Das 600er Brevet im mittelfränkischen Pappenheim (jenes aus den Werken von Friedrich Schiller bekannte und sprichwörtliche) stand heuer zum dritten Mal auf meinem Jahresprogramm. Die knapp 620 km enthalten gut 6000 Höhenmeter, die auf einigen teils sehr unangenehmen Bergen und unzähligen Hügeln gesammelt werden. Allein der Name dieser Ausfahrt ist schon eine mittlere Provokation: "kleine Bayernrundfahrt" nennt sich diese doch respektable Tour. Was bitte daran genau "klein" sein soll, bleibt das Geheimnis des Veranstalters
Hier der Streckenverlauf:
http://www.gpsies.com/map.do?fileId=...rrer=trackList
Wer zu faul zum Klicken ist, so grob:
Pappenheim (bei Treuchtlingen) – Regensburg – Landshut – Waldkraiburg - Chiemsee – Schliersee – Tegernsee - Bad Tölz – Starnberger See - Landsberg/Lech – Wertingen - Pappenheim
Kurzer Exkurs für alle, die mit der Brevetwelt nicht so vertraut sind: man muss auf der Strecke ca. alle 70 km an vorgegebenen Punkten seine persönliche Kontrollkarte in einer Tankstelle/Bäckerei/Schnellrestaurant etc. abstempeln lassen. Fehlt ein Stempel, wird das Brevet nicht anerkannt (was nicht so tragisch ist, außer im Jahr der Paris-Brest-Qualifikation; dafür ist eine komplette Serie mit 200-300-400-600 km zu absolvieren).
Ich hatte vor, um 7.45 Uhr im Ortsteil Osterdorf anzukommen, um noch eine Tasse Kaffee zu trinken und einen gemütlichen Toilettengang zu absolvieren. Leider machte mir mein Sohnemann einen gehörigen Strich durch die Rechnung. Ich hatte ihm am Vorabend unseren Wagen für eine Fahrt nach München geliehen. Den Zettel auf dem Frühstückstisch mit dem Text "das Auto muss auch demnächst getankt werden" fand ich an sich erst einmal nicht so bedrohlich. Erst das Drehen des Zündschlüssels offenbarte die dreiste Unverschämtheit des Filius’: max. 1/3 der RESERVE war noch im Tank, ca. 20 km schafft man damit im besten Fall. In der bayerischen Walachei ist es gar nicht so einfach, morgens um 6.30 Uhr eine geöffnete Tankstelle zu finden. Die erste nahm nur Bargeld. Kein Problem. Bloß auch kein Automat. Und kein Personal. Weiter zur nächsten und da war schon soviel Zeit verplempert, dass es klar sein würde, dass ich nicht um 8 Uhr starten würde.
Letztendlich fuhr ich um 8.07 Uhr auf dem Rennrad los und rauschte in einem Anfall von Schwachsinn und Selbstüberschätzung am gesamten Feld vorbei bis zur ersten Gruppe, die anfangs noch recht verhalten fuhr. So kam für die erste Stunde ein 34er Schnitt heraus. Das so was auf 600 km langen Touren nicht gut gehen kann, ist eigentlich klar. Man ahnt es - und jetzt weiß ich es auch. Nach 95 km, rund 800 Höhenmetern und 2:57h (ich 2:50h) kamen wir bei der ersten Stempelstelle an, und ab da konnte ich nicht mal mehr den Windschatten der Gruppe halten, die nun mit 40km/h in der Ebene und 33 km/h bergauf davonraste. Sie waren nicht mehr gesehen und mussten zwar später auch Tempo rausnehmen, waren aber nach 23,5h im Ziel. Wahnsinn.
Die Gruppenbildung ist bei diesen Brevets meist recht dynamisch und spontan. Mir war's sogar etwas zu spontan, denn zwei Fahrer, mit denen ich seit ca. 80 km zusammen gefahren war, radelten urplötzlich ohne mich davon, obwohl ich ihnen gesagt hatte, in zwei Minuten sei ich zur Weiterfahrt bereit. So fuhr ich die 60 km zum Chiemsee allein und schloss mich erst am Hundhamer Berg, einem ca. 5 km langen Anstieg mit 500 Hm (geschätzt) sehr unangenehm zu fahren, wieder einer Gruppe an. Ein wichtiges Zwischenziel beim 600er ist der Burgerking in Bad Tölz, der um 24.00 Uhr schließt, sonst ist es in Tölz um diese Zeit nicht weit her mit Einkehrmöglichkeiten. Wir waren um 23.30 Uhr da, und die 2-3 verbliebenen Mitarbeiter verfluchten uns ganz bestimmt innerlich, da doch erhebliche Bestellungen zu verzeichnen waren und auch die schon vorgenommene Aufstuhlung teilweise wieder rückgängig gemacht werden musste. Um 0.01 Uhr verließen wir Bad Tölz Richtung Landsberg am Lech, wo wir um 3.40 Uhr eintrafen. Ich hatte mittlerweile massiv mit der Übermüdung zu kämpfen, insgesamt hatte ich vier Phasen à ca. 30 Minuten, in denen der Sekundenschlaf nicht mehr fern war (kennt jemand ein empfehlenswertes Buch zu / oder hat Tipps für Powernapping?). Bei mir stellen sich dann immer Halluzinationen ein, die dieses Mal zum Glück nicht so "echt" waren wir sonst, sondern immer nach 1-2 Sekunden verflogen. Trotzdem kriminell, so zu fahren!
Nach 70 relativ gemütlichen Kilometern bis zur letzten Kontrollstelle in Wertingen geht es nach der Überquerung der Donau nochmals richtig zur Sache: ca. 40 km mit 600 HM. Nach über 550 km Vorbelastung ist jeder einzelne dieser Höhenmeter eine Qual. Meinen Magenproblemen (hatte meine Standardnahrung Fresubin alias Anorektikermilch nicht rechtzeitig bekommen) musste ich in einem der zahlreichen Anstiege Tribut zollen und abreißen lassen. Der Veranstalter schickt einen dann bei km 595 nochmals 250 Meter bergab zu km 600 in Mühlheim im Altmühltal. Leider ist das nicht das Ende des Brevets, sondern von dort aus geht es nochmals 200 HM stramm nach oben. So stramm, dass Schieben nicht viel langsamer gewesen wäre. Dass die 3-fach Übersetzung fast nicht gereicht hätte. Dass man jeden einzelnen Meter verflucht. Dass man....
Entschädigt wird man mit einer weiteren langen Abfahrt, die ich allerdings in meinem Zustand nicht genießen konnte und auf den letzten Metern fast wieder einschlief.
Das Ziel im Pappenheimer Ortsteil Osterdorf zeichnet sich dadurch aus, dass es ca. 140 m oberhalb der Stammgemeinde liegt. Das bedeutet, dass man - egal aus welcher Himmelsrichtung man sich nähert - abschließend immer bergauf fahren muss, meist mit bis zu 12%. Da das innere Pferdlein jetzt aber schon die Stallluft wittert, geht dieser letzte Anstieg meist recht gut und im Ziel (war nach 27h da) sind die Strapazen nach der Bewirtung durch Karls Frau Heidi meist recht schnell vergessen. Insgesamt eine runde Sache und eine ganz andere Welt als bei den Triathleten.
12,50 Euro beträgt das Startgeld bei den Osterdorfer Brevets (bis 600 km). Dafür bekommt man den Verwaltungskram (Brevetkarte zum Abstempeln) und ein Frühstück mit allem Drum und Dran. Zusätzlich bei der Rückkehr eine Flädlesuppe (je nach Personallage auch Spaghetti) und jede Menge Kuchen, Brot, Wurst und Kaffee. Könnte besser kaum sein. Wer will, kann am Vortag anreisen und in der alten Schule kostenlos in einem Feldbett übernachten. Mache ich beim nächsten Mal vielleicht, um den aus dem ersten Absatz geschilderten Problemen aus dem Weg zu gehen.
Welchen Sinn das alles hat? Na, gar keinen natürlich!
Hier noch ein Filmchen, das einen ganz guten Eindruck vermittelt:
http://www.youtube.com/watch?v=OqApe...eature=g-all-s
Bilder habe ich leider nicht gemacht.