Die Einflussnahme des Irans auf die Politik im Irak ist ein langfristiger Prozess, der mit der Beteiligung von Einheiten der Revolutionsgarden und entsprechenden Milizen während des Kampfes gegen den IS (somit seit Anfang 2014) eine entscheidende Entwicklung erfahren hat.
Nicht umsonst hat der IS seinerzeit bei seinem überfallartigen Vormarsch aus Syrien kommend und in Richtung Bagdad marschierend bestimmte Städte und Orte (z.B. Sulaymania) im wahrsten Sinne des Wortes "links liegen" lassen, da dort Heiligtümer und Schreine vorhanden sind, deren Zerstörung sowohl die kurdischen Peschmerga als auch die Revolutionsgarden niemals zugelassen hätten.
Natürlich haben die pro-Iranischen Einheiten den damaligen Konflikt schon genutzt, um eine "Verschiebung" der Grenze ihrer Einflußnahme in Richtung Kurdengebiet bzw. eine Erweiterung dieser Richtung Osten und Zentral-Irak zu erreichen.
Das paradoxe an der Sache ist, dass sich letztendlich die Parteien, die 2014 bis 2019 an einem Strang gezogen haben, jetzt spinnefeind sind. Dazu gehören natürlich auch die USA, ohne deren logistische Unterstützung (Luftangriffe bzw. Einsatz von Special-Forces) eine Vertreibung des IS aus dem Irak niemals möglich gewesen wäre.
Schaut man sich die Entwicklung der letzten 3-4 Monate im Irak an, dann sollte man sich auch ein paar Frage stellen, welche "Partei" was ereichen will.
Die seit Oktober aufgeflammten und immer noch anhaltenden Demonstrationen, bei denen sich viele (junge) Menschen gegen die Regierung auflehnen (hohe Arbeitslosigkeit, Stromausfälle,Korruption), sind mit teilweise brutalster Vorgehensweise der Sicherheitskräfte (sowohl Polizei als auch Militär) niedergemacht worden. Die Überquerung des Tigris durch die Demonstranten über eine der strategisch wichtigen Brücken, hier insbesondere vom Tahir-Platz aus, und das Eindringen in die unmittelbar dahinter liegende Green-Zone musste verhindert werden.
Jetzt stellt sich die Frage, warum die gleichen Sicherheitskräfte, die dies verhindert haben, plötzlich zum Jahreswechsel eine riesige anti-amerikanische Horde einfach so über den Tigris in die Green-Zone lässt, damit diese die US-Botschaft attackiert.
Es dürfte jedem klar sein, dass der iranische Einfluß schon bis in diese Kreise Einzug gehalten hat.
Die Berichterstattung einiger Medien ist dahingehend schon fast abenteuerlich. Als Beispiel die Schlagzeile auf SPON:
"Tausende stürmen US-Botschaft"
"Der US-Botschafter und sein Personal wurden in Sicherheit gebracht"
Wer sowas schreibt, hat nun wirklich keine Ahnung. Der US-Botschaftskomplex gleicht einer Festung und hat eine Größe von ca. 24 ha. Es leben/arbeiten dort ca. 5000 (!) Menschen, es gibt ein eigenes Buslinien-Netz, Versorgungseinrichtungen, Supermärkte etc.
Wer tatsächlich glaubt, dass dieser Komplex von ein paar Hundert Personen (und mehr waren es nicht) "gestürmt" werden kann, der hat nicht alle Latten am Zaun. Nicht nur, dass die Amis es in jedem Fall verhindern würden, dass dort jemand eindringt, es wäre auch fatal für die USA, dieses für die ganze middle-east Region strategisch wichtige Objekt aufzugeben.
Das einzige, was "gestürmt" wurde, war ein Wachhaus bei einem dem Botschaftsgelände vorgelagerten check-point, das war es auch schon. Natürlich nicht zu vergessen 2 Autoreifen und ein paar angezündete Palmenblätter, die über die Mauer der Botschaft hingen. Das wurde medial natürlich so dargestellt, als ob die halbe Botschaft am abfackeln ist.
Durch die chirugische Eliminierung des iranischen Generals Soleimani zeigt Trump natürlich Stärke, nutzt dabei aber auch die Gunst der Stunde, um vom eigenen Impeachment-Verfahren abzulenken. Der Versuch der irakischen Regierung, den (ehemaligen) Koaltionspartnern den Weg zur Tür zu zeigen, kann fast schon als hilfloser Akt bezeichnet werden, sich aus dem Dilemma herauszuwinden, nicht als Opfer dazustehen, auf dessen Boden zwei andere Mächte ihren Konflikt austragen.
Mit herzlichen Grüßen aus Bagdad (bei sonnigen 19 Grad)
highlow
PS: Und bevor jemand die Frage stellt: Nein, ich bin nicht bei der Y-Bande