwas eindämmen, der derzeit herrscht. Das trifft vor allem uns saubere Athleten. Das ärgert mich ungemein, dass ich mich ständig rechtfertigen muss.
Andererseits wurde das Publikum zuletzt durch diverse Dopingskandale und Positivtests enttäuscht. Offenbar ist es nicht mehr bereit, den Sportlern einen Vertrauensvorschuss zu geben.
Ich denke, wir müssen darüber diskutieren, welche Rolle der Sport spielen will. Soll der Sport Vorbild für unsere Gesellschaft sein, in Sachen Fair Play? Oder kann der Sport nur ein Spiegel der Gesellschaft sein? Stichwort VW-Skandal? Derzeit ist er vor allem Letzteres. Wir müssen versuchen, wieder mehr Vorbild zu sein. Ich hatte viele Dopingtests in diesem Jahr, seit Jahren wird mir Blut für den Blutpass abgenommen, mit dem man Blutdoping nachweisen kann. Ich habe vor Peking meine Blutwerte veröffentlicht, obwohl ich das nicht tun müsste. Aber irgendwann sind die Athleten genug belastet. Es sind jetzt andere gefordert, ein besseres Anti- Doping-System zu schaffen. Nationale Agenturen müssen unabhängig sein, Wissenschaft und Forschung müssen besser unterstützt werden.
Runners make their way across the Verrazano-Narrows Bridge during the New York City Marathon in New YorkBild vergrößern
"Die letzten drei Kilometer arbeitest du da komplett im roten Bereich": Teilnehmer des New-York-Marathon 2014 auf der Verrazano-Narrows Bridge. (Foto: Eduardo Munoz/Reuters)
Wie sieht es mit dem Startrecht ehemaliger Dopingtäter aus? Simret Restle-Apel, die zwei Jahre lang gesperrt war, hätte in Frankfurt im Rahmen der deutschen Meisterschaften starten können, sie hätte aber kein Preisgeld erhalten, weil der Veranstalter ehemalige Doper für seine Elitewertung nicht einlädt. Sie will den Veranstalter jetzt verklagen.
Da sollte man jeden Fall einzeln betrachten. Simret wurde 2012 mit Epo (Erythropoietin, oft verwendet als Blutdoping-Mittel, Anm.) erwischt. Sie hat es schließlich zugegeben, war aber sehr uneinsichtig. Angeblich hat sie es zufällig im Kühlschrank von Verwandten gefunden. Entschuldigung, haben Sie zufällig Epo im Kühlschrank liegen?
In der Tat: nein.
Epo nimmt man nicht zufällig. Das nimmt man in der Absicht, zu betrügen. Da gehört man eigentlich lebenslang gesperrt. Der Frankfurt-Marathon ist nun mal eine private Veranstaltung, der man nicht vorschreiben kann, wen sie einlädt, so wie man niemandem vorschreiben kann, wen er auf seine Party einlädt. Und Frankfurt hat sich nun mal strikte Regeln im Anti-Doping-Kampf auferlegt. Das finde ich okay.
Am Sonntag findet in New York der nächste Marathon-Klassiker statt. Haben Sie schon wieder Lust, der Konkurrenz bei der Quälerei zuzuschauen?
Ich werde da in den Flitterwochen an der US-Westküste sein, aber ich schaue mir das Rennen definitiv an. Auch wenn ich früher aufstehen muss. Marathon ist jetzt mein neues Leben, das reizt mich total. New York sucht sich ganz gezielt Top-Läufer aus und formt ein Feld, in dem es weniger um die Zeit geht, sondern um den Wettkampf. Das ist ja das Schöne am Sport.
New York steht also auch in ihrem Lebensplan noch drin?
Auf jeden Fall. Die Läufer geben dort alle Gas, der Sport ist ganz nahe bei den Leuten, die Zuschauer sind wahnsinnig begeistert, fast noch stärker als in Deutschland. Das ist der Marathon.
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