Lionel Sanders hat sich einige Tage Zeit gelassen, um seine Einschätzung des Rennens in Daytona zu liefern. Immer denkt man, nun müsste er eigentlich gelernt haben, dass ein wichtiges Rennen nicht dazu geeignet ist, irgendwelche grundlegenden Experimente zu machen. Weit gefehlt.
Es bräuchte mal eine Variante von Bullshit-Bingo für Sanders:
Zu aggressiv angegangen... *pling* ... nicht an den Rennplan gehalten ... *pling* ... ungeeignete, ungetestete Klamotten getragen ... *pling* *pling* *pling*...
Unglaublich der Mann. Ich gebe aber die Hoffnung nicht auf, dass er es irgendwann lernt, seine Impulse zu kontrollieren.
Wie dem auch sei, hier nach langer Zeit mal wieder ein Mitschrieb zu diesem Video –
Thoughts After The PTO Championship || Daytona – nicht ganz chronologisch:
Er hatte seinen Zeitfahranzug, den er beim Stundenrekord trug, beim Rennen an. Der war viel zu eng. Er hat schon beim Aufwärmen gemerkt, dass die Schultern spannten.
Schwimmen war wie erwartet. Er hat er es ("once that elastic snapped") nicht mehr gepackt dranzubleiben und er war am Ende eine Minute hinter der Gruppe, die er eigentlich halten wollte. Er kam mit dreieinhalb Minuten Rückstand zum Führenden aufs Rad. Deswegen kam es zu "throw caution to the wind" und er musste "smash it" draufhalten, um ranzukommen.
Business as usual, möchte man fast sagen.
Seine
lessons learned: Wenn man beschissen schwimmt, wird es anstrengend. Nicht nur, weil man zeitlich zurückliegt, sondern weil viele Überholvorgänge notwendig sind, was an die Substanz geht. Wenn man im Schnitt über 48 km/h fährt, dann muss man, um regelkonform zu überholen, schneller als 50 km/h fahren. Dazu braucht es über 400 W bei jedem von etwa 30 Überholvorgängen. Er war darauf vorbereitet, 360 bis 370 W zu treten. (358 waren es am Schluss.) Aber er war nicht darauf vorbereitet, dass dieser Schnitt auf diese Weise zusammenkommen würde.
Seine Beine fühlten sich nach dem Radfahren so schwach an wie selten zuvor. Und das, obwohl er nicht einmal die volle Strecke einer Mitteldistanz gefahren war. Und weil es so wild zuging, war er zu abgelenkt, um sich an seinen Verpflegungsplan zu halten.
Eigentlich war er in top Laufform, aber die ersten zwei Runden fühlte er sich fürchterlich und kam nicht voran. Teilweise führt er das auf die Fehler bei der Verpflegung zurück. Nachdem er dann etwas Gel und Cola intus hatte, ging es und fühlte sich nach Laufen an.
Es war insgesamt sehr enttäuschend, weil er in keiner der drei Disziplinen die vorbereitete Leistung abrufen konnte. Er erkennt mal wieder, dass schlechtes Schwimmen das Problem insgesamt vergrößert. Er reibt sich auf, um trotzdem Zeit zu verlieren.
Er lobt Gustav Idens Renngestaltung, die er sehr intelligent findet: Ein überschaubarer Abstand von einer Minute im Schwimmen, Heraushalten aus den Führungskämpfen auf dem Rad mit gleichmäßigem Einsatz und dadurch ordentlich verpflegen.
Er bedankt sich bei der PTO und der Challenge-Serie für das Rennen. Insgesamt ist er mir seiner Leistung auf dem Rad und dem Laufen (kombiniert die schnellste Zeit des Tages) sehr zufrieden.
Er merkt an, dass er seine Watt-Leistung auf dem Rad noch effizienter einsetzen könnte. Er will an einer "UCI-legal" Radposition arbeiten (weniger aero vermutlich?), was ihm beim Laufen besser bekommt.
Sanders sagt von sich selbst, dass er es mit dieser Schwimmleistung nicht verdient hat, zu gewinnen. In den nächsten sechs Monaten will er weiter mit Hochdruck daran arbeiten. Er hat in Tucson jemanden kennengelernt, der einen Pool mit 5 Bahnen besitzt, ganz in der Nähe, wo er auch im Lockdown schwimmen kann. Der Typ soll auch ein guter Coach sein und er wird fünf Tage pro Woche "one-on-one" bei ihm trainieren.
Wenn Schwimmen so funktionierte wie Radfahren und Laufen, wo er keinen Input von außen braucht, dann wäre er mittlerweile ein Top-Schwimmer. Es ist aber eher wie Golf, wo er Ewigkeiten auf dem Grün stehen kann und nicht besser wird, weil er die Mechanik nicht versteht. Er meint, dass es beim Schwimmen das Gleiche ist.
Sanders sagt, dass er damit leben könnte, wenn er beim Schwimmen alles versucht hat und irgendwann feststellt, dass ihm komplett das Talent fehlt und er es einfach nicht schafft. Er glaubt aber, dass es noch lange nicht so weit ist. Er hat es noch nie ernsthaft genug versucht, mit der gleichen Leidenschaft, mit der er seine Rad- oder Laufleistung verbessert.
Nach dem Rennen hat er sich beim Doping-Test mit Gustav Iden unterhalten und ihm erzählt, dass er ein beschissener Schwimmer ist und daran arbeiten will. Dieser antwortete: "Oh ja, ich auch!" Und der Typ war 2 Minuten 10 Sekunden schneller, merkt Sanders an, um zu herauszustellen, welche Einstellung Iden hat. Aus Sanders Sicht ist Iden der schlagende Mann für den Rest seiner Karriere und es gruselt ihm etwas davor, wenn er auf die Langdistanz kommt.
Am Ende hofft er noch, dass Talbot genügend Videomaterial aufgezeichnet hat, um Lionels Gelaber zu neutralisieren. Schnitt auf Talbot, der wohl auf dem Weg zum Rennen einen Unfall hatte und sich die Schulter ausgekugelt hat. Somit leider von ihm kein Video, woran er Lionel freundlich erinnert.
Bildinhalt: Talbot Cox beim Videoschnitt
Lionel Sanders macht aus meiner Sesselpupser-Sicht zwar immer wieder ähnliche vermeidbare Fehler, bei denen ich mir an den Kopf lange, aber was ich ihm nicht ankreiden will, ist seine problematische Schwimmleistung. Ich habe den Eindruck, dass er daran seit langem immer ernsthafter arbeitet und glaube, dass da irgendwann der Knoten platzen wird. So wie er davon erzählt, erinnert es mich an die mittlerweile lange zurückliegende Zeit als ich mit dem Rauchen aufgehört habe. Irgendwann ging es mir derartig auf den Sack, dass ich einfach aufhören musste, um jeden Preis.