Kyrill I., Patriarch von Moskau und Vorsteher der russisch-orthodoxen Kirche [die Ost-Version der christlichen Kirche], ist im Kampf gegen den "Wanna Cry"-Wurm aktiv. Das Schadprogramm infizierte vergangenes Wochenende zigtausende Rechner weltweit, darunter auch Computer des russischen Innenministeriums. Dort erschien der Patriarch nun, um Rechner mit Weihwasser zu segnen und so gegen "Wanna Cry" zu immunisieren.
Weder sind die hier aktiven Herren in der Lage, die richtige Antwort zu finden (nämlich, wie man den Wurm los wird); noch sind sie in der Lage, die richtigen Fragen zu stellen (nämlich, wie eine Lösung überhaupt aussehen könnte). Sie sind auch nicht in der Lage, die Absurdität ihres Handelns einzusehen. Ganz im Gegenteil haben sie extra einen Fotografen bestellt, der ihre Großtat verewigen sollte.
Das Bild ist beispielhaft zu verstehen und zeigt eine ähnliche Szene aus 2003.
Wohlgemerkt: Hier geht es nicht um eine Weltanschauung oder eine (beliebige) Interpretation eines Verses. Hier geht es um blanke, lupenreine Dummheit. Und kein noch so schlaues Argument kann gegen diese Tatsache etwas ausrichten.
Wer nun einwendet, dies sei ein ganz besonders blödes Beispiel und daher nicht aussagekräftig: Kardinal Joseph "der Inquisitor" Ratzinger, der später zu Papst Benedikt umfrisiert wurde, hat während seiner Amtszeit wiederholt Autos (!) mit Weihwasser gesegnet. Ich habe eine solche Szene mit eigenen Augen im bayerischen Fernsehen verfolgt. Dort wurde es ebenfalls als Zeichen unendlicher Weisheit und klerikaler Wirkmächtigkeit gepriesen.
Ich habe vor kurzem auch etwas ganz komisches erlebt:
Alljährlich kommt es unter den Orten und Städten in Bayern offenbar zu einem Wettstreit, wo der höchste (teilweise bis zu 30 Meter) und prachtvollste Baum errichtet wird. In jeder Region kann der Baum anders aussehen. Manchenorts wird er mit der Rinde aufgestellt und andernorts geschält und weiß-blau gestrichen, mit bunten Bändern behängt, mit geschnitzten Figuren verziert und mit einem Kranz geschmückt.
Bevor der Baum aufgestellt wird gibt es zusätzlich einen beliebten und spannenden Wettbewerb unter den Nachbargemeinden. Nach alter Sitte darf der Baum, der schon mehrere Wochen vor dem Aufstellungstag geschlagen werden muss, "gestohlen" werden. Trotz Bewachung durch die Gemeindebevölkerung, kommt dies häufig vor. Nun sind feuchtfröhliche Rückgabeverhandlungen nötig, denn als Auslöse wird eine große Menge Bier vereinbart, das dann bei der Übergabe gemeinsam getrunken wird. Und das obwohl wir wissen, dass Alkohol nicht die Lösung, sondern Teil des Problems ist.
Am 1. Mai wir der Baum dann aufgestellt. Bei diesem Akt werden alle kräftigen Männerhände des Ortes gebraucht, denn die Benutzung von technischen Hilfsmitteln ist verpönt. Nach alter Tradition wird der Baum mit dicken langen Stangen "Schwaibeln", die zu "Scheren" zusammengebunden werden, nach Kommando aufgerichtet. Diese Arbeit kann sich über zwei Stunden hinziehen. Warum soviel sinnlose Arbeit, der Kran macht das doch ganz schnell?
Rund um das Aufstellen findet ein Fest statt. Bei Blasmusik, Speis und Trank kommt man hier gesellig zusammen. Gäste und einheimische Bevölkerung sind herzlich eingeladen die Aufsteller anzufeuern. Für Spaß und Gaudi sorgen vielerorts traditionelle Bänder- und Volkstänze um den Baum oder die Wahl einer Maikönigin. Das ist doch Frauendiskriminierend, da wird die Frau zum Wahlobjekt.
Und jetzt noch das: Pech, Spucke und einen 30 Meter hoher Baum - zum Kraxeln im Südlichen Niederbayern brauchen die Dorfburschen keine große Ausrüstung. Sie schmieren sich Pech an die Füsse, spucken sich in die Hände und aufwärts geht's. Unterm Baum trifft man sich zum Feiern und man pflegt die bayerische Gemütlichkeit. Noch mehr Fleisch (CO2!) und Bier und sogar Schnaps. (Quelle: Bayern.by)
Was ist der Unterschied zwischen dem Maibaum und dem WannaCry-Virus?
Erstens, der Unterschied liegt nicht nur in der Handlung. Die Handlung ist nicht der Kern. Sondern der Kern besteht darin, fest zu glauben, dass die Handlung etwas bewirkt. Wer den Maibaum hochklettert, ist einfach Teil einer Gaudi, und vielleicht kann er bei den Mädels etwas mit seinen Muskeln prahlen. Das sind realistische Erwartungen.
Einen Computerraum mit Weihwasser zu besprühen, wird in der Erwartung getan, dass dies den WannaCry-Wurm vertreibt oder unwirksam/unfruchtbar macht, oder die Computer immunisiert. Es ist keine realistische Erwartung. Mehr noch, es offenbart eine für heutige Tage verblüffende Ignoranz gegenüber technischen Dingen. Genauso gut könnte man versuchen, eine klappernde Waschmaschine durch ein Gebet zu reparieren.
Zweitens, das Besprühen von Computern ist keine Tradition, die man halt wegen der sie umgebenden Dinge weiterführt, etwa wie Weihnachten oder Ostern oder den Maibaum. Sondern die Kleriker sind wie Installateure zu einem akuten Problem geeilt, um es zu beheben. Es erinnert an "Ghostbusters", die mit einem Staubsauger auf Geisterjagd in New York gingen. Den Schauspielern war jedoch klar, dass es sich hier nur um einen Spaß handelte, während die Kleriker tatsächlich an die Wirksamkeit ihrer Klobürste glauben -- und zwar wörtlich.
Joseph "ohne meine roten Schühchen gehe ich nicht raus" Ratzinger beim Segnen eines Feuerwehr-Autos in Pentlingen bei Regensburg. Links der Knabenchor.
Ich hätte da vorübergehend ein Missverständnis:
Dachte, in der mutmaßlichen Falschmeldung ginge es darum, dass "Gott" gegen eine bereits vorhandene WannaCry Infektion helfen sollte.
Dann würde natürlich offensichtlich, dass nichts passiert.
Bei einem Segen für z.B. ein Feuerwehrauto bliebe dagegen unklar, ob er wirkt. Selbst wenn es mal verunfallt, hätte es ja immer noch schlimmer kommen oder früher passieren können.